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Barrieren überwinden: The Scorpions in Leningrad 1988

In den späten Achtzigern fegte ein Sturm durch Europa, der alte Gewissheiten über den Haufen warf und Systeme zerbröckeln ließ. Der Eiserne Vorhang, seit Ende des Zweiten Weltkriegs die beinahe unüberwindliche Barriere im Herzen Europas, rostete rapide und die Löcher in ihm wurden immer größer, bis er schließlich mit dem Berliner Mauerfall endgültig in Fetzen riss. Eine willkommene Folge war die Öffnung des bis dahin beinahe hermetisch abgeschlossenen Osten Europas für westliche Popkultur – und damit für deutsche Bands. Eine Reihe von Zeitgeschichten schildern Aufbrüche in Ost und West, erste zaghafte Reisen westlicher Musiker hinter den Eisernen Vorhang, Andeutungen künftiger Umwälzungen und Revolution, das Keimen von Hoffnungen,, die am Ende auf den Schlachtfeldern der Ukraine einmal mehr – Geschichte wiederholt sich doch, wenn auch in immer etwas anderen Szenarien – im Blut ertrinken. Insgesamt fünf Zeitgeschichten reflektieren eine sehr kurze Periode von gerade einmal fünf Jahren. Den Anfang macht diese hier, die  Schilderung des ersten Besuchs der Scorpions in der Sowjetunion im April 1988. Im September 1988 fuhr ich dann mit den Toten Hosen nach Litauen, wo eine erstarkende Unabhängigkeitsbewegung immer öffentlicher wurde. Im tiefen Winter 1988 traf ich in Moskau Stas Namin, Bon Jovi und andere Akteure, die ein sowjetisches Woodstock auf die Beine stellen wollten. Das fand dann im August 1989 statt, und ist das Thema einer weiteren Zeitgeschichte. Die letzte Zeitgeschichte in dieser Reihe beschreibt die Reise von Kreator in den frühen Neunzigern in ein Moskau, das sich bereits rapide verändert hatte. Die Sowjetunion gab es nicht mehr, Grenzen wurden überall neu gezogen, und Russland verstand sich zunehmend als Verlierer der friedlichen Revolution, die Europas Angesicht von Grund auf verändert hatte. In Moskau wie im Rest Russlands wurden die nationalistischen Töne immer lauter und ein düsterer Revanchismus wurde zur Ideologie zumindest in rechten Kreisen. Mit dieser Zeitgeschichte endet dann der Russland-Zyklus. 

In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts war Westeuropa zusammengewachsen und die Grenzanlagen wurden immer durchlässiger. Man besuchte sich zwanglos, lebte im einen Land und arbeitete im anderen – eine neue, europäische Realität formte sich, die von den Bürgern auch als solche erlebt wurde. Die Spaltung des Kontinents, und damit die Spaltung Deutschlands, in Ost und West allerdings bestanden fort. Die tiefgreifenden Veränderungen und Revolutionen der späten Siebziger und frühen Achtziger fanden im Westen zunächst im Stillen statt und wurden vor allem von neuen Technologien angetrieben. Die Achtziger waren das Jahrzehnt, in dem eine technologische Revolution anfangs kaum merklich Fahrt aufnahm, die am Ende die Musikindustrie in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Erschüttert und über den Haufen geworfen wurde auch ein für alle Mal die Art und Weise, in der Musik gehört, erlebt, empfunden und konsumiert wird.

Revolutionen sind weder gut noch böse. Wie auch immer sie enden, ob mit einer Republik, mit einer Demokratie, einem sozialistischen Staat, einer totalitären Diktatur oder einer islamischen Republik – ihr eigentliches Wesen ist die radikale Veränderung, nicht die neue Ordnung danach. Politische Revolutionen müssen nicht unbedingt von unten kommen, begonnen und ausgefochten von Kräften, die in Opposition zur existierenden Ordnung stehen und diese verändern wollen. Revolutionen können auch von oben initiiert werden. Manchmal reicht dazu ein einfacher Verwaltungsakt, die Anweisung, ein Element des Status Quo zu modifizieren. Die Folgen dieses Verwaltungsaktes scheinen absehbar und wohl kalkulierbar. Doch kein Verwaltungsakt kann für sich allein stehen, jeder bewirkt eine Veränderung am Gesamtgefüge, die zwangsläufig weitere Veränderungen nach sich zieht. Und plötzlich kommt eine Lawine ins Rollen, die der ursprüngliche Verwaltungsakt sicherlich nicht auslösen sollte, die aber unaufhaltsam die alte Ordnung zerstört.

Michail Sergejewitsch Gorbatschow wurde im März 1985 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Land bereits in einer tiefen ökonomischen Krise. Der 1979 begonnene Krieg in Afghanistan hatte sich zum sowjetischen Vietnam entwickelt, ein Konflikt, der enorme Massen an Kapital und Material verschlang und viele junge Sowjetsoldaten das Leben kostete. Dieser Krieg, das war sowjetischen Militärs und einigen hellsichtigen Mitgliedern des Politbüros bereits 1985 klar, konnte mit konventionellen Mitteln nicht gewonnen werden. Wenn er überhaupt gewonnen werden konnte. Ein Blick in die Geschichte des späten 19. Jahrhunderts hätte den Sowjets eine Warnung sein sollen, als sie sich am 25. Dezember 1979 dazu entschieden, militärisch in den afghanischen Bürgerkrieg einzugreifen. Denn bereits im ersten Anglo-Afghanischen Krieg vom Juli 1839 bis Oktober 1842 hatte das britische Empire eine empfindliche Niederlage gegen afghanische Stammeskrieger einstecken müssen und über 20.000 Mann verloren.

Die Belastungen durch den Krieg, ein erstarrtes und unflexibles Wirtschaftssystem, das nach den planerischen Prinzipien der US-amerikanischen Ingenieure Taylor und Ford organisiert war, veraltete Industrien und ineffiziente Verwaltungsstrukturen hatten die UdSSR in eine politische und ökonomische Krise schlittern lassen, die durch die Kosten des Rüstungswettlaufs mit dem Westen noch dramatisch verschärft wurde.

Gorbatschow wollte sich diesen Problemen mit einem reformerischen politischen und ökonomischen Ansatz stellen. Die Leitlinien, verkündet direkt nach seinem Amtsantritt im April 1985, hießen Umbau des Systems (Perestroika) und Transparenz (Glasnost). Umbau allerdings nicht als Revolution, sondern als Reform, als kontrollierte Veränderung, initiiert durch Verwaltungsvorschriften und gezielte Eingriffe in die Mechanismen von Institutionen. Glasnost bedeutete vor allem, dass Missstände offen kritisiert werden sollten; in der Tradition von Kritik und Selbstkritik sollte die Benennung von Fehlern zu deren Behebung führen. Die Verwaltungsvorschriften waren erlassen, der Plan wurde in die Tat umgesetzt. Welche weitreichenden Folgen vor allem Glasnost haben sollte, war im April 1985 unmöglich vorhersehbar.

Dass der „Wind Of Change“ in der Sowjetunion an Stärke zunahm, ahnten die Scorpions bereits, als sie drei Jahre nach Gorbatschows Erklärung im April 1988 als erste westliche Heavy Rock-Band zu zehn Konzerten nach Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, eingeladen wurden (zuvor traten Uriah Heep 1987 zehnmal in Moskau auf).

Scorpions, Crew und Journalisten vor der Konzerthalle (und der Autor im Vordergrund)

Leise dümpelte der Panzerkreuzer Aurora vor sich hin, mit dem Ufer der Newa fest verbunden durch einen stählernen Laufsteg. Aus seinen Kanonen hatten meuternde russische Matrosen in der Nacht vom 25. Oktober 1917 mit Platzpatronen das Signal zum Sturm auf den Winterpalast des Zaren gegeben, der Startschuss für die Russische Revolution, die das Ende des Zarenreiches einläutete und mit der Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken enden sollte. Die UdSSR schien an jenem kalten Apriltag 1988 noch unerschütterlich, an dem sich eine Gruppe junger Männer mit langen Haaren, gekleidet in nietenbeschlagene Lederjacken und hautenge schwarze Lederhosen, an den Füßen silberbeschlagene Cowboystiefel, die Augen verborgen hinter dunklen Sonnenbrillen, vor dem Laufsteg drängelte und Einlass suchte in das zum Revolutionsmuseum umfunktionierte Kanonenboot. Westliche Dekadenz in Reinkultur, so mag diese Gruppe ungläubig schauenden Leningradern erschienen sein. In ihrem Gefolge fand sich ein Tross von Fotografen, Journalisten, Freunden und Betreuern, alle vom Erscheinungsbild her unverkennbar westlich und in deutscher und englischer Sprache wild durcheinander palavernd.

In einigen Metern Entfernung von der auffälligen Reisegruppe lungerten einige russische Teenager herum, die sie aufmerksam beäugten. Einer hielt das sowjetische Äquivalent eines Ghettoblasters im Arm. Er lächelte zu den Westbesuchern hinüber und drückte auf den Startknopf des Kassettenspielers. Aus den Lautsprechern dröhnte leicht verzerrt einer der damals größten Hits der Scorpions, die Ballade „Still Loving You“. Die Jugendlichen winkten schüchtern zu der Gruppe an der Aurora hinüber, in denen sie zu Recht die Scorpions erkannt hatten. Dass sie auch auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs schon bekannte Größen waren, hatten die Musiker in den Tagen seit ihrer Anreise zu ihrer eigenen Überraschung lernen können. Der Eiserne Vorhang schien zwar politisch noch unüberwindlich, war aber nicht so hermetisch von westlicher Popkultur abgeschirmt, wie es von außerhalb erscheinen mochte.

Klaus Meine kommentierte damals mit Blick auf die Gruppe von Teenagern: „Das begann schon am Moskauer Flughafen. Obwohl wir dort nur zwischengelandet waren und die Aufenthaltszeit bis zum Weiterflug nach Leningrad (das heutige St. Petersburg) nur kurz bemessen war, tauchte dort eine Menge Jugendlicher mit tragbaren Kassetten-Rekordern auf, die sie uns entgegenhielten und aus deren Lautsprechern unsere Songs schepperten.

Insgesamt zehn Konzerte sollten die Scorpions in diesem kalten April in der Zarenstadt am Finnischen Meerbusen spielen. An allen Tagen war die Leningrader Sporthalle, ein imposanter Rundbau, der der Dortmunder Westfalenhalle 1 ähnelte, aber noch etwas größer war als das westfälische Juwel, restlos gefüllt. Der Ausflug in die Sowjetunion ergab wirtschaftlich wenig Sinn und war eher Ausdruck einer Lebensphilosophie, die dem Handeln der Band seit frühen Tagen zugrunde lag. Rudolf Schenker beschrieb diese damals so: „Wir wollen Neuland erkunden, want to break barriers (wollen Schranken niederreißen).

Diese Neugier auf die Welt war es, die die Band von Anfang an vorwärts trieb. Eine Neugier, die sie empfänglich machte für andere Kulturen und Lebens- und Denkweisen und die zudem die Sinne für Entwicklungen schärfte, die unter scheinbar ruhigen Oberflächen stattfanden. Was sie in Leningrad vorfanden, war eine Sowjetunion, in der ein erbitterter interner Konflikt zDass der „Wind Of Change“ in der Sowjetunion an Stärke zunahm, ahnten die Scorpions bereits, als sie drei Jahre nach Gorbatschows Erklärung im April 1988 als erste westliche Heavy Rock-Band zu zehn Konzerten nach Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, eingeladen wurdenwischen Reformern und Konservativen tobte. Auf der einen Seite fand sich der Zirkel um Gorbatschow, auf der anderen deren reaktionäre Gegenspieler um Jegor Kusmitsch Ligatschow, den Gorbatschow selbst ins Politbüro der KPdSU geholt hatte und der lange Zeit als der zweite Mann nach dem Generalsekretär galt. Dass sich ein Umbruch anbahnte in der Sowjetunion – und damit in ganz Osteuropa – erkannte Klaus Meine bereits in Leningrad: „Wir spielen hier als erste westdeutsche Rockband. Wir zahlen alles aus eigener Tasche, eine Investition, die sich aber trotzdem lohnt. Wir brechen das Eis und öffnen hoffentlich Türen für andere deutsche und westliche Bands.“ Er zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: „Solange sich die politische Lage nicht wieder verschlechtert.“ Die angesprochene Verschlechterung lag 1988 durchaus noch im Bereich des Möglichen, die Machtkämpfe innerhalb der KPdSU hatten auch direkten Einfluss auf die Konzertplanung der Scorpions gehabt.

Ursprünglich hatte die Band zunächst fünf Konzerte in Moskau und dann fünf weitere in Leningrad spielen sollen, doch dann machten die Moskauer Behörden wegen der bevorstehenden Maifeierlichkeiten Sicherheitsbedenken geltend und sagten die Termine in der Hauptstadt kurzerhand ab. Für Klaus Meine damals zwar ärgerlich, aber:

„Hier in Leningrad ist alles so interessant und beeindruckend, dass es uns am Ende doch weniger ausmacht als gedacht. Im Gegenteil, wir kommen kaum dazu, all die Eindrücke zu verarbeiten, die in diesen Tagen auf uns einstürzen und die uns regelrecht überwältigen.“

Zu diesen Eindrücken gehörten auch die Gruppen von Fans, die sich vor dem Hotel Pulkowskaja, damals die erste Adresse in der Stadt an der Newa und mit westlichem Komfort ausgestattet, drängten. Viele waren eigens für das Konzert aus anderen Teilen der UdSSR angereist, einer hatte Eis, Schnee und bitterer Kälte getrotzt, um aus dem fernen Sibirien per Anhalter nach Leningrad zu gelangen, um seine Lieblingsgruppe einmal live erleben zu können. Als die Scorpions von seiner Geschichte erfuhren, luden sie ihn zu einem Treffen ein und arrangierten für ihn außerdem freien Eintritt für die Konzerte.

In diesen zehn Tagen verschanzten sich die Musiker nicht in der Enklave mit westlichen Annehmlichkeiten, die das Pulkowskaja bot, sondern drängten hinaus in die Stadt, um sie zu sehen, riechen, fühlen und erleben. In einer Nacht landeten sie in einem der halblegalen, stickigen und verrauchten Untergrund-Clubs Leningrads, wo eine örtliche Rockband aufspielte. KDass der „Wind Of Change“ in der Sowjetunion an Stärke zunahm, ahnten die Scorpions bereits, als sie drei Jahre nach Gorbatschows Erklärung im April 1988 als erste westliche Heavy Rock-Band zu zehn Konzerten nach Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, eingeladen wurdenDass der „Wind Of Change“ in der Sowjetunion an Stärke zunahm, ahnten die Scorpions bereits, als sie drei Jahre nach Gorbatschows Erklärung im April 1988 als erste westliche Heavy Rock-Band zu zehn Konzerten nach Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, eingeladen wurdenurzentschlossen sprangen sie auf die Bühne und das zunächst verdutzte, dann begeisterte Publikum erlebte eine ausgedehnte Jamsession mit Musikern beider Bands. Später erinnerte sich Gitarrist Matthias Jabs mit Schaudern an das Equipment der Russen: „Die Verstärker lieferten eine Art Apfelsinenkisten-Sound, die Gitarren waren ‚Marke Eigenbau‘ und der Club war kaum mehr als ein mittelprächtiger Übungsraum. Der Sound war schrecklich, aber es hat dennoch mächtig Spaß gemacht. Bei der Gelegenheit ist mir erstmals so richtig klar geworden, unter welch miserablen Bedingungen russische Musiker arbeiten müssen.

