Aufgewachsen und groß geworden ist Morrissey in der englischen Metropole Manchester. Es gab Zeiten, da lag ihm die Stadt zu Füssen. Da war er noch der Sänger der Smiths und die leidvolle Stimme einer ganzen Generation englischer Kids, die in der Depression der Achtziger darbten und für die der Niedergang der alten industriellen Zentren des Nordwestens gleichbedeutend war mit Hoffnungslosigkeit und sozialer Kälte. Seitdem ist viel geschehen. The Smiths haben sich in bitterem Streit selbst zerlegt und Morrissey machte alleine weiter. Außerdem driftete er immer weiter in politische Grauzonen ab, wandte sich zunächst den Konservativen zu und befürwortete lauthals den Brexit, um dann wenig später die extreme Rechte der Insel innig zu umarmen und sich für deren Ziele auszusprechen. Irgendwann hatte schließlich auch seine Heimatstadt die Nase voll von ihm. Dieses zerfetzte Poster klebt an einer der Türen des Junction Hotels im Ortsteil Hulme, nur einige Straßenzüge entfernt von seinem alten Elternhaus.
Kategorie: Tagebuch
Corona hält die Welt in Atem. Oder, vielmehr, verursacht der Welt Atemnot. Ein kleiner Virus, bisher eigentlich nur bei den tierischen Verwandten der Gattung Fledermaus zu Hause, würfelt mal eben menschliche Gesellschaften durcheinander, in einem Maße, das ebenso global ist wie bislang nur in C-Movies gern apokalyptisch beschrieben. Perfiderweise nimmt der Virus vor allem die Alten und Immungeschwächten aufs Korn. Weil der Mensch nun mal gern alles frisst, was nicht schnell genug davonlaufen oder -fliegen kann, hat der Virus sozusagen als Beigabe zu einem kleinen Imbiss die Artenbarriere übersprungen. Und da haben wir jetzt den Fleischsalat: Die Natur schlägt zurück, mit einer Wucht und Geschwindigkeit, die die Zivilisation vor Schreck erstarren und die Türen zuschlagen lässt. Die Folgen sind plötzlich allerorten und für jedermann und -frau am eigenen Leibe erfahrbar. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie wir uns amüsieren und unterhalten lassen. Nehmen wir nur mal die Musikindustrie als Beispiel. Konzerte können nicht mehr stattfinden. Das schädigt die Musiker, die arbeitslos daheim herumhängen und auf Einnahmen verzichten müssen. Das schädigt ihren Tross, all die Roadies, Techniker, Lichtleute, Fahrer, Merchandiser, Mietmusiker oder Presseleute, die dringend darauf angewiesen sind, dass Musiker auftreten und Geld verdienen. Betroffen sind außerdem Agenten, Promoter, Veranstalter, Tresenkräfte, Türsteher, Sicherheitsleute und, und, und. Für sie alle wird plötzlich nicht nur die nächste Miete zum Problem, sondern vorher vielleicht schon das nächste Butterbrot. Eingeschlossen in den eigenen vier Wänden, allein, zu zweit oder gar zu fünft, sorgen sie nun vor sich hin und verzweifeln an der Niedertracht eines Winzlings, der menschliche Zellen, Lunge bevorzugt, dazu benutzt, sich rasant zu vermehren und auszubreiten.
Doch zurück zu unseren Musikern, die in Selbstisolation vor sich hin zocken, ohne Publikum, ohne Anerkennung. Wirklich ohne? Nicht ganz so ohne. Es gibt schon seit längerem Versuche, das Konzerterlebnis aus den Clubs, Hallen und Arenen heraus zurück in den kleinen Kreis zu holen, Konzerte zu Wohnzimmerereignissen zu machen· die direkten, unmittelbaren Kontakt zwischen Künstlern und Publikum erlauben. Die Plattform Stage It zum Beispiel vernetzt schon seit Jahren digital die Wohnzimmer von Künstlern wie Better Than Ezra, Rick Springfield oder Lisa Loeb mit denen ihrer zahlungswilligen Fans.
Das war vor Corona und bis dahin ein eher schleppendes Unternehmen. Mit Corona ändert sich das gerade gewaltig. Auf kaum absehbare Zeit wird das Wohnzimmerkonzert das einzige Konzert bleiben. Einige Musiker haben das schnell begriffen und experimentieren schon fleißig mit den digitalen Möglichkeiten. Unter ihnen auch Schwergewichte wie Coldplay Musiker Aushängeschild Chris Martin.