Rockmusik, das machte nicht nur dieser nächtliche Ausflug in den subkulturellen Untergrund Leningrads klar, hatte sich in der Sowjetunion längst etabliert. Singles und Langspielplatten wurden seit Jahren aus dem Westen kontinuierlich ins Land geschmuggelt oder ganz einfach dreist und ohne Rücksicht auf irgendwelche westlichen Copyrights von der staatlichen Plattenfirma Melodija kopiert und in beachtlichen Stückzahlen an die sowjetische Jugend verkauft. Rockmusik kam auch über den Äther: Amerikanische Propagandasender wie Radio Free Europe/Radio Liberty oder Voice of America strahlten sie gezielt in den damaligen Ostblock aus. Rockbands gab es in jeder größeren Stadt und sie hatten durchaus ihr Publikum. Einige wie die Schwermetaller Kruiz oder Shah machten Ende der Achtziger des vergangenen Jahrhunderts bereits im Westen von sich reden.

Als Vorband hatte das staatliche Veranstaltungs- und Konzertbüro Goskonzert die Moskauer Band Gorki Park engagiert, eine melodiöse Hardrockband, die sich nicht nur musikalisch, sondern auch modisch stark an amerikanische Vorbilder anlehnte. Gorki Park symbolisierten in mancher Hinsicht den Wandel, der sich innerhalb der Sowjetunion vollzog. In den Straßen der kalifornischen Hair Metal-Metropolen oder Londons wären die Musiker mit ihren Ledermonturen, den hautengen Röhrenjeans und den langen Haaren kaum aufgefallen, in der sowjetischen Metropole am Finnischen Meerbusen sah die Sache 1988 noch etwas anders aus.

Gorki Park-Gitarrist Alexey Belov hatte sich bereits einen Namen erspielt, lange bevor Michail Gorbatschow die Wende einleitete. Mit diversen Formationen hatte er Platten veröffentlicht, von denen in der UdSSR mehrere Millionen Exemplare verkauft worden waren. An den Umsätzen, die die staatliche Plattenfirma Melodija mit diesen Alben erzielte, waren die Musiker allerdings nicht beteiligt, wie Belov in Leningrad leicht angesäuert beklagte: „Bezahlt wurden wir einmalig pro aufgenommene Minute Musik. Wenn also die Gesamtzeit einer LP hundert Minuten betrug, dann erhielt ich – vorausgesetzt, die Gitarre war die ganzen hundert Minuten lang zu hören – exakt hundert Rubel. Das war‘s, keine Kopeke mehr oder weniger, ganz egal, wie viele Platten anschließend verkauft wurden. Deswegen habe ich mir, sobald sich das politische Klima zu verändern begann, Musiker gesucht, um eine Band nach westlichem Muster zu formen, mit der ich professionell arbeiten kann.

Die Musiker fand er schnell in der Moskauer Szene. Wichtiger noch, er fand mit Stas Namin einen Manager, der nicht nur selbst Musiker war, sondern zudem West-Erfahrung hatte und der eine entscheidende Rolle bei der Organisation des Moscow Music Peace-Festivals ein Jahr später spielen sollte.

Stas Namin war einer der wenigen ganz großen sowjetischen Popstars der frühen Achtziger, deren Platten auch außerhalb des Ostblocks erfolgreich waren und es in amerikanische und australische Hitparaden schafften. Als Gorbatschow damit begann, seine Ideen von Glasnost und Perestroika in die Praxis umzusetzen, erkannte Stas Namin schnell, welche Möglichkeiten ihm die Liberalisierung des sowjetischen Kulturbetriebs eröffneten. Als erster Sowjetbürger gründete er eine private Management- und Produktionsfirma, die auf westliches Know-How zurückgreifen konnte. In seinem Moskauer Gorki Park-Musikcenter stellte er Übungsräume bereit und baute ein semiprofessionelles Tonstudio auf. Dazu kamen eine professionelle Managementfirma, eine eigene Tontechnik, ein Restaurant und eine Freiluftarena im Gorki Park, direkt am Ufer der Moskva. Stas Namin hatte Gorki Park auch die Konzerte im Vorprogramm der Scorpions vermittelt und war mit der Band an die Newa gereist. Für die Scorpions sollte sich dieser erste Kontakt mit Stas Namin noch als sehr wichtig erweisen.

Ohne die bemerkenswerte Fähigkeit der Scorpions, schnell Freundschaften zu schließen und nützliche Kontakte zu pflegen, wären diese Konzerte in der UdSSR im Frühjahr 1988 kaum möglich gewesen, was auch Klaus Meine betont: „In die UdSSR sind wir über den Umweg Ungarn gekommen. Dort hatten wir mit dem Konzertveranstalter Laszlo Hegedus zusammengearbeitet, der wiederum hatte Beziehungen in die Sowjetunion, die er für uns hat spielen lassen.“

In Leningrad spielten die Scorpions vor einem bunt gemischten Publikum, in dem sich Heavy Metal- und Rockfans ebenso fanden wie biedere Familien, die der Hauch des Exotischen angelockt hatte, und viele Soldaten und Milizionäre in Uniform. So gemischt das Publikum auch war, die Resonanz war überwältigend und festigte den Status der Band in der Sowjetunion.

Für die Scorpions war der erste Abstecher in die Sowjetunion keine Konzertreise wie alle anderen. Noch trennte der rostende Eiserne Vorhang zwei grundverschiedene Welten voneinander. Doch 1988 wurden die ersten Risse und Rostlöcher schnell größer und die Grenzen damit zunehmend durchlässiger. „In Leningrad haben wir uns zum ersten Mal als deutsche Band gefühlt“, reflektiert Klaus Meine. „Bis dahin waren wir vor allem eine internationale Band, die zufällig aus Deutschland kam. Aber Leningrad ließ sich nicht mit London, Rio oder Los Angeles vergleichen. In Leningrad, wie überall in Osteuropa, hatten Deutsche nur wenige Jahrzehnte zuvor fürchterlich gewütet. Und da kamen wir nun als deren Kinder in diese Stadt und wurden gastfreundlich aufgenommen. Uns blieb nur, Demut zu zeigen. Für großspuriges Auftreten oder Rockstar-Gehabe war da schlicht kein Platz. Unsere Väter kamen mit Panzern, wir kamen mit Gitarren.“

C 1988/2020/2021 Edgar Klüsener,

Veröffentlicht unter anderen in Metal Hammer Germany, UK, Spain, Greece, France, Spain and Hungary. Auszüge außerdem im Buch ‚Wind of Change‘ (Hannibal 1993)

 

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Wodka, Kaviar und Bon Jovi… Moskauer Tage und Nächte…

Diese Zeitgeschichte erzählt von einigen kalten Wintertagen Ende 1988 in der russischen Hauptstadt Moskau. Damals gab es noch die Sowjetunion, Mikhail Gorbatschow war der neue Vorsitzende der KPdSU und hatte gerade sein Programm der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erneuerung gestartet. Glasnost und Perestroika waren die Schlagworte für Konzepte gesellschaftlicher Erneuerung, die nicht nur im Sowjetblock die Menschen elektrisierten. In der Folge zeigte der Eiserne Vorhang, der Europa in der Zeit des Kalten Krieges in zwei hermetisch voneinander abgeschottete Hälften, geteilt hatte, erste Rostlöcher. Durch diese schlüpften auch westliche Rockbands. Im April 1988 war ich mit den Scorpions in Leningrad später im selben Jahr dann mit den Toten Hosen und Ülo in Litauen, damals noch eine Teilrepublik der Sowjetunion. Die Winterreise, der dritte Ausflug in die Sowjetunion im Jahr 1988, von der in der Folge die Rede sein wird, hatte zwei Gründe. Zum einen war ein Treffen mit Stas Namin anberaumt, in dem ausgelotet werden sollte, ob es eine Zukunft für eine russischsprachige Version des Metal Hammer geben könnte. Zum anderen gab es etwas zwischen Stas Namin und dem Bon Jovi-Manager Doc McGhee zu besprechen, das auf ein Großereignis im August 1989 hindeutete. 

Väterchen Frost zeigte sich streng. Minus 15 Grad bescherte er den Moskauern und dazu jede Menge Schnee. Und das bereits Ende November, zu einer Zeit also, in der sich unser heimatliches Klima noch beharrlich weigert, die Temperaturen unter die magische Marke Null sinken zu lassen, uns höchstens einmal in höheren Lagen Schneeregen und morgendliches Glatteis beschert. Was mitteleuropäischen Autofahrern jedoch durchaus schon als Grund reicht, ein bemerkenswertes Chaos auf Straßen und Autobahnen anzurichten.

Ganz anders in Moskau. Die Autofahrer der zehn Millionen Einwohner zählenden Sowjet-Metropole beherrschen ihre Vehikel in jeder Schnee- und Eislage perfekt. Ein Blick auf den Tacho beweist es: Mit 80 Sachen prescht unser Fahrer über eine Fahrbahn, die so spiegelglatt ist, wie sie aussieht, schleudert leicht in den Kurven, hat jedoch den Wagen in jeder Sekunde der Fahrt voll unter Kontrolle. Nicht unter Kontrolle ist dagegen der eigene Herzschlag, der ständig neue Spitzengeschwindigkeiten vorlegt, wenn der Wagen in hohem Tempo auf einen Fußgängerüberweg zubraust, auf dem sich Scharen von Passanten bewegen. Bremsen ? Freilich, aber doch bitteschön erst in letzter Sekunde. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung. Die Passanten lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, der Chauffeur nicht, nur Metal Hammer Chefredakteur Edgar Klüsener  und Metal Hammer-Herausgeber Jürgen Wigginghaus

Jürgen Wigginghaus 1988

stöhnen immer wieder gepeinigt auf und sind heilfroh, als die Fahrt am ihnen zugedachten Hotel endlich ihr Ende findet. Der Name der Unterkunft ist unaussprechlich, lässt sich aber, so versichert der uns für die Dauer unseres Aufenthaltes zugewiesene Schutzengel Sascha, bequem auf CeDeTe abkürzen. Nun denn, halten wir’s also für derhin damit. Ansonsten ist das Hotel bemerkenswert gigantisch. 22 Stockwerke, mehrere Restaurants und Bars (die um 23.00 Uhr Ortszeit schließen), Swimming Pool (überdacht natürlich) und ein professionelles Tonstudio beherbergt es ebenso wie diverse kleine Läden und Verkaufsstände. Trotzdem ist es keins von den besten der Stadt. Die befanden sich am Tage unserer Ankunft noch fest in den Händen des französischen Ministerpräsidenten Mitterand und seiner Gefolgschaft, den Delegiertinnen des Frauenverbandes der KPdSU und anderer offizieller Würdenträger und Amtsinhaber.

Dass es in der Sowjetunion bereits lange vor dem Fall des Eisernen Vorhangs eine rege Metalszene gab, war damals im Westen weitgehend unbekannt.

Aber zurück zum CeDeTe: Zum Hotel gehört außerdem eine Konzerthalle, in welcher gelegentlich auch Rockbands, darunter, man höre und staune, sogar sowjetische Speed- und Thrash-Kapellen auftreten. In der Hauptsache ist die Örtlichkeit jedoch Kongressen, Meetings und der eher seichten Muse vorbehalten.Das CeDeTe erfüllt offensichtlich alle Ansprüche. Doch nicht seinetwegen sind wir in die Metropole an der Moskwa gereist. Der Grund für den Ausflug in Eis und Schnee ist vielmehr ein Besuch im Moskauer Musik-Center, das erste privatwirtschaftlich organisierte professionelle Musik, Veranstaltungs-, Produktions- und Managementunternehmen in der Geschichte der UdSSR. Glasnost und Perestroika machten’s möglich.

Sascha holt uns eine Stunde nach dem Einchecken wieder vom Hotel ab. Mit einem neuen Wagen und einem anderen Fahrer. Auf geht’s in den Gorki Park, idyllisch und tief verschneit am Ufer der Moskwa sich dahinstreckend. „Knapp drei Kilometer des Parks„, erklärt Ssascha, „sind von der Zivilisation erschlossen, bebaut und vielfältig genutzt. Die restlichen 5O Kilometer überwuchert ein natürlicher Urwald…“ Die Erklärung beeindruckt ebenso wie die geschilderten Dimensionen. Das Musik-Center liegt Gott sei dank im erschlossenen Teil des Parks, ist also mit dem Wagen bequem erreichbar.

Und es hat ein Restaurant. Oder vielmehr eine Cafeteria, in der auch warme Mahlzeiten serviert werden. Es sind nur wenige Leute anwesend, eine kleine Gesellschaft also, die jedoch umso internationaler ist. Doc McGhee ist da, bekannt als Manager von Bon Jovi, den Scorpions, Cinderella und vieler anderer Majorbands. Bob Tulipan ist da, ein freier Promoter mit Offices in London und New York, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Stars des Bolschoi-Ballets mit denen der Leningrader Konkurrenz vom Kirov-Ballet zusammen auf Tour zu schicken. Außerdem Dmitry V. Shavirin, Redakteur der Tageszeitung Moskovsky Komsomolets sowie der Präsident Dennis Berardi (seinen Vize hat er gleich auch noch mitgebracht) von Kramer-Guitars. Letztere beiden haben im übrigen das Management der Gruppe Gorki Park, wir haben sie Mitte letzten Jahres bereits einmal vorgestellt, übernommen. Und dann sind da noch einige ausgesprochene Schönheiten weiblichen Geschlechtes. Und zwar die letztjährige Miss Moskau, ihre Kollegin Miss Sibiria und, ebenso ansehnlich wie schüchtern, Miss Asia. Mit diesen jungen Damen hat es eine besondere Bewandtnis: Sie alle nämlich werden ebenfalls vom ‚Center‘ gemanaged. Womit sich zeigt, dass dessen Aktionsradius weit über die schnöde Rockmusik hinausreicht…

Amerika entdeckt anscheinend die Sowjetunion. Glasnost und Perestroika machen’s möglich, dass die Rockwelt West enger als bisher mit der Rockwelt Ost zusammenwächst Die Rockwelt West, Sektion West-Germany (Plattenfirmen von WEA bis BMG Ariola), wird übrigens eine Woche nach diesem Treff in der Cafeteria des Musik-Centers erneut geschlossen in Moskau sein. Diesmal um der Livepräsentation von rund 30 sowjetischen Metalbands beizuwohnen. Aber das nur am Rande.

Verlassen wir nun das Musik Center und schlendern wir zurück ins Hotel CeDeTe. Dort läuft gar nichts mehr, die Bar ist ebenso dicht wie die Souvenirshops. Nightlife auf sowjetisch? Nicht die Bohne, als Alternative bleibt nur das Bett. Aus dem es am nächsten Morgen recht zeitig wieder rausgeht. Dmitry Shavirin hat sich angesagt und will sein Interview mit dem Metal Hammer/Crash. Über diese unsere Publikation, in der SU ebenso bekannt wie unerschwinglich (80 Rubel, das entspricht einem legalen Umtauschwert von 240 DM, ist der Schwarzmarktpreis für eine Ausgabe), soll in der Moskowsky Komsomolets (Auflage immerhin gut 1 Million Exemplare täglich) eine große Geschichte erscheinen.

Das Interview

Nach dem Interview dann Sightseeing. Soweit bei dem grautrüben Winterwetter, das draußen das Bild bestimmt, von ‚Sehen‘ überhaupt die Rede sein kann. Es schneit ununterbrochen.

Sascha kommt – mit neuem Auto und neuem Chauffeur…

Sagmal, Sascha, wo bekommst Du eigentlich ständig die Fahrzeuge her?

Ich stehle sie…

Du machst waaaasss?!

Naja, stehlen ist vielleicht das falsche Wort. Ich leihe sie mir halt aus… Vom Peace Committee.

Das ‚Peace Committee‘ ist eine staatliche Organisation, die direkt dem ZK der KPdSU untersteht. Aufgabe des Komitees ist die Organisation und Durchführung aller möglichen und unmöglichen Aktionen, die der Propagierung und der Sicherung des Friedens dienen. Das Komitee lädt Delegationen ausländischer Friedensgruppen ins Land, führt Tagungen und Kongresse durch, wirbt für Frieden und Abrüstung ebenso wie für Völkerverständigung, stellt sich dabei auch schon mal gegen die eigene Regierung und gegen Armee und Partei und unterstützt offen und versteckt die Aktivitäten des Centers. Für seine Zwecke, in diesem Fall Abrüstung, wirbt das Komitee auch schon mal mit ebenso anzüglichen wie griffigen Slogans. Make Love Not War ist so einer, bekannt von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Ende der Sechziger, und Fuck For Peace ist ein anderer, doch bitteschön jeder beherzigen sollte.

Wenn Sascha nicht gerade Metal Hammer/ Crash-Redakteure, -Herausgeber und ähnliche Leute auf Schritt und Tritt begleitet, dann arbeitet er als Dolmetscher und Betreuer ausländischer Gruppen für das ‚Peace Committee‘. Das wiederum unterhält einen eigenen Wagenpark (samt zugehöriger Chauffeure), aus dem sich Sascha denn auch schamlos, obzwar nicht ganz legal, für unsere Transportzwecke bedient Es folgt ein Abstecher in eins der riesigen Moskauer Kaufhäuser. Deren Ausstattung läßt sich kaum an westlichen Standards messen, zu frisch ist noch Perestroika und zu schlecht noch die Versorgung mit Konsumartikeln, selbst in der Hauptstadt des Eurasischen Riesenreiches. Zumindest offiziell. Auf dem Schwarzmarkt ist die Situation wesentlich besser.

Sascha: „Auf dem schwarzen Markt kann man nahezu alles bekommen. Es gibt eine regelrechte Mafia, die den schwarzen Markt kontrolliert. Vor allem georgische Bauern verdienen sich dumm und dämlich. Sie bringen nur einen Teil ihrer Erzeugnisse in den offiziellen Warenumschlag ein, der Rest versickert auf dem grauen und dem schwarzen Markt. Melonen zum Beispiel, legal in Moskau so gut wie gar nicht zu bekommen, werden auf dem Schwarzmarkt zu horrenden Preisen gedealt. Bis zu 50 Rubel und mehr zahlt die Moskauer Hausfrau für eine Melone…

Vielmehr: die Hausfrau zahlt nicht, für sie ist die Melone schlicht unerschwinglich. Bezahlbar ist sie eigentlich nur für hohe Staatsbedienstete, für die neue Klasse der privaten Unternehmer und für andere finanziell Privilegierte. Wen wundert es da noch, dass es in den fruchtbaren und klimatisch begünstigten Schwarzmeer-Regionen die meisten sozialistischen Millionäre gibt?!

Wir haben, erstmals in der Geschichte der Sowjetunion, Ankunftszeit und -ort von Bon Jovi über die Tagespresse und übers Moskauer Fernsehen bekanntgemacht. Am Flughafen wird also die Hölle los sein…

Sascha grinst, als er uns dies mitteilt. Wir sind zurück im Center, wo sich die Belegschaft aufmacht, Bon Jovi am Flughafen zu empfangen. Ein Autokonvoi wird zusammengestellt, bestehend aus Wolga – 12 – Zylinder-Limousinen, BMW’s und anderen standesgerechten Fahrzeugen. „Bis vor acht Tagen war Bon Jovi in der UdSSR kaum bekannt, weit weniger jedenfalls als Bands wie die Scorpions oder Metallica. Dann haben wir unsere Medienkampagne gestartet, und jetzt kennt jeder Fan von Sibirien bis Leningrad die Jungs aus New Jersey. Ich schätze, dass am Flughafen trotz des miesen Wetters rund 7.000 Kids auflaufen werden…„, erläutert eine Mitarbeiterin des Centers. Ein Empfang also, wie er in unseren Breiten seit den seligen Zeiten der Beatles oder der Stones kaum noch einer Rockgruppe zuteil geworden ist.

Der Autokonvoi setzt sich in Bewegung, vornweg ein Polizeiauto mit eingeschaltetem Blaulicht. Damit beginnt eine der der beeindruckendsten Fahrten, die alle Beteiligten je miterlebt haben. Als gelte es, einen hochrangigen Staatsmann, von woher auch immer, sicher durch Moskau zu eskortieren, haben Milizen auf einer Länge von gut 30 Kilometern den Weg vom Center zum Flughafen, den der Konvoi nehmen sollte, durchweg für den normalen Feierabendverkehr gesperrt. Die Folge ist ein riesiger Verkehrsstau, den die an solches offenbar gewöhnten Moskauer jedoch geduldig und mit Fassung tragen.

Wie ist sowas möglich?

Auch selbst ein erfolgreicher Musiker: Stas Namin

Stas Namin„, so erklärt Sascha, “ ist ein Mann mit sehr weitreichenden Beziehungen. Die gehen bis in die obersten Spitzen des Politbüros, ermöglichen ihm also so einiges mehr als wahrscheinlich jedem anderen Vertreter der sowjetischen Rockszene…

Die Schätzungen waren nicht überzogen, runde 7.-8.000 Kids bevölkern die Hallen des internationalen Flughafens von Moskau, darunter ein Fernsehteam, sehr viele Fotografen — und erstaunlich wenig Miliz und anderes Ordnungspersonal. Die öffentliche Ordnung ist anscheinend völlig überrascht worden von dem Ansturm.

Bon Jon, Bon Jon…„, skandieren die Fans.

Und dann kommt die Band tatsächlich durch die V.I.P.-Abfertigung, eingekeilt zwischen Betreuern und Security. Nur wenige Anwesende erhaschen einen kurzen Blick auf die Amis, bevor diese dann in einem abgetrennten Bereich des Flughafens verschwinden. Recht verloren wirken die jungen Damen, die den Musikern Blumensträuße als Willkommensgruß überreichen sollten und nun vor dem Eingang zum V.I.P.-Bereich herumlungern.

Wenn schon nicht Bon Jon, dann zumindest Metal Hammer…„, mag sich so mancher Fan gedacht haben, als irgendein Schlaumeier, weiß der Teufel wie, uns als Mitarbeiter eben dieser Zeitschrift identifiziert hat. Plötzlich sind wir umkreist von unzähligen Kids, die Autogramme verlangen, Poster zur Unterschrift präsentieren, alles über Anthrax wissen wollen und über U.DO, und ansonsten den Oliver Klemm vermissen, der beim Gros der deutschsprechenden sowjetischen Metal Hammer offenkundig als der Schreiber bekannt ist. Einer Versetzung des entsprechenden Herrn ins anheimelnde Sibirien stünde damit wohl nichts mehr im Wege. Als Fehler erweist sich dann eine freundlich gemeinte Geste von Jürgen Wigginghaus, der einige Exemplare des Metal Hammer an die Umstehenden verteilen will. Er geht unter in einem Pulk von Fans und wird fast zu Boden gerissen.

Woraufhin er dann dem Fahrer die Tüte mit den restlichen Magazinen in die Hand drückt und ihn bittet, diese im Wagen zu verstauen. Bis zu diesem allerdings kommt der Fahrer nicht, weil er vorher schon auf halber Strecke von zwei Herren in grauen Mänteln beiseite genommen und verhaftet wird. Es kostet Sascha eine Viertelstunde beredter Überzeugungsarbeit, den Chauffeur aus den Klauen des KGB zu befreien.

Wir treffen Bon Jon später im Center…

So die Auskunft eines entnervten Betreuers am Flughafen. Da die staatlichen Ordnungskräfte vom Ansturm der Fans ebenso überrascht wie überfordert scheinen, muss die Band auf Schleichwegen aus dem Flughafengebäude gebracht und zum Hotel verfrachtet werden.

Apropos Bon Jovi: Die sind nicht etwa zum Spielen ins moskowitische Großreich gekommen, sondern nur und ausschließlich zum Zwecke der Promotion. Promotet werden soll ein Festival, das Mitte 1989 in Moskau stattfinden wird, organisiert von der ‚Make A Difference Foundation‘. Das schreit nach einer weiterführenden Erklärung. Hier ist sie:

20 Jahre nach Woodstock…

Die Grundidee ist simpel. Vor Genau 20 Jahren fand im amerikanischen Bundesstaat New York, im Städtchen Woodstock, ein Rockfestival statt, das als eins der bedeutendsten in die Rockgeschichte ebenso eingegangen ist wie in die Geschichte der weltweiten Jugendbewegungen. Love & Peace war das Motto, die politischen Aussagen richteten sich gegen den Vietnamkrieg, gegen Rassismus und gegen die überholten Konventionen der Elterngesellschaft. Ein anderer Aspekt war die hemmungslose Propaganda für ‚bewußtseinserweitemde‘ Drogen. Tune in, tarn on, drop out der Kernslogan, die Aufforderung überkommenen gesellschaftskonformen Konventionen den Rücken zu kehren, auszusteigen und eine neue Welt der Jugend aufzubauen — mit Drogen als unentbehrlichen Hilfsmitteln.

Der Vietnamkrieg ging tatsächlich zuende, die Gesellschaft blieb im Prinzip wie sie war, nur die Drogen erlebten einen wahren Siegeszug, in West und Ost…

Das „Woodstock Jubilee“ Festival soll nicht nur an das Ereignis vor 20 Jahren erinnern, sondern auch neue Zeichen setzen für Völkerverständigung, Frieden und eine Jugendkultur, die nach wie vor lebendig ist, weltweit. Vor allem aber soll den Drogen, die einigen der Woodstock-Teilnehmern zum tödlichen Verhängnis geworden sind, diesmal eine klare und knallharte Absage erteilt werden. Als Teilnehmer werden derzeit gehandelt:

Ozzy Osbourne

The Scorpions, Bon Jovi, Mötley Crüe, Gorki Park und Ozzy Osbourne. Bereits im Frühjahr dieses Jahres wird eine LP erscheinen, auf der die angeführten Bands Songs covern werden von Musikern oder Bands, die an Drogen-Überdosen verstorben sind. Im Gespräch sind Titel von The Who (Gorki Park haben bereits ‚My Generation‘ aufgenommen), Led Zeppelin, The Doors, Janis Joplin, Elvis Presley, Sex Pistols, AC/DC, The Rolling Stones, Thin Lizzy, Free, T. Rex, Canned Heat, Badfinger und The Yardbirds. Das Festival wird übrigens weltweit per Satellit übertragen werden. Ob es auch in Deutschland oder anderen Ländern der EG auf die Bühnen gebracht werden wird, ist zur Zeit noch unklar…

Mit Bon Jovi ist auch ein Kamerateam von MTV, der Band seit etlichen Tagen auf den Fersen, in Moskau eingefallen. Abends drängen sich im Restaurant des Musik-Centers Gäste aus aller Herren Länder, Kamerateams von MTV und dem Sowjetischen Fernsehen, Fotografen, diverse Misses (Sibiria, Asia und so fort) und sowjetische Musiker. Die Party endet jedoch bereits gegen Mitternacht…

Der nächste Tag führt Bon Jovi in den Kreml, in die Redaktion der Komsomoletz Prawda, auf den Roten Platz, wo auch die Landestelle des Mathias Rust gebührend betrachtet wird, und schließlich abends wieder ins Center. „Moskau hat ursprünglich zwei Flughäfen. Den internationalen Airport und den nationalen. Nun hat der Volksmund die Moskwa-Brücke zum Roten Platz zum ‚Rust Airport‘ ernannt. Außerdem haben die Moskauer endlich auch eine Erklärung dafür gefunden, warum der riesige Springbrunnen im berühmten Kaufhaus Gum seit einiger Zeit ständig außer Betrieb und wasserleer ist: Die Obrigkeit befürchtet, dass hier eines Tages unbemerkt ein deutsches U-Boot auftauchen könnte …„.

Der Fahrer lacht sich halbtot, als er diese Anekdote erzählt. Später dann Studiotermin im sowjetischen TiVi. 250 Millionen Zuschauer werden diese Sendung später sehen, eine erschreckende Zahl, selbst für Bon Jovi, obwohl die aus ihrer US-amerikanischen Heimat schon so einiges gewohnt sind. Das Studio ist ausgestattet wie eine gutbürgerliche Wohnung, mit Küche, Wohnzimmer und allem drum und dran. In der Küche wird Borschtsch serviert, das russische Nationalgericht, eine Kohlsuppe mit Fleischeinlage und dicken weißen Fettaugen, die wie Eisinseln auf der Oberfläche schwimmen. Nicht unbedingt jedermanns Geschmack, aber zumindest nahrhaft. Vor den Kameras wenig später Bon Jovi, Doug McGhee, Kramer-komplett, Gorki Park und der Polygram-Präsident, der bei dieser Gelegenheit nicht nur bekanntmacht, dass er Gorki Park gesigned hat und phantastische Zukunftschancen für die Band sieht (warum sonst hätte er die Parks auch signen sollen???), sondern dass er darüberhinaus noch eine Vereinbarung mit Melodija getroffen hat, die Lizensierungen von Ost nach West und umgekehrt endlich möglich macht.

Lieber Herr Bongiovi, haben sie eine Message für unsere Zuschauer???

Na klar, ich bin der festen Überzeugung, dass die Kids überall in der Welt gleich sind. Rock’n’Roll ist ihre Sprache, die von China bis Brasilien überall verstanden wird und die sie einander näherbringt. Als Rockmusiker sind wir gleichzeitig Botschafter des Friedens und der Völkerverständigung.‘‚ Na also. Gorki Park erzählen noch ein bißchen über New York und über ihre Freundschaft mit den Jungs von Bon Jovi, und das war’s dann.

Party

It’s Party-Time.. Jede Menge Mädchen, Musiker und Offizielle bevölkern das Musik-Center. Ein musikalischer Leckerbissen ist angekündigt. Vorerst jedoch wird zunächst einmal ausgiebig dem heiligen Wässerchen (Wodka) zugesprochen, und Sekt und andere Alkoholika fließen in Strömen. Entsprechend entwickelt sich die Stimmung. Ganz Wagemutige haben zudem die Möglichkeit, eine Fahrt im Pferdeschlitten entlang der Moskwa zu unternehmen. Bei Minus 20 Grad Celsius nicht gerade für jedermann die angenehmste Vorstellung. Dann schon lieber der kurze Fußmarsch durch Eis und Schnee hinauf in das kleine Studio, in dem Gorki Park sich live präsentieren.

Seitdem ich die Band das letzte Mal gesehen habe (April 1988 in Leningrad), ist sie noch um einiges besser geworden. Was nicht weiter verwundert, wenn man bedenkt, dass die Jungs sich für einige Monate in den USA aufgehalten haben, in New Jersey, wo selbst sie intensiv an sich, an ihren Englischkenntnissen und an ihrem Material gebastelt haben. Mit einigen kleinen Hilfestellungen von Jon Bon Jovi und Ritchie Sambora übrigens. Aus New York hat Gorki Park einiges an neuem Demo-Material mit an die heimische Moskwa gebracht, darunter auch ihren Beitrag zum ‚Make A Difference‘-Sampler, das Who-Cover ‚My Generation‘, ein Titel, der für die Jugend der UdSSR als Hymne eine Bedeutung erlangen könnte, die er im Westen schon lange verloren hat.