Die Entwicklung ist noch ganz am Anfang, aber wie es aussieht, hat Corona auch das Potenzial, die Live-Musikindustrie grundlegend zu verändern.
Die Debatte hat noch gar nicht richtig begonnen und jeder Beitrag ist willkommen.
Edgar Klüsener
Jonathan Golds Tagebuch, 11. Mai 2018
Jetzt also Iran. Der größte Trump-Tropf aller Zeiten knüpft sich die kleine Mittelmacht Iran vor, bricht existierende Verträge und droht dem Land offen mit Krieg. So ganz nebenbei lässt er Europa ziemlich alt und verloren aussehen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien werden zu Randfiguren degradiert, die auf der Weltbühne gefälligst das Maul zu halten haben. Der neuernannte US-Botschafter in Berlin steht für den Umgang mit den europäischen Zwergen in der Ära Trump: Kasernenhofton ist die Musik der Stunde. Wenn Deutschland, Frankreich oder sonstwer in Europa in Zukunft überhaupt noch eine Chance auf ‚Mitreden‘ haben wollen, so viel ist nun klar geworden, dann geht das nur noch in einem EU-Verbund, der wesentlich geschlossener und entschiedener als bisher agiert und in dem die Mitgliedsstaaten die nationalen Eitelkeiten an der Garderobe abgeben. Dazu gehört auch, dass nicht mehr grundsätzlich alle Schuld für nationales Politker-Versagen der EU-Bürokratie in die Schuhe geschoben wird. Doch zurück zu Trump und Iran. Wenn der POTUS überhaupt noch trumpfen will, dann braucht er den Krieg, und zwar dringend. Herr Sonderermittler Müller zieht die Schlinge um seinen Hals nämlich immer weiter zu, und Frau Stormy bringt ihn noch zusätzlich in die Bredouille. Je klarer wird, dass die Verbindungen zwischen Moskau und Trump wesentlich intimer waren als er jemals zugeben wird, desto schwieriger wird der Kampf ums politische Überleben. Nur ein Krieg kann jetzt noch den faltigen Hals retten, am Besten einer, der das Volk dazu bringt, sich hinter den POTUS zu scharen und alle anderen Stimmen zumindest vorübergehend zum Schweigen verdonnert.
Mit Iran haben die USA sowieso noch die eine oder andere Rechnung offen. Obwohl, eigentlich wird eher umgekehrt ein Schuh draus. Iran nämlich hat den Westen per se und die USA im Besonderen bisher hauptsächlich als Übeltäter erlebt. Beispiele gefällig? Vergessen wir mal die Tabak-Konzessionen, die den deutsch-britischen Baron Reuter stinkreich und den Aufstieg des Reuterschen Nachrichtenbüros zum globalen Marktführer überhaupt erst möglich gemacht haben. Vergessen wir auch , dass die Briten die gesamte erste Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts ein Monopol auf persisches Erdöl hatten und nicht im Traum daran dachten, das Land und seine Bevölkerung in irgendwelchem nennenswerten Umfang daran zu beteiligen. Vergessen wir ebenfalls, dass Briten und Russen das Land im Zweiten Weltkrieg genau zur Hälfte zwischen sich aufteilten, obwohl Iran überhaupt kein Kriegsteilnehmer war. Was wir aber nicht vergessen sollten, und hier nehmen die Konflikte der Gegenwart ihren eigentlichen Anfang, dass die USA (und mit ihnen die Briten) 1953 in einem von der CIA initiierten Putsch die demokratisch gewählte Regierung Irans stürzten und das Terrorregime des Schahs installierten. Der Schah regierte danach mit grausamer Härte, gestützt auf seine allgegenwärtige und wegen ihrer brutalen Foltermethoden gefürchtete Geheimpolizei SAVAK. Aufgebaut und trainiert wurde SAVAK übrigens auch von Spezialisten des israelischen Mossad (Kaveh Moraj, S. 75-76). Letzteres erklärt zu einem kleinen Teil die tiefe Antipathie der Islamischen Republik Iran gegen den einstigen engen Verbündeten Israel.