Der Set zeigt, dass Gorki Park nicht umsonst speziell in den USA so hoch gehandelt wird, wie das zur Zeit der Fall ist. Anders als Kruiz oder Master steht Gorki Park für eher kommerziellen Hardrock mit russischen Einflüssen, ist aber zugleich eine Band, die ein ungeheures Feeling für gute Melodien und Riffs hat, technisch nahezu perfekt ist, einen brillanten Sänger hat und doch voller ungezügelter Power steckt. Vor allem ‚Hit Me“, ein Song, der leichte Blues- und Souleinflüsse verarbeitet, hat das Zeug zu einem Riesenhit all over the world.

Die Band kommt an, und entsprechend ist die Stimmung im ebenso kleinen wie überheizten Studio. Eine Steigerung scheint kaum noch möglich zu sein, wird jedoch wahr, als unversehens Jon Bon Jovi, Ritchie Sambora und ihre Bandkollegen ebenfalls auf der kleinen Bühne auftauchen und alle zusammen zu einer phantastischen Session ansetzen. Blues steht auf dem Programm und alte Rockstandards. Was auch immer, es gefällt allen Beteiligten ebenso wie den einfach nur Zuhörenden. Entsprechend aufgedreht rutscht und schlindert, perfekte Gelegenheit, mal eben eine der jungen Damen unterzuhaken, die bunte Gesellschaft schließlich zurück ins Center, quer durch die Arena mit ihrer riesigen Bühne und ihren wie in einem antiken Amphitheater hochgezogenen Sitzreihen, die Platz bieten für ca. 12.000 Zuschauer.

Hier veranstalten wir im Sommer riesige Konzerte für die Moskauer Kids. Nach den Konzerten geht’s dann ab auf Flußschiffe (die Arena liegt direkt am Flußufer), auf denen wir die ganze Nacht durchfeiern können“, beschreibt Stas Namin und fügt hinzu: „Nächsten Sommer mußt Du unbedingt mal zu einem der Festivals kommen.“ Mein Wort drauf!

„Ihr Deutschen habt mir wirklich einige Probleme bereitet.

David Bryan Rashbaum, bei Bon Jovi verantwortlich für schwarze und weiße Tasten, lässt kurz ab von seinem Glas und erklärt weiter:“ Ich habe Klassik studiert, Beethoven genauso gespielt wie Bach und Mozart. Und dann bekomme ich eine deutsche Notation in die Hände und finde da eine Note, von der ich vorher noch nie gehört hatte. Ein ‚H‘ als Notenbezeichnung. Mein Gott, ich hab‘ ’ne ganze Zeit gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass das nichts anderes war als unser gutes altes amerikanisches ‚B‘.

Ritchie Sambora hat andere Probleme mit dem Deutschtum. Ein lautes Schmutz! ertönt wodkagetränkt aus seiner Ecke. Und noch einmal. Und ein weiteres Mal. Sein Lieblingswort ist ganz klar ‚Schmutz‚.

Sag mal, was bedeutet das eigentlich, dieses ‚Schmutz‘?„, fragt dann später nach.

„Ach so, Dreck, Mist und so … naja, es klingt auf jeden Fall gut.“,.

„Schmutz!“

Nebenbei bemerkt: Mischt nie Wodka mit Sekt! Die Wirkung kommt, mit leichter Zeitverzögerung, der einer Atombombe gleich!

Schmutz!

Wir werden im Dezember einige große Konzerte in Moskau spielen. Anschließend geht’s zurück nach New York, wo die Plattenfirma einen Präsentationsgig für uns arrangiert hat, als Vorprogramm eines Major-Actes und vor etlichen tausend Leuten. Das wird am 21. Januar sein…“  Originalton Gorki Park, bevor sich Alex Belov und ein Bandkollege dann mit einer jungen Ballettänzerin aus Leningrad aus dem Staub machen.

Russische Frauen sind extrem anspruchsvoll, die schafft ein Mann alleine nicht. Deshalb teilen wir uns den Spaß meist zu Dritt…“ erklärt ein völlig übernächtigter Gorki Park-Gitarrist am nächsten Morgen. Sexismus und Mysoginie sind auch in Moskau leider Rock’n’Roll-Alltag.

Weiter zur nächsten großangelegten Pressekonferenz.. Diesmal ist die schreibende sowjetische Presse geladen. Kramer-Guitars erläutern noch einmal ausführlich ihre Pläne, in der UdSSR eine Gitarrenfabrik aufzubauen und solchermaßen die Versorgung sowjetischer Musiker mit akzeptablen Gitarren zu akzeptablen Preisen sicherzustellen. Angepeilt ist ein Joint-Venture mit Stas Namins Musik-Center… Zur Erklärung: Derzeit muss ein sowjetischer Gitarrist noch bis zu 20.000 Rubel für eine professionelle E-Gitarre mit westlichem Standard hinblättern. Das entspricht guten 60.000 Mark oder drei bis fünf Jahresgehältern!!! Kein Wunder, dass die Kramer-Pläne in der Szene Begeisterung auslösen.

Immer wieder unterbrochen von kritischen Fragestellern, erklären anschließend Doug McGhee und Mister Polygram noch einmal detailliert, was sie sich so alles für 1989 vorgenommen haben, Jon Bon Jovi gibt letzte Statements und dann ist es auch schon soweit, Bon Jovi und das MTV-Kamerateam brechen auf in Richtung Flughafen und Germany, wo sie einige Tage später zusammen mir Craaft und Lita Ford auf unseren Bühnen agieren werden. Wir bleiben noch bis zum nächsten Morgen, bis es dann auch für uns heißt: „Doswidanja Moskwa.“

Aber wer weiss, vielleicht fliegen wir ja bald mal wieder hin, in die UdSSR. Schließlich gibt’s da bis heute noch keine Musikzeitung…

Nachbemerkung:

Ich flog in der Tat wieder nach Moskau, im August 1989. Und den Metal Hammer gab’s dann kurz darauf tatsächlich auch in russischer Sprache, allerdings unter dem Titel Pop/ Metal Hammer,  ein Joint Venture mit einer sowjetischen Pop-Gazette. Der Deal war sinister, und dass es schon in der UdSSR eine rege Mafia gab, die von den Brüchen und Umbrüchen der Gesellschaft besonders profitierte, sollten wir bald darauf auch lernen.

C 2022 Muzik/Quest, Edgar Klüsener (Erstveröffentlichung in Metal Hammer 12/88)

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Jim Marshall: Ein Trommler, der Gitarristen das Lärmen lehrte

Diese Zeitgeschichte ist ganz dem Großvater des verzerrten Lärms gewidmet. Im Herbst 2004 traf ich Jim Marshall (verstorben im April 2021) in seinem Büro in Milton Keynes. Der geniale Tüftler, dessen Verstärker und Lautsprecher dem Rock’n’Roll seinen dreckigen Klang gaben und geben, ließ sich eigentlich ungern interviewen, und noch weniger mochte er Autogramme geben. Doch in diesem Herbst machte er eine Ausnahme von beidem. Ungefragt bot er vor dem Interview gar sein Autogramm an, wegen dem Doktor vor dem Jim. „Ist schon ein Ding„, erklärte er, „ich bin in meinem Leben nie zur Schule gegangen, und jetzt bin ich trotzdem ein Doktor.“ Der Titel ist ehrenhalber, vom College Of Music einer renommierten amerikanischen Universität verliehen. Nach dem Marshall schrieb er noch OBE und deutete dann extra mit dem Finger drauf: „Einen OBE habe ich jetzt auch, Anfang des Jahres verliehen bekommen. Von der Königin!“ Jim Marshall war also bester Laune und bereit, ein wenig über sich und sein Lebenswerk zu plaudern. Geschichten, die auf diesem Interview basierten, erschienen im November im Spiegel und einen Monat darauf im Rock Hard. Nachfolgend die Version, die das Rock Hard abdruckte.

Milton Keynes ist ein postmodernes Scheusal, ein städtebaulicher Sündenfall der 70er. Glas, Beton, stumpfsinnige rostbraune Fassaden und ausufernde Asphaltbänder prägen das graue, lebensfeindliche Bild der Kunststadt, von Reißbrett-Planern im nahen London lieblos ins Grüne geklotzt. Seelenlose Einkaufszentren, triste Pubs und anonyme Bürogebäude machen das Bild urbanen Schreckens komplett. Wer das graue Betonlabyrinth der Bochumer Uni kennt, der kann sich leicht ein Bild von Milton Keynes machen.

Die Stadt im Südwesten der britischen Insel ist dennoch eine bedeutende Koordinate im Weltatlas des Rock´n´Roll. Denn ausgerechnet hier befindet sich das Marshall-Verstärker-Werk, Produktionsstätte jener Amps, um die Gitarristen in aller Welt einen Kult betreiben, der fast an religiöse Verehrung grenzt. Und innerhalb des Werks hat Jim Marshall sein Büro.

Das Büro ist der einzige Raum im gesamten Werkkomplex, in dem geraucht werden darf. Die Luft ist geschwängert vom Rauch dicker Havannas. Ein alter Plattenspieler steht auf einem Sideboard, ein Verstärker, einige Schallplatten. Und ein Schlagzeug. Auf dem trommelt Jim Marshall  täglich zwei Stunden herum, um in Form zu bleiben. Denn der Mann, dem der Rock´n´Roll seinen Sound verdankt, die lebende Legende, Gottvater aller Rockgitarristen, ist von Hause aus Schlagzeuger. Die Gitarre hat er in seinen 76 Lebensjahren nie in die Hand genommen.

Kaum zu glauben, aber wahr: Ausgerechnet ein Schlagzeuger ist der Schöpfer jenes dreckigen, enorm druckvollen, immer leicht verzerrt klingenden Sounds, der Marshall-Amps so einmalig macht, der Generationen von Gitarristen geprägt und Marshall zu einer Legende hat werden lassen. Eine quicklebendige Legende zudem. Sein Alter sieht man Jim Marshall nicht an, er wirkt mindestens ein Jahrzehnt jünger. Und ist aktiv wie manch 40jährige nicht mehr.

»Ich bin halt ein Workaholic«, sagt er und meint damit: »Ich arbeite immer noch täglich bis zu zehn Stunden, sieben Tage in der Woche. Ich spiele immer noch in einer Band, die auch regelmäßig auftritt. Ich trommle immer noch ein bis zwei Stunden täglich auf meinem Drumkit.«

Nicht, dass er das wirklich nötig hätte. Denn bevor er der Welt seine Amps bescherte, war er ein gefragter Schlagzeuglehrer, aus dessen Schule einige der größten Rockdrummer hervorgingen. Überhaupt: die Lebensgeschichte des Jim Marshall. Filmreif ist ein Attribut, das oft viel zu voreilig vergeben wird. Reicht´s dann in den meisten Fällen doch nur bestenfalls zu einem C-Movie, wäre in seinem Fall mehr als ausreichend Stoff für einen Hollywood-Klassiker vorhanden.

Knochentuberkulose und Gipskorsett

The Sound of Rock’n’Roll: Marshall Amps. Pic by Photo by Clem Onojeghuo on Unsplash

Geboren wurde er am 29. Juli 1923 in Kensington als Sohn von Beatrice und Jim Marshall. Die Kindheit verlief alles andere als glücklich. Jim erkrankte an Knochentuberkulose und musste den größten Teil seiner Kindheit in ein Gipskorsett eingezwängt verbringen. In regelmäßigen Abständen schnitten die Ärzte den Gips auf, um das Wachstum des Jungen nicht zu behindern, und wickelten ihn dann neu ein. An Schulbesuch war unter diesen Umständen nicht zu denken.

»Meine Eltern waren arm«, erinnert er sich zurück. »Ich verbrachte die meiste Zeit im Krankenhaus. Zu der Zeit wurden Kinder im Krankenhaus noch nicht unterrichtet. An Privatunterricht war überhaupt nicht zu denken. Also wuchs ich ohne jede Schulbildung auf. Nur einige Pfadfinder bemühten sich in dieser Zeit, mir etwas beizubringehttps://zerotodrum.com/micky-waller/n.« Allerdings nicht Lesen, Schreiben oder Rechnen, sondern »...sie lehrten mich, wie man Bastkörbe flechtet. Wenn du jemals einen Bastkorb brauchst«, lacht er, »komm zu mir, ich flechte dir einen perfekten!«

Er war bereits 13, als die Krankheit endlich so weit unter Kontrolle war, dass er endgültig ohne Gipskorsett leben konnte. Prompt schickten die Eltern ihn zur Schule.

»Ich kam wegen meines Alters sofort in die Abschlussklasse. Und verstand natürlich, weil mir jede Vorbildung fehlte, kein Wort von dem, was da im Unterricht erzählt und gesprochen wurde. Wenig später bekam mein Vater einen neuen Job in einem anderen Teil von London. Wir mussten also umziehen. Er wollte für mich dort eine neue Schule finden, was für mich aber überhaupt keinen Sinn machte. Also sagte ich zu ihm: „Wofür soll das gut sein? Ich versteh´ in der Schule eh kein Wort. Kann ich mir nicht stattdessen einen Job suchen?„«

Am Ende ließ der Vater sich breitschlagen und verschaffte Jim eine Stellung als Ladenjunge in dem Geschäft, dessen Manager er war.

Aus dieser von Armut und Krankheit geprägten Kindheit läßt sich leicht erklären, warum Jim Marshall heutzutage massiv für Wohlfahrts-Organisationen spendet und sich auch persönlich stark in Charity-Projekte einbringt. Er ist Mitglied bei den Waterrats, einer erlesenen Gruppe von Showbiz-Größen, die bei der Aufnahme von neuen Mitgliedern strengste Auswahlkriterien anlegt. Der Kreis unterstützt diverse Projekte, fördert karitative Organisationen, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, gibt Gelder für Kinder in der Dritten Welt oder greift einem unabhängigen Theaterprojekt unter die Arme.

»Ich gebe jedes Jahr rund eine halbe Million Pfund – circa 420 Millionen € – für unterprivilegierte und behinderte Kinder«, beziffert er die finanzielle Seite seines Engagements.

Erste Steptänze, ein Job als Sänger und ein Schlagzeug

Der Vater war es, der letztlich seinen Einstieg ins Showbusiness forcierte. Er wollte, dass der Sohnemann Steptanz lernte, in der Hoffnung, dass dieser die immer noch fragilen Knöchel in den Fußgelenken stärke. In der Entertainment-Schule war Jim der einzige Junge unter lauter Mädchen. Was zu einem Problem wurde, als die alljährliche Vorstellung für die Eltern bevorstand.

»Der Lehrer sagte zu mir: „Junge, was soll ich bloß mit dir anfangen?“ Dann hatte er eine Idee: „Du machst den Fred Astaire. Du tanzt ein bisschen und singst einige Nummern.“ Und so lief es dann auch.«

Ein Auftritt mit Folgen. Im Publikum saß nämlich der Großvater eines der Mädchen aus Jims Klasse. Er war Chef einer der beliebtesten Londoner Showbands jener Tage. Nach der Veranstaltung ging er auf Jim zu, gratulierte ihm zu seinem Auftritt und zu seiner Stimme und fragte ihn, ob er Lust habe, mal in seinem Orchester zu singen. Jim sagte zu, stand einige Abende später auf der Bühne, sang zum ersten Mal mit Orchester im Rücken, kam an – und hatte damit einen neuen Job.

Im stolzen Alter von 14 wurde Jim Marshall zum Profimusiker, der fünf oder sechs Abende pro Woche auf der Bühne stand und Swing-Standards sang. Nebenbei begann er, Schlagzeug zu lernen, und entwickelte sich in den folgenden Jahren auch noch zu einem gefragten Drummer.

Dann kam der Krieg. Jim wurde eingezogen und Wartungstechniker bei der Royal Air Force. »In dieser Zeit lernte ich eine Menge über Elektronik, ein Wissen, das sich später noch als sehr nützlich erweisen sollte.«

Nach Kriegsende kehrte er zurück ins Zivilleben und nahm seinen Musikerberuf wieder auf. In den frühen 50ern kam dann die nächste entscheidende Wende:

»Duke Ellington hatte eine Nummer mit dem Titel ´Skin Deep´ veröffentlicht. In Großbritannien war ich der erste, der diesen Song spielte. Was dazu führte, dass plötzlich all diese Youngsters ankamen, die von mir lernen wollten, wie man diesen speziellen Drumbeat spielt. Ich ließ mich schließlich breitschlagen, nahm zwei Schüler an und war selbst überrascht, als ich feststellte, dass ich es liebte, anderen etwas beizubringen. Die Schüler standen bei mir Schlange; es wurden so viele, dass ich schließlich beschloss, den Musikerberuf an den Nagel zu hängen und stattdessen nur noch Schlagzeugstunden zu geben

Er unterrichtete prinzipiell nur Einzelschüler, 65 insgesamt, jedem widmete er eine Stunde. Damit war die Woche weitgehend ausgebucht. Während er von dieser Zeit erzählt, leuchten Jim Marshalls Augen, er nippt immer wieder an seinem schottischen Whisky, schmaucht seine Zigarre und verliert sich in den Erinnerungen.

Ritchie Blackmore und Pete Townshend, Dudley Craven und Ken Bran

Unter seinen Schülern waren etliche, die später in großen Bands spielen sollten. Jimi Hendrix´ Drummer Mitch Mitchell zum Beispiel, Little Richards Taktgeber Micky Waller oder Ritchie Blackmores Schlagzeuger Mick Underwood. Diese jungen Drummer waren es auch, die ihn zum ersten Mal auf eine neue Musikform aufmerksam machten, die Mitte der 50er von Amerika nach Europa überschwappte: den Rock´n´Roll. Anfangs hielt Jim Marshall wenig davon.

»Ich hielt Rock´n´Roll für nichts anderes als eine weitere dieser vergänglichen musikalischen Moden. Heute heiß geliebt, morgen schon vergessen.« Nun grinst er breit, macht eine kleine Pause und fügt dann hinzu: »Wie man sich doch täuschen kann!«

Der Unterricht allein befriedigte ihn auf Dauer nicht. Anfang der 60er begann er daher, Baß- und PA-Boxen zu bauen und an andere Musiker zu verkaufen. Jim Marshall hatte eine Marktlücke erkannt:  »In diesen Tagen gab es keine speziellen Lautsprecher-Boxen für Bassgitarristen. Also baute ich welche

Pete Townshend

Wenig später eröffnete er zudem noch einen Schlagzeugladen, hauptsächlich für die eigenen Schüler, doch zu den Kunden gehörten bald auch jede Menge andere Drummer aus London und Umgebung. Viele seiner Schüler spielten inzwischen in eigenen Gruppen und brachten nun immer wieder mal ihre Bandkollegen mit in den Laden. Unter diesen war auch The Who-Gitarrist Pete Townshend. Pete gehörte zu jenen, die Marshall in den Ohren lagen, doch endlich sein Sortiment auch um Gitarren und Verstärker zu erweitern.

»Von beidem hatte ich nicht die geringste Ahnung«, amüsiert sich Marshall noch Jahrzehnte darauf. »Aber die Idee klang gut

1962 lief der Laden bereits so hervorragend, dass Marshall Personal einstellen mußte. Doch er wäre wohl bis heute ein Musikalienhändler unter vielen geblieben, wenn nicht diese Gespräche mit seinen Kunden gewesen wären:

»Ich unterhielt mich häufig mit den Gitarristen, die zu mir in den Laden kamen, vor allem mit Pete Townshend und Ritchie Blackmore. Die klagten immer wieder, dass es einfach für ihre Musik keinen Amp gäbe, der den Sound produzierte, den sie sich vorstellten. Sie wollten nicht den cleanen Fender-Sound oder sowas, sie wollten einen mächtigen, schmutzigen, dynamischen Sound, einen echten Rock´n´Roll-Sound. Sie fragten mich immer wieder, ob ich nicht für sie einen solchen Verstärker bauen könnte. Also dachte ich: Okay, versuchen wir´s mal!«

Jim, der hochtalentierte junge Elektroniker Dudley Craven und Marshalls Mitarbeiter Ken Bran machten sich also daran, den ersten Marshall-Amp zu designen. Im September 1962 stand der Prototyp bereit zum Ausprobieren.

»Wir hatten uns natürlich auch an Fender-Amps orientiert«, erzählt Marshall von der Entstehung des Amps, der den Klang des Rock´n´Roll ein für allemal definieren sollte. »Einfach deswegen, weil Fender meine Lieblings-Amps baute. Aber nicht an deren Hauptmodell, sondern eher am Fender Bassman, weil mir dieser näher an dem Sound zu liegen schien, den wir erreichen wollten. Fender war also sicherlich ein Einfluß für uns. Andererseits: In der Röhrentechnologie gab´s nichts Neues mehr, alles war schon dagewesen.«

Wenig später war dann das erste Modell ladenfertig, ein 4×12. Und die Bestellungen flatterten so zahlreich rein, dass Marshall mit dem Bauen kaum noch nachkam. 1963 war dem Laden bereits eine Werkstatt angegliedert, in der Ken Bran und Dudley Craven einen Amp pro Woche bauten. Viel zu wenig, um den rasant steigenden Bedarf zu decken. 1964 lagerte Marshall die Produktion deshalb in eine neue Fabrik nach Hayes aus. 16 Mitarbeiter bauten dort dann schon 20 Verstärker pro Woche zusammen. Derweil sangen die Gitarristen Loblieder über die Amps. Pete Townshend wollte jedoch einen noch größeren, noch lauteren und noch druckvolleren Verstärker.

»Ich kannte Pete schon seit Jahren, weil ich früher mit seinem Vater, einem sehr guten Alt-Klarinettisten, zusammengespielt hatte. Wir hatten gerade unsere ersten 100-Watt-Amps gebaut und waren wirklich stolz auf sie. Aber Pete wollte noch mehr, einen 8×12. Ich wandte ein, daß seine Roadies Probleme haben würden, so ein Ding zu handhaben, baute ihm aber trotzdem einen. Und natürlich beschwerten sich seine Roadies auch prompt. Einige Wochen später stand Pete deswegen wieder im Laden. „Du hattest recht“, sagte er. „Ich will aber trotzdem die Höhe von 8×12. Wie wär´s, wenn wir die in zwei Cabinets packen?“ Er wollte das Ding schlicht in zwei Hälften schneiden, was unmöglich war. Also überlegten wir gemeinsam hin und her, wie sich das Problem lösen ließe, und kamen schließlich auf die Idee, zwei separate Cabinets zu bauen und diese aufeinander zu stapeln. Damit waren die Marshall-Stacks geboren, eine Idee von Pete Townshend und mir.«

„Jimi Hendrix fand er es witzig, dass es einen zweiten James Marshall gab.“

Jimi Hendrix by Heblo (Pixabay)

1965 spielte so gut wie jede britische Rockband mit Marshall-Verstärkern. Sie nahmen sie mit auf Tour nach Amerika, das europäische Festland, Japan. Überall dort horchten Musiker ebenfalls auf, zeigten sich fasziniert von dem Sound, der schnell zum Synonym für Rock´n´Roll wurde. Aber es war ein anderer James Marshall, der die Amps endgültig zur Legende werden ließ:

James Marshall Hendrix war gerade in London ansässig geworden und hatte bei Eric Clapton zum ersten Mal einen Marshall-Amp gesehen. Der junge Gitarrist war auf Anhieb fasziniert von dem unverfälschten Sound und wollte ebenfalls einen. Außerdem fand er es witzig, dass es einen zweiten James Marshall gab. Den wollte er unbedingt kennenlernen. Jim Marshall erinnert sich an die erste Begegnung:

»Mitch Mitchell hatte früher bei mir im Laden gearbeitet und dann von mir Schlagzeugunterricht bekommen. Eines Tages kam er zu mir und erzählte von diesem jungen amerikanischen Gitarristen, in dessen Band er jetzt spiele. Der sei ganz heiß darauf, mich mal zu treffen. Einmal, weil er es spannend fände, dass wir Namensvettern waren, zum anderen aber auch wegen meiner Amps. Hendrix kam dann in den Laden, und wir unterhielten uns. Er sagte, er wolle unbedingt auch über Marshall-Amps spielen, und behauptete im Brustton der Überzeugung, dass er bald einer der ganz Großen im Rockzirkus sein werde. Mein erster Eindruck war: Schon wieder einer von denen, die versuchen, was umsonst zu bekommen. Aber im nächsten Atemzug sagte er schon, dass er natürlich für alles den vollen Preis bezahlen werde. Jimi Hendrix war ein wirklich netter Kerl, und wir kamen bald sehr gut miteinander aus. Ich habe ihn dann auch zwei- oder dreimal spielen gesehen und war schwer beeindruckt von seiner Musikalität und seiner Technik. Jimi war in den folgenden Jahren unser größter und wichtigster Botschafter.«

Jimi Hendrix war es unbestreitbar, der, mehr als jeder andere, Marshall-Amps zur Standardausstattung für Rock- und Metal-Gitarristen machte.

Heute ist Jim Marshalls Verstärker-Geschäft ein Weltkonzern. In der Fabrik in Milton Keynes werden seine Amps in einer kuriosen, aber effektiven Prozedur, die modernste Fertigungstechniken mit traditioneller Handarbeit verbindet, für Musiker in der ganzen Welt hergestellt. Ein Verfahren, das die gleichbleibend exzellente Qualität der Geräte garantiert. Jim Marshall hat längst seinen eigenen Stern in Hollywoods „Walk Of Fame“, ist im eigenen Lande als Unternehmer wie als Mäzen und als Grundpfeiler der Rock´n´Roll-Welt zigfach ausgezeichnet worden.

76 Jahre ist er jetzt, immer noch hellwach, immer noch mit Leib und Seele der Musik ergeben. Und eben diese innige Liebe zur Musik sei es, sagt er, die das eigentliche Geheimnis des Erfolges seiner Amps ausmache. Denn »…ich bin selbst Musiker. Deshalb habe ich ein Gespür dafür, was andere Musiker wollen, ich verstehe, wovon sie reden, wenn sie einen bestimmten Sound beschreiben. Als Musiker habe ich gleichzeitig auch das Gehör für Sounds. Ich verstehe die technische Seite, kann das Verstehen also in Technik umsetzen. Das Wichtigste aber ist: Wir sind nie hergegangen und haben Geräte nach unseren eigenen Vorstellungen hergestellt, haben den Musikern nie vorgeschrieben, welchen Sound sie unserer Meinung nach haben sollten. Stattdessen haben wir jede Verstärkerreihe immer in enger Zusammenarbeit mit Musikern entwickelt, haben in langen Gesprächen deren Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen herauszufinden versucht. Das ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis von Marshall-Amps.«

Solange es Rock´n´Roll gibt, egal unter welchem Deckblatt er gerade firmiert, ob als Metal, Kreuzundquer, Alternative oder was auch immer sonst, solange wird es auch Marshall-Amps geben. Gute Arbeit, Jim!

 

C 2022 MuzikQuest/Edgar Klüsener, first published in Rock Hard 11/2004

 

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Peter Gabriels Neue Welten

Im Herbst 1994 interviewte ich Peter Gabriel in seinen Real World Studios im idyllischen Bath. Während des Interviews erklärte er seine Sicht auf die Zukunft der Musik. In der hatten CDs, DVDs und andere solide Medien keinen Platz mehr. Die Zukunft sei, so seine Überzeugung, der Daten-Highway. Wohlgemerkt, wir schreiben das Jahr 1994, befinden uns also in einer Zeit in der Deutschland – wie der Rest der Welt – noch weitgehend offline existierte. Und wer doch schon im Netz unterwegs war, das gerade erst zum World Wide Web wurde, war zumeist Kunde proprietärer Online-Dienste wie CompuServe, AOL, T-Online oder Web.de. Die Geschwindigkeiten, die mit den damaligen Modems erzielt wurden, reichten nicht, Songs oder gar Videos zu streamen. Von den Kosten ganz zu schweigen. Und dennoch entwickelt Peter Gabriel schon damals ein Szenario, das den heutigen Kunden von Netflix, Spotify und Konsorten nur allzu vertraut sein dürfte. Eine weitere Zeitgeschichte, die übrigens im Dezember 1994 im Ruhrgebiets-Magazin Marabo erschien.

Nicht unbedingt nur wegen seiner Musik, eher auch wegen seiner technischen Neugier und Weitsicht zählt Peter Gabriel zur Speerspitze der internationalen Popmusik. Zur Weihnachtszeit deshalb der Tipp von Erzonkel Gabriel: Keine Tonträger kaufen – bald kommt der Daten-Highway…

Der Meister wirkt abgespannt und übernächtigt. Aber er macht gute Miene zum lästigen Promo-Spiel. Eine Horde europäischer Journalisten ist in die beschauliche Ruhe der Real-World-Studios eingefallen, um Neues in Erfahrung zu bringen über das Live-Album „Secret World“ und die Video-Zusammenarbeit mit dem franko-kanadischen Regisseur Robert Lepage. Viel spannender wird es, als die Rede auf neue Kommunikations-Technologien kommt, mit denen sich der Meister schon länger befasst. Eher beiläufig kommentiert Peter Gabriel eine Entwicklung, die seit geraumer Zeit die Vorständler der großen Plattenfirmen um den wohlverdienten Schlaf bringt: „Die Tage der traditionellen Tonträger sind bereits gezählt„, sagt er. „Und auch die CD-ROM ist kaum mehr als ein zwar interessantes, letztlich aber doch nur kurzes Zwischenstadium in dieser Entwicklung.

Egal, welche verschlungenen Informations-Pfade die technologische Entwicklung fürderhin auch nehmen wird, Peter ist gewappnet. Der frühere Genesis-Säger hat sich längst etabliert als Speerspitze der multimedialen Kreativ-Avantgarde. Im idyllischen Box im Südwesten Englands hat er in einer alten Mühle einen kleinen Konzern aufgebaut, der für die digitale Zukunft bestens gerüstet scheint. Unter den Dächern der Mühle und der dazugehörigen Gesindehäuser findet man ein ultramodernes HiTech-Tonstudio, ein Videostudio sowie die Büros der Gabriel-Firmen Womad und Real World. Vor allem letztere hat in jüngster Vergangenheit Furore gemacht. Hier entstand unter der kreativen Federführung Peter Gabriels eine multimediale CD-ROM, an der sich seither alle anderen Künstler mit ihren Produkten messen lassen müssen. Meistens zu deren Nachteil.

Doch der Meister ist bereits wieder einen Schritt weiter. Zwar wirkt er im Moment ein wenig abgespannt, doch belebt sich seine Stimmung sofort, als er auf künftige technologische Entwicklungen zu sprechen kommt. „Die Zukunft gehört„, begeistert er sich, „Music on demand.“ Und meint damit eine völlig neue Art des Musikkonsums, die sich in den USA bereits langsam durchzusetzen beginnt. Der Musikfreund geht nicht mehr in den nächsten Schallplattenladen, um sich dort die neueste CD seines Lieblingskünstlers zu besorgen, sondern wählt sich vom heimischen PC aus direkt in eins der Datennetze ein. Dort findet er eine reichhaltig sortierte Musikbibliothek. Er geht die Liste der Künstler durch, findet schließlich einen Song, den er immer schon hören wollte und lädt sich diesen dann auf seine Festplatte. „Das ist der Tod der klassischen Tonträger”, betont Peter Gabriel noch einmal.