Kein Wunder, dass die USA und der Westen im Iran nicht gerade als Freunde angesehen wurden. Das letzte bisschen Vertrauen in der iranischen Bevölkerung verloren die USA, als sie nach der islamischen Revolution von 1978/79 den irakischen Diktator Saddam Hussein darin bestärkten, einen Angriffskrieg gegen Iran zu führen, der als einer der blutigsten und langwierigsten Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Das Ziel war klar: Mit Hilfe Saddams sollte die Revolution rückgängig und Iran in den ‚Schoß des Westens‘ zurückgebracht werden. Zugleich wollten sich die USA so für die völkerrechtswidrige Geiselnahme amerikanischen Botschaftspersonal durch revolutionäre Studenten in Teheran rächen. Der Krieg kostete weit über 1 Million Menschen, darunter 300.000 Iraner, das Leben, gewinnen konnte Irak ihn trotz massiver Unterstützung durch die USA nicht.
Seitdem herrscht offene Feindschaft zwischen den beiden Ländern, die auf iranischer Seite von abgrundtiefem Misstrauen gegen die USA geprägt ist. Dieses Misstrauen ist es auch, dass die konservativen Mullahs trotz ihrer repressiv-autoritären Herrschaft an der Macht hält. Trumps jüngste Attacke spielt ihnen daher sehr in die Hände und hilft ihnen, jegliche progressive Opposition im Lande im Zaum zu halten.
Was uns zum Atomkonflikt bringt. Iran hat 1970 den Nuclear Non-Proliferation Treaty unterzeichnet. Mit der Unterzeichnung verpflichtete sich das Land, auf die Entwicklung eigener Atomwaffen zu verzichten. Der Vertrag erlaubt aber auch ausdrücklich den Aufbau einer eigenen Atomindustrie und die Anreicherung von Plutonium zu zivilen Zwecken (Energieerzeugung). Die Islamische Republik hat als Rechtsnachfolger des Kaiserreichs die Verpflichtungen aus dem Vertrag übernommen und sich nach Anschauung der Internationalen Atomenergie-Kommission auch daran gehalten.
Das stört und kümmert allerdings weder Trump noch seine engsten Verbündeten in der Region, Saudi Arabien und Israel. Stattdessen wird Iran zum Pariah-Staat deklariert, der Al- Qaida und ISIS unterstützt. Letzeres eine der aberwitzigsten Behauptungen überhaupt. Beide Terrororganisation wurden und (werden noch) von Saudi Arabien, dem Erzfeind Irans in der Region, unterstützt. Beide sind Sunni-Organisationen, die die Schiiten, und damit auch den schiitischen Iran, als Todfeinde betrachten und sie gnadenlos bekämpfen. Im Irak, auch das sollte Trump bekannt sein, hat der Iran die USA sogar massiv bei der Bekämpfung von Al-Qaida unterstützt.
Aber darum geht’s auch gar nicht. Sowenig, wie es um das iranische Atomprogramm geht. Es geht um alte Rechnungen, die zwischen Iran und den USA offen sind. Es geht um die Vorherrschaft in der Golfregion, in der ein starkes Iran den USA Konkurrenz machen könnte. Und es geht, am Ende, um die Wiederherstellung der globalen amerikanischen Monopol-Machtstellung. Und dazu gehört auch die Ausschaltung Europas als potenzieller Machtfaktor und die direkte Konfrontation mit China und Russland. Klar ist aber vor allem: Trump spielt mit dem Feuer. Am Ende könnte es uns alle verbrennen.
Titelphoto: Google Maps
Ein kleines Tagebuch, geführt von Jonathan Gold
Wenn Chinesen einem Pest, Tod und Teufel an den Hals wünschen, dann sagen sie manchmal freundlich lächelnd: „Mögest du in interessanten Zeiten leben.“ Wir leben in interessanten Zeiten. In höchst interessanten Zeiten sogar, in denen sich die Welt mit rasender Geschwindigkeit verändert. Zum Guten, zum Bösen? Schwer zu beurteilen für diejenigen, die sich an den Türgriffen eines Schnellzuges festklammern, der außer Kontrolle geraten scheint und mit Höchstgeschwindigkeit auf einen Tunnel zurast, dessen Eingang einfach nur schwarz ist. Ob an seinem Ende ein Licht scheint, weiß wahrscheinlich selbst der Zugführer nicht. Und der hat immerhin die beste Sicht. Grund genug, endlich ein Tagebuch zu starten, das stichwortartig die kleinen und großen Begebenheiten eines immer verwirrenderen Alltags dokumentiert. Vielleicht zeichnet sich irgendwann ja doch eine klare Linie in all dem Chaos ab, das landläufig Gegenwart genannt wird.