Er selbst hat längst die Schaufel des Totengräbers in die eigenen Hände genommen. Denn Real World arbeitet bereits an diversen Projekten, die das virtuelle Universum der weltweiten Datennetze mit ihren bislang kaum erforschten Möglichkeiten erkunden sollen. Er ist bereit für die Zukunft und will diese mitgestalten. Ob das für die Tonträgerindustrie in gleichem Maß gilt, muss sich erst noch zeigen.

Erstveröffentlichung: Marabo 12/1994

Beitragsbild/Image: Steven Toole, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

C 2022 MuzikQuest/Edgar Klüsener

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Ein kleines bisschen Horrorschau: Mit den Toten Hosen in Litauen…

In den späten Achtzigern fegte ein Sturm durch Europa, der alte Gewissheiten über den Haufen warf und Systeme zerbröckeln ließ. Der Eiserne Vorhang, seit Kriegsende die beinahe unüberwindliche Barriere im Herzen Europas, rostete rapide und die Löcher in ihm wurden immer größer, bis er schließlich mit dem Berliner Mauerfall endgültig in Fetzen riss. Eine willkommene Folge war die Öffnung des bis dahin beinahe hermetisch abgeschlossenen Osten Europas für westliche Popkultur – und damit für deutsche Bands. Im September 1988 reiste ich mit den Toten Hosen in die Sowjetrepublik Litauen, wo die Düsseldorfer für das Lituanika-Festival gebucht worden waren. Das Festival stand ganz im Zeichen des sich immer offener präsentierenden litauischen Nationalismus, der sich alle Freiheiten nahm, die ihm Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika erlaubte. Lituanika vermittelte eine erste Ahnung davon, dass das Überleben der UdSSR selbst auf dem Spiel stand, dass die zumindest teilweise Auflösung der Union eine zunehmend realistische Option wurde. Diese Reise war meine zweite in die UdSSR, weitere sollten folgen und werden als weitere Zeitgeschichten in Kürze ebenfalls hier veröffentlicht. Doch zunächst einmal stehen Vilnius und Kaunas auf dem Programm. Außerdem die heute leider völlig zu Unrecht vergessene Band Blittzz aus Erfurt, die damals noch unter ihrem alten Namen Prinzz auftrat. Ach ja, zuerst veröffentlicht wurde diese Story in der Oktober Ausgabe des Metal Hammer.

Nach Russland, so hieß es, rolle der Zug mit den Toten Hosen und der Band Ülo an Bord. Von Düsseldorf über Duisburg und quer durch die DDR bis zum Ostberliner Hauptbahnhof – erste Stationen einer Reise, die streckenweise einer konzertierten Vernichtungsaktion für Dosenbier (reichlich vorhanden) und andere Alkoholika glich. Nur war nicht Russland das Ziel, sondern die Sowjetrepublik Litauen, von Stalin im Zweiten Weltkrieg gewaltsam in die Union eingegliedert. Ab Berlin sollten wir einen eigenen Waggon haben, so hatte es geheißen, einen Liegewagen noch dazu. Bis Berlin wurde daher auch kaum geschlafen, stattdessen gegenseitiges Beschnuppern und Kennenlernen.

Beginnen wir also mit Ülo, den „duften Typen aus dem Ruhrgebeat…“

Sänger, Texter, Manager und Organisator Klaus Üdingslohmann (verstorben 2021), kurz Ülo genannt, weiß schon, welches Image auf seine Band am besten passt. Duisburg, Stahl, Kohle und Schimanski … Ruhrpott in Rheinkultur. Als Ruhrgebeat-Band hat sich Ülo in der Vergangenheit bereits solidarisch mit der Region gezeigt. Die Band eröffnete im Februar dieses Jahres das Duisburger ‚AufruhrFestival‘, eine Solidaritätsveranstaltung für die Rheinhausener Stahlwerker, bei auch die Toten Hosen mit von der Partie gewesen waren. Außerdem dabei war Ülos lokaler Konkurrent Peter Bursch mitsamt seiner Bröselmaschine. Mit Ülo hatte, nebenbei bemerkt, alles angefangen.

Vorhang zu und Zwischenspiel

Im Mai 1988 hatte es Ülo erstmals nach Vilnius, Hauptstadt der Sowjet-Republik Litauen und Partnerstadt Duisburgs verschlagen. Auf Einladung der Litauer übrigens, die die Band vorher in Duisburg live begutachtet hatten. Vor gut 25.000 Leuten hatten Ülo aufgespielt und zu gefallen gewusst. So war die Einladung nur folgerichtig. Als zweiten Vertreter schickte die Stadt Duisburg noch das musikalische Aushängeschild Nr. 1 Peter Bursch und’ seine Bröselmaschine auf die Reise – allerdings auf getrenntem Transportweg. Mit Ülo fuhren dagegen die Toten Hosen, deren Vinylerzeugnisse die Litauer unbedingt live umgesetzt erleben wollten. Soweit die Vorgeschichte.

Vorhang auf zum zweiten Akt….

Berlin, Hauptstadt der DDR, also Ost. „Endstation, alles aussteigen!“ Fenster und Türen auf und das Gepäck in Rekordgeschwindigkeit auf den Bahnsteig befördert. „Ähhh, hallo, ähhh…das ist der falsche Bahnhof, ähhh, wir müssen noch’n bisschen weiter. Und der Zug fährt gleich wieder los!

Waaaaaassss???

Der Zeitrekord vom Ausladen wurde beim Wiedereinladen gebrochen. Eine kurze Zeit später dann doch endlich die Ankunft auf dem Hauptbahnhof Berlin (Ost), die vorläufige Endstation. Gute zwei Stunden Aufenthalt und die Frage, wohin mit dem ganzen Gepäck???

Die DDR- Bahnsteigbeamten boten ihren Aufenthaltsraum als Gepäckaufbewahrung an, eine Offerte, die bedenkenlos angenommen wurde. Bedenkenlos? Nun, nicht ganz, schließlich befanden sich unter all der Bagage auch einige Gegenstände von Wert. Vor allem die Paletten Dosenbier seien da genannt, denen denn auch die Hauptsorge galt.

Meinste wirklich, wir können denen unbesorgt dat ganze Bier dalassen?“ Faust, Interim-Mixer der Toten Hosen und die wohlbeleibte gute Seele des Unternehmens, ein wandelndes Warenhaus, das mit allem aufwarten kann (Toilettenpapier? Kein Problem. Aspirin? Grippetabletten? Alles in Fausts Vorräten. Wurst, Eier, Stullen? Faust hat es.) beäugt misstrauisch den Abtransport der Bierpaletten. „Ob wir die wohl noch mal wiedersehen werden?

Soviel vorweg: Wir sollten sie wiedersehen, vollzählig und unbeschädigt. Womit die gute Laune auf der Weiterfahrt gerettet war. Zunächst war jedoch Frühstück in Ost-Berlin angesagt. Also S-Bahn bis zum Alexanderplatz und dann die Suche nach einer frühmorgens bereits geöffneten Lokalität. Die Cafeteria des riesigen Inter Hotels bot sich scheinbar an, erwies sich aber schnell als vergebliche Hoffnung, da der Reisegruppe der Eintritt verwehrt wurde („Haben Sie reserviert? Sind Sie Gäste des Hotels?“). Auch der dezente Hinweis „Wir zahlen in harter Währung, in Westmark“ fruchtete nicht. Gottseidank war auf der anderen Straßenseite noch ein Lokal geöffnet….

Etliche Tassen Kaffee später gings dann weiter Richtung Warschau, sowjetische Grenze und Litauen. Im eigenen Waggon diesmal, ein Liegewagen, ums genauer zu sagen. Zugestiegen waren in diesen außerdem die Westberliner New Waver Boom Operators, die an Trinkfestigkeit und Partymentalität den Punk- und Mainstreamrockern von den Toten Hosen und Ülo in nichts nachstehen sollten. Zur Ost-West-Mixtur wurde die Reisegellschaft schließlich, weil sie den Liegewagen mit einer Abschlussklasse aus der DDR-Stadt Gera teilte.

Vorhang zu und Zwischenspiel…

Lituanika 1988 (Linkziel in litauischer Sprache) war die offizielle Bezeichnung des gut einwöchigen Festivals in der Republik Litauen, zu dem der inzwischen auf einen beachtlichen Umfang angewachsene Tross unterwegs war. Das Lituanika Festival war konzipiert als reines Rockfestival mit Punk-, Thrash-, Heavy Metal – und New Wave-Bands aus den baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen, aus Finnland, den Niederlanden, anderen Teilen der UdSSR und aus West- und Ostdeutschland.

Lituanika stand und steht aber auch für Litauen, für eine erstarkende nationale Bewegung in der nicht ganz freiwilligen Sozialistischen Sowjetrepublik, die in den 30er Jahren dem Hitler-Stalin-Pakt zum Opfer gefallen und völkerrechtswidrig von der Sowjetunion annektiert worden war.

Der Club Lituanika, Veranstalter und Organisator des Festivals, ist eine private Organisation, hervorgegangen aus der Jugendorganisation der KPdSU, der Komsomol, und zugleich stark involviert in die nationale Bewegung. Somit hatte das Festival von Anfang an eine politische Dimension, an der niemand, auch die beteiligten Bands, auf Dauer vorbeikam.

Vorhang auf und weiter im Text…

,,Könne mer n Autojramm ham???

Sächselnde Jungmädchenstimmen zu nachtschlafender Zeit im geschlossenen Abteil?

Als wir euch,“ gemeint sind die Toten Hosen, ,,aufm Bahnhof gesehn ham, da hat’s in der Klasse ne Diskussion gegehm. Die meisten meintn, dass ihr irjendwie nachgemacht ausseht, so Möchtejern-Panx und so…

Katrin aus Gera ist inzwischen von der Authentizität der Toten Hosen überzeugt, ebenso ihre Schulkameradinnen und -kameraden.

Deutsch-deutsche Diskussionen mit dem Tenor „…bei uns iss dat so und so —- jaaaa, bei uns iss dat jenau so…. Oder auch nicht und ganz anders…“ beherrschen in den folgenden Stunden die Gespräche auf dem Gang. Zumindrest was die männlichen Schüler angeht. Die weiblichen zogen die Atmosphäre des Ülo-Abteils … ähem, lassen wir das.

Die konzertierte ost-westliche Biervernichtungsaktion, von der Flasche Jägermeister mal ganz zu schweigen, nahm ihren unerbittlichen Lauf. Gegen Morgen allerdings herrschte Ruhe im Abteil, unterbrochen nur durch gelegentliche Schnarchtöne. Und durch Legionen von Grenzbeamten, Zöllnern und anderen Offiziellen, die in Fünfminuten-Abständen die Pässe kontrollierten, das Gepäck kontrollierten, die Pässe kontrollierten … von geruhsamem Schlaf konnte schon bald keine Rede mehr sein.

Weiter ging’s nach Vilnius. Dort angekommen, warteten schon Alge auf Ülo und Wita auf die Toten Hosen. Die jungen Damen sprachen flüssig Deutsch, zumindest Alge, und waren als Betreuerinnen und Verantwortliche für das körperliche und geistige Wohl ihrer Schutzbefohlenen wahre Engel – zumindest Alge.

Vorhang zu, Zwischenspiel…

Mindaugas Cerniauskas:

Das letzte große Festival dieser Art hatte 1980 in der georgischen Hauptstadt Tiflis stattgefunden. Danach gab es bis 1986 kein unionsweites Rockfestival mehr, lediglich Jokale oder regionale Veranstaltungen dieser Art wurden von den Behörden mehr oder weniger erlaubt. Als eine Gruppe litauischer Komsomol-Mitglieder 1986 daran ging, das erste Lituanika-Festival zu organisieren, stieß sie schon in der Anfangsphase der Vorbereitungen auf teilweise erbitterten Widerstand im Komsomol und in der Partei. Einige der eingeladenen Bands wurden als anti-sowjetisch eingestuft und ihre Teilnahme am Festival schlicht verboten.

Aha….

Die Veranstalter ließen sich von all dem nicht irritieren und machten einfach weiter. Mit dem Resultat, dass schließlich das ganze Projekt Lituanika zu einem anti-sowjetischen Ereignis erklärt wurde. Es fand trotzdem statt und wurde ein voller Erfolg. Ebenso wie das Nachfolgefestival im Jahre 1987, das allerdings im Vorfeld noch heißer umkämpft war als das 86er Festival und unter anderem zu einem vorübergehenden Ausschluss des Präsidenten des Clubs Lituanika, Mindaugas Cerniauskas, aus der Partei führte.

Cerniauskas: „Der Komsomol hatte rund 800 Unterschriften gegen das Festival und gegen das ZK der litauischen KP gesammelt, welches dem Projekt ursprünglich durchaus wohlwollend gegenüber gestanden hatte. Nach dieser Aktion änderte sich die Einstellung des ZK und die Konservativen ergriffen die Initiative. Ich wurde aus der Partei ausgeschlossen...“

Das Festival fand trotzdem statt, wurde ein noch größerer Erfolg und Mindaugas wieder in die Partei aufgenommen. Der Komsomol jedoch hatte seine Monopolstellung in der Jugendarbeit endgültig verloren, der Club Lituanika, nach wie vor mit Mindaugas als Präsident, arbeitet seitdem selbständig – und das seit Verabschiedung eines neuen Gesetzes in diesem Jahr auch völlig legal.

Vorhang auf zum Höhepunkt….

Das soll unser Hotel sein ???????!!!!”

Ähhhh, jjjaaa…”

Das „Hotel entpuppte sich als riesiger Betonkomplex der Marke „Jugendherberge der schlechtesten Sorte’. Ülo und die Toten Hosen beschlossen: Da kriegt uns keiner rein und kampierten erst einmal vor dem Gebäude, während Wita, Alge, Trini Trimpop und Ülo die Lage peilten. Die ersten Nachrichten aus dem Inneren der Gebäude bestätigten nur den niederschmetternden äußeren Eindruck: „Also, Toiletten gibt’s nur als Gemeinschaftsklos, und Duschen oder Badewannen haben wir überhaupt noch nicht entdecken können.

Laut Vertrag war das Interhotel zugesichert worden. Als dann noch bekannt wurde, dass alle anderen Bands mit ausreichendem Komfort und in Stadtnähe untergebracht worden waren, schlug die Stimmung endgültig um.

Mit dem Bescheid „Entweder ein anderes Hotel oder Fahrkarten Richtung Deutschland !” wurde den Betreuerinnen die Marschrichtung vorgegeben. Und siehe da: Plötzlich gab es doch ein freies Hotel in der Innenstadt, mit Duschen und Toiletten.

Hallo Peter.”

Hallo Jungs..!

Der erste Hotelgast, der uns über den Weg lief, war Ülos Lokalkonkurrent und Gitarrenguru Peter Bursch, der samt Band Bröselmaschine gerade von den Proben aus der nahegelegenen Sporthalle zurückkam.

Der Rest des Tages, wir schreiben übrigens den 14.9.1988, war frei. Duschen, schlafen, Stadtbesichtigung und schließlich ein Besuch in der Sporthalle … jeder tat das, wonach ihm gerade zumute war.

Die Sporthalle hat durchaus amerikanische Ausmaße und faßt, über den Daumen gepeilt, 15.000 Leute,.Die Stimmung war gut in der Halle und gab somit schon einen Vorgeschmack auf das, was die Toten Hosen und Ülo an den folgenden. Tagen erwarten würde. Vor allem Honey B & T-Bones, eine finnische Band, räumten voll ab mit ihrem traditionellen Blues-Rock und brachten das Publikum, einzelne anwesende Soldaten eingeschlossen, streckenweise gar zum Tanzen,

Sieger des Abends sollte dem Vernehmen nach allerdings die DDR-BandPrinzz gewesen sein, die wir selbst erst zwei Tage später auf dem Kaunas-Festival live erleben konnten. Prinzz, gegründet 1981 in Erfurt, waren ursprünglich das DDR-Äquivalent einer NdW-Band mit deutschen Texten, hatten sich aber kurz vor dem Gig in Vilnius endgültig für eine wesentlich härtere Gangart entschieden. Um diesen Schritt nach außen zu dokumentieren, hatten sie sich in Blitzz umbenannt, mussten in Vilnius aber mit neuer Musik noch unter altem Namen auftreten. 

Am nächsten Morgen war für die Toten Hosen Soundcheck angesagt, und damit kam Fausts große Stunde. John Caffery, der eigentliche Toningenieur der Hosen, hatte daheim bleiben müssen, und so musste Faust, ansonsten eigentlich der Fahrer und das wandelnde Warenhaus der Band, einspringen. Zum ersten Mal seit fast drei Jahren saß Faust wieder hinter dem Mischpult der Hosen — und warf erstmal alle Einstellungen über den Haufen.

Zudem kämpfte Faust mit dem ins Mischpult eingebauten Limiter. Über eine gewisse Lautstärke, die natürlich zu leise war, kam er einfach nicht hinaus.

Kann man dat Ding nich einfach außer Gefecht setzen???

Neee, dann würden wir glatt die Boxen durchblasen…

Na und ???

Außerdem passen die Jungs da oben wie die Schießhunde auf auf ihre Anlage!!!“

Scheiße! Dann eben den Gesamtsound ’n bisschen runterfahren!“

Vorhang auf zum vorletzten Akt…

Die nach wie vor illegale litauische Nationalhymne a capella, und Katedra hatten gewonnen. Das Publikum hielt brennende Feuerzeuge in die Höhe, sang lauthals mit und applaudierte anschließend minutenlang. Die litauischen Lokalmatadoren, ansonsten eine reinrassige Thrashband, musikalisch wie technisch top und besser als 90 Prozent aller westlichen Kollegen (sorry Jungs und Mädels, aber leider wahr), zeigten, wo es in Litauen zur Zeit lang geht. Der Zug rollt in Richtung Unabhängigkeit; wo er allerdings enden wird, ist zur Zeit absolut noch nicht klar.

Wesentlich schlechtere Karten hatte an diesem Abend die Leningrader, und damit russische, Band O (Nol) gehabt, die, obwohl ebenfalls verdammt gut, wenn auch eher in der traditionellen Punkecke angesiedelt, vom Publikum ausgesprochen kühl behandelt worden war. Sie waren halt Russen und damit, gleich ob gut oder‘ schlecht, von vornherein unbeliebt.

Nach Katedra und der litauischen Hymne dann die Toten Hosen. Die waren zwar auch nicht litauisch, aber der frühere – und ebenfalls berechtigte – Hass auf alles Deutsche scheint inzwischen in Litauen vergessen zu sein. Spätestens mit „Disco in Moskau“ war die Schlacht um die Gunst des Publikums an allen Fronten gewonnen.

Campino war in Hochform, suchte den Kontakt mit dem Publikum, fand ihn und peitschte es regelrecht auf. Die Ansagen auf Englisch, die Texte deutsch, die Landessprache litauisch: Babylon live in Vilnius. Das heißt, nicht ganz: Eine Sprache verstanden sie alle gleich gut, Rock ’n’ Roll heißt die, und verbreitet ist sie – für alle Kids verständlich – rund um diesen gottverdammten Globus.

Die Hosen waren in Hochform, wenn auch die Pyramide mit dem Absturz des Sängers endete und sich mit einem Male alles auf den Bühnenbrettern wälzte.

Veranstalter und Publikum waren sich einig: Beste Band des Tages waren die Toten Hosen aus Westdeutschland und verliehen der Gruppe einen entsprechenden Preis,

Davon abgesehen, für viele Metaller immer noch nicht selbstverständlich, sind die Toten Hosen, und das haben sie in Vilnius nachdrücklich unter Beweis gestellt, tatsächlich eine Rockband. Sie vereinen in ihrer Musik Elemente traditionellen Punks der 70er Jahre (Sex Pistols, frühe Clash, Sham96, T.V. Smith oder The Damned) und amerikanischen Garage-Rocks mit Heavy-Rock-Einflüssen. Im Gegensatz zum Gros der zeitgenössischen Heavy Metal-Genossen zeigen sich die Hosen allerdings in ihren Texten sehr viel bewusster und reflektieren gelebte Alltagswirklichkeiten. Die neue LP „Ein kleines bisschen Horrorschau“ sei schon aus diesen Gründen wärmstens empfohlen.

Nach dem Gig stand Party auf dem Programm, zu der sich auch Prinzz, die Vertreter des DDR-Metals, angesagt hatten.

Vorhang zu, letztes Zwischenspiel,..

Also, das freut mich ja wirklich. Da sind DDR-Mädchen, die nich auf Bundie-Pässe und Westmark abfahren, sondern sich tatsächlich mal mit unseren eigenen Jungs abgeben. Das is wirklich ungewöhnlich.“

Lutz, Soundengineer der DDR-Band Prinzz, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus,

Die Mädchen übrigens waren schon bekannt aus D-Zug-Zeiten und Ülo-Waggons. Losgelöst von Lehrpersonal und Aufsichtspersönchen hatten sie sich zum Festival eingefunden und hingen nun mit den Jungs von Prinzz rum. Bis auf eine, mit der Campino ins Gespräch gekommen war und die dann später, als die Frage nach dem freien Bett aufkam, kameradschaftlich von einem Angehörigen des Ülo-Trosses auf einer unbelegten Matratze untergebracht wurde.

Als DDR-Band hat man es ansonsten tatsächlich schwer, vor allem, wenn man wie Prinzz (Blitzz) Heavy Metal spielt und dann auch noch englische Texte singt.

Es gibt da noch ’n anderes Problem: Bei uns im Osten wollen die Fans nur nachgespielte Sachen von X oder Y aus dem Westen, also internationale ‚Standards. Material von einer DDR-Band? Nee, danke, kein Interesse. Wir spielen aber nur eigenes Material, so dass es ziemlich schwer ist, vom heimischen Publikum überhaupt akzeptiert zu werden.” Inzwischen werden Prinzz in der DDR immer stärker akzeptiert, von den Fans wie von den Medien. Tatsächlich sind sie zur Zeit eine der interessantesten deutschen Metal-Bands (Ost und West) überhaupt, was nicht zuletzt auch ein Verdienst der Sängerin Kerstin ist. Prinzz Gitarrist Flatsch bekam sein Mädchen aus der DDR mit ins Bett, allerdings : „Ich muss wohl irgendwie zu besoffen gewesen sein, gelaufen ist da jedenfalls nix.“

Gelaufen ist übrigens auch bei den Toten Hosen nix, obwohl Kiki und Bollock (Tourneeleiter und Chefroadie) häufiger mal die Anfrage „Ficken???“ starteten…

Dafür floss, trotz Prohibition und dank Schwarzmarkt, der Hochprozentige in Strömen.

Vorhang auf zum Finale

Die Party lief im Studentenheim von Vilnius, genauer gesagt in den Räumlichkeiten, die der Club Lituanika mit Videoanlage, und zwei Fernsehern ausgestattet hatte, über die die Konzerte des Abends noch einmal flimmerten. Zum Inventar gehörte außerdem eine sehr guten Discotheken-Anlage. Das Ganze ähnelte einem typisch westlichen Club, zumal auch das gesamte Equipment aus westlichen bzw. fernöstlichen Markenfabriken stammte.

Kaunas, die zweite Stadt, in der die Toten Hosen auf die Bühne sollten, ist nach Vilnius die bedeutendste Metropole Litauens, war zeitweise Hauptstadt Litauens und ist heute ein wichtiges kulturelles, wirtschaftliches und industrielles Zentrum der Sowjetrepublik. Knapp 100 Kilometer legen zwischen den beiden Metropolen des baltischen Staates. In Kaunas fand eine Nebenveranstaltung der Lituanika ’88 statt, die ebenso ausverkauft war wie das Hauptprogramm in Vilnius.

Entsprechend tot waren nach dieser Party denn auch einige Mitreisende am nächsten Morgen, als es hieß: Der Bus nach Kaunas wartet! Mit beträchtlicher Verspätung ging es auf die Autobahn, nicht allzuweit, denn nach etwa 50 Kilometern strandete der Bus samt Besatzung irgendwo im litauischen Nirgendwo. Motor überhitzt, Kühlwasser weg, das klang nach Kühlerleck. So war es tatsächlich. Die große Zeit der Improvisation begann. Während einige Mitglieder der Reisegruppe ihr Heil im Autostopp suchten, lagerten andere friedlich am Straßenrand. Der Fahrer begab sich derweil samt Kanister in die umliegenden Felder und suchte eine Wasserquelle.

Irgendwann ging’s tatsächlich weiter. In der Sporthalle Kaunas eingetroffen gab’s ein bemerkenswertes Bild zu sehen: Die Lichttraverse war auf die Bühne gekracht. Was nicht weiter verwunderte, wenn man genauer hinsah, Die Befestigungen waren offensichtlich dem Gewicht der Traverse nicht gewachsen gewesen. Dennoch sollte sie wieder hochgezogen werden – was allerdings auf erbitterten Widerstand aller anwesenden Drummer stieß. Die Traverse nämlich hing genau über dem Stuhl des Schlagzeugers. Die Traverse blieb unten und das Festival nahm seinen Lauf. Die Boom Operators (West Berlin) traten auf und hinterließen einen phantastischen Eindruck. Die Band ist unbedingt sehenswert – wenn man eine interessante Mischung aus New Wave und Rock zu schätzen weiß. Ähnlich gilt für die niederländische Band Kadaverbak, die nach ihnen dran waren. Dann schlug die Stunde für Prinzz. Obwohl Sängerin Kerstin stark erkältet auf die Bühne kletterte, legten die Ostmetaller einen brillanten Gig hin. Musikalisch ist Prinzz irgendwo zwischen Metallica und Alice Cooper (dessen ‚School’s Out’ sie coverten) anzusiedeln. Ihren ganz eigenen Charakter verdankt die Musik der Band aber der außergewöhnlichen Stimme und Bühnenpräsenz von Frontfrau Kerstin Radtke. Zu dem Zeitpunkt hatte die Band sich bereits von Prinzz zu Blitzz umbenannt, trat aber noch unter dem alten Namen auf.

Von Prinzz zu den Toten Hosen. Die hatten zunächst mal die Roadcrew in die Stadt jagen müssen: „Jungs, wir brauchen BIER!“

Die Jungs waren Gottseidank rechtzeitig zum Auftritt wieder zurück — mit Bier.

Auf der Bühne schließlich wieder Hosen in Bestform, eine beeindruckende Liveband, die vor Publikum alle Register zieht und dementsprechend auch an diesem Tag die Halle in einen Hexenkessel verwandelte, nicht zuletzt weil sie mit Campino einen Frontmann mit enormem Charisma ihaben, dem sich live kaum jemand entziehen kann; dem er dann selbst allerdings auch fast zum Opfer fiel, als er sich in die Menge begab. Kiki und Bollock hatten einige Mühe, ihn aus einer Traube von Kids zu befreien und ihn wieder heil auf die Bühne zu bringen – mit nacktem Oberkörper, das T-Shirt war ihm vom Leibe gezogen worden. Nach dem Auftritt ging’s zurück nach Vilnius und noch einmal zur Party, wo es in etwa so abging wie am Vorabend.

Vorhang zu, Saallichter an…

Wo sind denn …???

Bier holen !

Aber der Zug…

Die schaffen das schon noch rechtzeitig…

Sie schafften es rechtzeitig, beladen mit einigen Paletten feinsten Dosenbiers.

Sollten wir nicht ein eigenes Abteil haben?

Ja.“

Wat machen denn dann die ganzen Leute hier drin???

Kein eigenes Abteil. Der Schaffner tat sein bestes, alle halbwegs unterzubringen. Er schaffte es nicht ganz. Die Rückfahrt also in einer gemischten russisch-deutschen Abteilbesetzung, die zum guten Ende zu einigen sehr interessanten Kontakten und Gesprächen führte. Wen kümmerte es da noch, dass von Warschau an das eigene Abteil für die Toten Hosen völlig leer am Zug hing, während wir uns im vollgepackten Liegewagen drängelten, den Schaffner aus seiner Kabine warfen und diese zur Spielhölle umfunktionierten?

Ärgerlich war es allerdings doch etwas, als wir in Ost-Berlin, inzwischen völlig übermüdet und kaputt, endlich von dem eigens für uns angehängten Kurswagen erfuhren…

C 2022 MuzikQuest/ Edgar Klüsener, Erstveröffentlichung in Metal Hammer 10/1988

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Seltenes Nirvana Interview in voller Länge ( Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic)

Auf Youtube sind mittlerweile etliche Kopien eines Interviews präsent, das ich am 18. Oktober 1993 mit Nirvana in ihrer Heimatstadt Seattle geführt hatte. Das Interview sollte ursprünglich für das Fachblatt Musik Magazin, das kurzlebige Indie-Magazin C.O.R.E., die Musik Woche, Marabo, die Westfälische Rundschau, und einige andere Publikationen sein. Kurzfristig meldete dann auch noch BRAVO TV Interesse an und heuerte vor Ort einen Kameramann an, der das Interview dann mitschnitt.

Nirvana hatten an diesem Tag bereits eine Reihe von Interviews gegeben, und nicht alle waren gut gelaufen, ich war also auf das Schlimmste vorbereitet. Doch die Band gab sich locker und redselig, auch wenn ein windiger Balkon des Edgewater Hotels nicht unbedingt die beste Interview Location war.

Obwohl bereits mehrere Kopien des Interviews online sind, habe ich es bis heute versäumt, es auch auf meinem eigenen Channel verfügbar zu machen. Zeit also, das versäumte nachzuholen. Hier ist der Link zum Interview:

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Und hier der Link zur vollständigen Transkription.

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PRIMAL SCREAM, Manchester, 9. Juli 2022

Es ist ein perfekter Sommertag für ein perfektes Primal Scream Konzert in einer perfekten Umgebung. Die Castlefield Open Air Arena liegt im ehemaligen Kanalhafenbecken Manchesters, zu Füßen der alten römischen Befestigung Castra Mancunium, der die Stadt ihren Namen verdankt. Hinter der Bühne sind Hausboote angedockt und ein Wirrwarr von Eisenbahn-, Tram- und Autobrücken überzieht das Hafenbecken, während der industriellen Revolution einer der wichtigsten Transportknotenpunkte Englands. Als Walt Disco, die erste von insgesamt drei Vorbands, die Bühne betreten, brennt die Sonne von einem wolkenlos blauen Postkartenhimmel auf eine zu diesem Zeitpunkt bestenfalls halb gefüllte Arena. Die Band aus Glasgow hat unlängst ihr Debütalbum ‚Unlearning‘ veröffentlicht, das von der Kritik weitgehend wohlwollend aufgenommen worden ist. Musikalisch bedienen sich Walt Disco freizügig im Glamrock-Repertoire der Siebziger und Achtziger und reichern die Anleihen mit Goth- und New Wave-Elementen und einer gehörigen Prise Punk an. Das funktioniert überraschend gut. Live spielt die Band bewusst provozierend mit Gender-Klischees, und Sänger James Potter wirbelt im durchsichtigen purpurfarbenen Kleid über die Bühne. Mit hochenergetischen Songs wie ‚Cut Your Hair‘ oder ‚I Had The Perfect Life‘ heizen Walt Disco das Publikum an, das sie am Ende dafür auch kräftig feiert. Den Namen Walt Disco sollte man sich merken.