Freitag, 13. April 2018
Der Golfstrom wird immer schwächer, melden die Tagesmedien. Schon jetzt ist er so schwach wie seit 1.600 Jahren nicht mehr. Schuld ist natürlich der Klimawandel. Abschmelzendes arktisches und grönländisches Eis verändern den Salzgehalt des Meerwassers, das wiederum beeinflusst den Wärmeaustausch zwischen Tropen und Nordhalbkugel, für den der Golfstrom als Vehikel dient. Die voraussehbaren Folgen für Nordeuropa, Großbritannien eingeschlossen: Es wird kälter, vor allem in den Wintern. Und nasser, vor allem in den Sommern. Die nicht genau vorhersehbaren Folgen? Die lassen wir lieber die nächsten Generationen ausbaden.
In Syrien ist die Hölle los. Buchstäblich. Kurden, Türken, Djihadis aller Couleur, ISIS (ja, den gibt‘s immer noch), Iran, Saudi Arabien, Israel, Russland, die USA, Deutschland, Frankreich, Assad und seine Alawiten-Clique, andere Rebellen und neuerdings auch die AfD tragen dort irgendwelche Konflikte aus, vertreten eigene Interesse, bomben und schießen um Macht, Einfluss und Erdöl. Mittendrin Zivilisten, die erschossen, ausgebombt, um Haus und Hof gebracht und vergast oder mit Chemiewaffen verätzt werden. Höllisch, wie gesagt. Aber offensichtlich noch nicht höllisch genug, denn jetzt gehen dort aller Voraussicht nach auch noch Trump und Putin direkt aufeinander los. Nur zur Erinnerung: Beide haben genug Atomwaffen, um jede ernsthafte Auseinandersetzung zur letzten des Planeten werden zu lassen. Doch wieso sind eigentlich ausgerechnet Syrien, der Mittlere Osten und Israel Dauer-Brennpunkte? Wer wirklich an historischen Zusammenhängen interessiert ist, sollte in einer Suchmaschine des Vertrauens mal nach Begriffen wie „Sykes-Picot Agreement“, „Osmanisches Reich“, „Vertrag von Lausanne“, „Balfour Deklaration“ oder „Holocaust“ fragen. Nur so als Anregung….
Nachtrag: Ganze vier Stunden nachdem ich diesen Beitrag geschrieben habe, ging das Bombardement auch schon los.
Apropos Trump. Der unmöglichste US-Präsident aller Zeiten wütet mal wieder auf Twitter. Diesmal geht‘s gegen den früheren FBI-Direktor James Comey. Als Trump noch der Kopf der amerikanischen Reality-TV Gameshow „The Apprentice“ war, konnte er nach Abschluss jeder Episode einen Kandidaten feuern. Das für Trump Erfreuliche daran war, dass die Gefeuerten keine Widerworte gaben oder geben durften, auch nach ihrem Rauswurf waren sie vertraglich zum Schweigen verpflichtet. Dieses Schweigen hatte er von James Comey ebenfalls erwartet, als er ihn vor rund einem Jahr spektakulär feuerte. Doch Comey denkt gar nicht daran, ihm den Gefallen zu tun. Stattdessen hat er ein Buch veröffentlicht, das den Präsidenten alles andere als schmeichelhaft porträtiert. Comey vergleicht Trump mit einem aufgeblasenen Mafiaboss, dem die Lüge zur zweiten Natur geworden ist. Kein Wunder, dass der Präsident schäumt. Irgendwie muss er sich abreagieren. Da kommt Syrien gerade recht.
Zurück nach Deutschland. Da feiert die Musikbranche mal wieder Verkaufszahlen und bemüht sich nach Kräften, alle Kontroversen, Widersprüchlichkeiten und politischen Ungeheuerlichkeiten möglichst weit unter den roten Teppich zu kehren, und dann sowas. Ausgerechnet Altpunk Campino hält die wohl wichtigste Rede des Jahres. Nicht weiterlesen, einfach zuhören!