Eigengewächs aus Manchester – Singer/Songwriter Lone Lady, Pic: Edgar Klüsener/2022

Als nächste spielt LoneLady auf. Hinter dem Namen verbirgt sich die Sängerin, Gitarristin , Songwriterin und Produzentin Julie Campbell aus Manchester. Während ihres Sets füllt sich die Arena weiter. Sie und ihre zwei MitmusikerInnen haben hier ein Heimspiel, und sie machen das Beste daraus. Ihre post-punkigen elektronischen Stücke haben einen industriellen Hauch, der perfekt zur postindustriellen Atmosphäre Castlefields passt. Dennoch, Teile des Publikums nutzen die Gelegenheit, die der Lo-Fi Funk Set des Trios bietet, um sich an den Bier- und Würstchenständen mit Proviant für die anstehende Hauptattraktion zu versorgen.

Bevor es dann endlich Zeit für Primal Scream ist, sind zunächst noch The Mysterines aus dem benachbarten Liverpool an der Reihe. Inzwischen ist die Menge sichtlich angewachsen und freie Plätze sind in der Arena zunehmend schwerer zu finden. Seit sein Debütalbum im März in den Top Ten der Albumcharts gelandet ist, wird das Quartett aus der Klopp- und Beatles-Stadt in britischen Musik-Medien als ganz heißer Tipp gehandelt, und schon der Opener ‚Life‘s A B*tch (But I Like It So Much) macht klar, dass was dran ist am Mysterines-Hype. Als Anheizer sind die vier großartig, ihr grunge-lastiger und manchmal hypnotisch schwerer Rock sowie die großartige Performance von Gitarristin und Sängerin Lita Metcalfe heizen die ohnehin schon fantastische Stimmung in der inzwischen proppenvollen Arena um einige weitere Grade an. Nach dem letzten Akkord der Mysterines zeigt lang anhaltender und teils frenetischer Applaus, dass die Liverpooler auch in Manchester gewonnen haben.

Die mittlerweile 8.000, eine bunte und erwartungsfrohe Mischung der Generationen, sind endgültig bereit für die Hauptattraktion.

Punkt 21 Uhr baut sich zunächst der fünfköpfige Gospel-Chor auf einem Podest im Hintergrund der Bühne auf, vom Band ertönt ‚I Belong to Glasgow‘ von Andy M. Stewart. Dann schreitet Bobby Gillespie gemächlich an den Bühnenrand. Er trägt einen maßgeschneiderten Anzug in den psychedelischen Farben von ‚Screamadelica‘, des Albums, das dem einstmaligen Indieact Primal Scream 1991 den Durchbruch in den Massenmarkt gebracht hatte. Die kurze Tournee, die die Schotten in diesem Jahr spielen, steht ganz im Zeichen des dreißigjährigen Jubiläums von ‚Screamadelica‘.

Bobby Gillespie und der Gospel Chor. Pic: C Edgar Klüsener 2022
Mr Charisma: Bobby Gillespie (Pic: Edgar Klüsener, 2022)

Gillespie wird mit tosendem Beifall und Sprechchören empfangen. Dann geht’s los. „Wir zelebrieren die heilige Dreifaltigkeit des Rock’n’Roll’“ adressiert er die Menge. „Seid ihr bereit?“ Ein ohrenbetäubendes ‚Ja‘ ist die Antwort der versammelten Gemeinde. Ab geht die Post mit dem gospelinspirierten ‚Movin‘ On Up’, dessen Zeilen anfangs zögerlich, dann zunehmend lauter von der Menge mitgesungen werden. Bobby Gillespie tänzelt leichtfüßig über die Bühne – kaum zu glauben, dass der Mann bereits 60 ist –, und seine Gestik erinnert in Momenten an die eines charismatischen Predigers. Nur dass seine Botschaften im Rahmen einer fundamental-christlichen Kongregation sicherlich ebenso fehl am Platze wären wie die kaum verklausulierten Referenzen zu drogeninduzierten psychedelischen Sinneserfahrungen. Stilistisch ließen sich Primal Scream mit dem Release von ‚Screamadelica‘ nicht mehr in eine vordefinierte Ecke drängen. Mit dem Album brachen die Schotten seinerzeit aus dem Hinterstübchen der Indierock-Klischees aus und öffneten sich für Gospel, Acid House, Dance, R&B und die Rave-Subkultur, die im England der späten Achtziger und frühen Neunziger ihre Hochblüte hatte. Dass das heute noch so frisch und unverbraucht klingt wie vor drei Jahrzehnten, belegt nicht nur der sehr hohe Anteil der unter-Dreißigjährigen im Publikum, sondern auch die Ekstase, in die sich die Menge steigert, je länger das Konzert fortdauert. Es folgen ‚Slip Inside This House‘ und ‚Don‘t Fight It, Feel It’. Letzteren Song widmet Gillespie Denise Johnson. Die Sängerin aus Manchester hatte auf dem Screamadelica Album gesungen und ist auf dem Höhepunkt der Pandemie im Alter von 56 Jahren gestorben.

Es folgt ein weiterer magischer Moment. In der Ansage geht Gillespie auf den Krieg in der Ukraine ein, auf die tiefen Risse die die britische Nation spalten, aber auch die Gesellschaften der USA, Frankreichs und anderer Nationen. Die Aufforderung ‚Come Together‘ ist in Brexit- und Johnson Zeiten so zeitgemäß wie wohl selten zuvor in den vergangenen 30 Jahren und wird zur zelebrierten Hymne für zumindest einen ebenso wunderschönen wie flüchtigen Sommerabend, in dem der zerrissenen Welt vor den Toren der Arena mit Eintracht begegnet wird. Zusammenschluss statt Zersplitterung bis zum Ende des Konzerts. Das weitere Programm besteht aus ‚Inner Flight‘, ‚Screamadelica‘, ‚I‘m Coming Down’, ‚Damaged‘, ‚Higher Than The Sun‘ und ‚Shine Like Stars‘.

Primal Scream haben sichtlich Spaß an ihrem Vortrag, und die pure Spielfreude schwappt von der ersten Sekunde an über auf die dichtgedrängte Menge vor der Bühne. Die Band ist eingespielt, die Show, illuminiert mit aufwändigen Lichteffekten und Videoprojektionen, die in vielen subtilen Variationen den psychedelischen Farbenrausch von ‚Screamadelica‘ wiederbeleben und interpretieren, spricht alle Sinne an. Die Musiker beweisen ihre technischen und musikalischen Qualitäten. Vor allem Bassistin Simone Butler wird schon seit Jahren zu den Besten ihres Faches gezählt und Gitarrist Andrew Innes besticht auch in Manchester mit präzisem Riffing und gefühlvollen Soli.

Vor allem aber ist es Frontmann Bobby Gillespie, der die Show trägt. Entertainer, Magier, Mr. Charisma höchstpersönlich. Er zieht das Publikum in seinen Bann und etabliert von der ersten Minute eine intensive Wechselbeziehung zwischen Bühne und Auditorium.

Um 22:15 Uhr beenden Primal Scream den Set und verlassen die Bühne. Weil die Arena sich in einem Wohngebiet befindet, gibt es strikte Vorgaben: Punkt 22:30 sollen die Lichter an und die Verstärker aus sein. Nach zwei Minuten schlurft Bobby Gillespie auf die Bühne zurück.

Vom Band erklingt das Intro zu ‚Loaded‘:

We wanna be free, we wanna be free to do what we wanna do. And we wanna get loaded. And we wanna have a good time. And that’s what we’re gonna do. We’re gonna have a good time. We’re gonna have a party!”

Und eine Party wird es, Curfew hin, Vorschriften her. Auf ‚Loaded‘ folgen ‚Swastika Eyes‘ mit Videoreferenzen zu Trump, Johnson und Putin und schließlich ‚Jailbird‘. Und das ist’s dann endlich und eigentlich immer noch viel zu früh, 10:30 Uhr, Show vorbei. Denkste! An Aufhören denkt hier niemand, stattdessen bittet Gillespie eine lokale Legende auf die Bühne, Gary ‚Mani‘ Mounfield, ehemals Bassist der Stone Roses und, von 1997 bis 2008, Vorgänger von Simone Butler bei Primal Scream. Spätestens jetzt ist es purer Rock’n’Roll, der die wie ein Amphitheater aufgebaute Arena zum Toben brachte. ‚Rocks Off‘, der finale Song ist pures Dynamit und beendet schließlich eine sensationelle Vorstellung von Primal Scream in Manchester.

C 2022 by Edgar Klüsener

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Folklore-Label Kalan Müzik: Hasan Saltiks musikalischer Widerstand

Ein anderer Blick über die Grenzen hinweg, diesmal in die Türkei, wo Hasan Saltik 1991 das spannende Label Kalan Müzik aus der Taufe gehoben hatte. Da hatten in der Türkei gerade mal wieder die Militärs im Namen des Kemalismus die Macht übernommen hatte. Hasan Saltik war Teil des demokratischen Widerstands gegen die Militätdiktatur und machte es sich zur Aufgabe, die Kulturen und Sprachen der unterdrückten Minderheiten in der Türkei zu dokumnetieren und ihnen eine Stimme zu geben. Daran hielt er auch fest, als die Türkei sich wieder zu einer säkulären Demokratie wandelte, die in die EU strebte. Und weiter, als Erdogan dann die Demokratie von innen heraus auszuhöhlen begann und seitdem das Land weiter in Richtung nationalistisch-islamischer Diktatur drängt, die die Türkei zur alten Größe des Osmanischen Reiches zurückführen möchte. Hasan Saltik blieb auch gegen Erdogans Regime im kulturellen Widerstand. Diese Geschichte erschien zuerst am 12. April 2004 in SPIEGEL online.

Seit kurzer Zeit öffnet sich die türkische Gesellschaft für ihre ethnischen Minderheiten. Dass die Kultur der Kurden, Syrianer oder Ladinos jetzt wieder entdeckt wird, ist auch ein Verdienst des ehemaligen Widerständlers Hasan Saltik, der sich mit seiner Plattenfirma Kalan Müzik den musikalischen Artefakten Anatoliens widmet.

Ursprünglich war Hasan Saltik einfach nur auf Protest aus, auf Widerstand mit allen klingenden und singenden Mitteln. Das war in den achtziger Jahren. In der Türkei war da gerade mal wieder das Militär an der Macht, bestrebt, das säkular-nationalistische Erbe Kemal Atatürks gegen die erstarkende islamistische Reformbewegung zu verteidigen. So zumindest damals die Lesart der Generäle. Dass die Junta bei der Gelegenheit auch gleich noch beinahe ungehemmt gegen rebellische Kurden, linke Intellektuelle, aufbegehrende Arbeiter und unbotmäßige Künstler vorgehen konnte, war ein zwar nicht explizit geplanter, aber den Generälen durchaus willkommener Nebenaspekt der Diktatur.

Hasan Saltik war einer der Unbotmäßigen. Er leistete Widerstand auf seine Art und veröffentlichte linke Protestmusik. Zunächst ausschließlich türkische, dann auch kurdische und armenische. Die Veröffentlichungen seines Istanbuler Underground-Labels waren schon bald nicht nur landesweit quer durch alle Bevölkerungsschichten gefragte Äußerungen des musikalischen Widerstandes, sie begründeten auch eine Firma, die mittlerweile weltweit Kultstatus hat: Kalan Müzik.

Kalan Album: The Colours of Anatolia

Hasan Saltik erinnert sich beinahe wehmütig zurück an diese Tage:

„Wir waren immer sehr schnell. Die Zeitspanne, die die Behörden benötigten, um eine Platte zu verbieten, reichte in den meisten Fällen, um die komplette Auflage zu verkaufen, bevor die Verfügung bei uns ankam. Die Leute wussten von der bevorstehenden Veröffentlichung, warteten oft schon seit Wochen gespannt darauf, und wenn sie dann kam, stürmten sie die Läden.“

Resultat: Auflage verkauft, Hasan zufrieden. Platte rechtskräftig verboten und Weitervertrieb unterbunden, Militär zufrieden. Ärgerlich war das Spielchen natürlich trotzdem für Saltik, der in manchen Monaten mehr Tage vor Gericht als in seinem Büro verbringen musste.

Als das Militär schließlich in die Kasernen zurückkehrte und die Türkei sich erneut zu einer Demokratie wandeln ließ, gründete Saltik 1991 als Nachfolgerin des Underground-Labels die Plattenfirma Kalan Müzik und erweiterte seine Produktpalette. Schon zu Zeiten der Junta hatte er neben linker türkischer Protestmusik auch Platten in kurdischer Sprache herausgebracht – ein klarer Verstoß gegen das Jahrzehnte lang gesetzlich verankerte Grundprinzip des türkischen Nationalstaates, das die Existenz von nicht-türkischen Minderheiten in Anatolien schlicht leugnete, und deshalb auch deren Sprachen und Kulturen nicht anerkannte. Minderheiten, die sich erdreisteten auf ihrer eigenen Sprache und Kultur zu bestehen, wurden im besten Falle ignoriert, in gravierenden Fällen – wie dem der Kurden – aber auch mit allen Mitteln verfolgt.

Hasan Saltik konzentrierte sich nun zunehmend auf die Musik dieser Minderheiten – und fand sich damit prompt erneut in Opposition zum mittlerweile wieder demokratischen türkischen Staat wieder, der nur sehr zögerlich bereit war – und es immer noch ist – seine ethnischen Minderheiten als eben solche zu akzeptieren.

Auf der Suche nach den fast schon verlorenen musikalischen und kulturellen Schätzen Anatoliens leisten Saltik und seine Mitarbeiter seitdem dennoch Erstaunliches.

Wer wie Hasan Saltik weniger an Scherben und Ruinen als vielmehr an lebendiger Überlieferung verschollener Kulturen interessiert ist, muss mühselig kreuz und quer durchs Land ziehen und in die hintersten Bergdörfer einfallen. Kulturelle Archäologie könnte man das nennen, und in der Tat beobachten Universitäten in mehreren europäischen Ländern und in der Türkei sehr gespannt, was das Kalan-Label so alles zu Tage fördert. Fündig wird Saltik immer wieder, obwohl es den Minderheiten in der Türkei über Jahrzehnte hinweg nicht nur verboten war, ihre Sprache zu sprechen, sondern auch Aufzeichnungen ihrer eigenen Sprache oder Musik zu besitzen.

Die Fundstücke werden aufwändig verpackt und dann auf einen Markt geschickt, der längst weltumspannend ist. Zu CDs wie dem Doppelalbum „Süryaniler“ liefert Kalan bis zu hundertfünfzig Seiten umfassende Büchlein mit. „Süryaniler“ ist eine Sammlung von religiösen und folkloristischen Liedern der Syrianer, die auch heute noch in der an Irak und Syrien angrenzenden Bergregion der Türkei leben und dort immer wieder unter der Verfolgung durch ihre kurdischen Nachbarn leiden müssen. In mehreren Sprachen informiert das Booklet über die Geschichte der Syrianer oder Syrischen Christen – die Syrische ist eine der ältesten christlichen Kirchen -, ihre Kultur und ihre Lieder. Akribisch analysiert der Text Einflüsse in die Musik und geht dabei weit in der Zeit zurück.

Akribisch baut das Kalan-Label sein musikhistorisches Archiv weiter und weiter aus. Manches Liedgut schien schon unrettbar verloren, wie die Musik der Ladinos, der sephardischen Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben worden waren und im Osmanischen Reich eine neue Heimat gefunden hatten. Ihre Sprache ist ein seltsam antiquiert klingendes Spanisch, wie es um die Zeit von Cervantes auf der iberischen Halbinsel gesprochen wurde, ihre Musik eine an- und aufrührende Melange aus klassischer iberischer Folklore, arabischen, türkischen und griechischen Elementen und einer Traurigkeit, die an den Fado Portugals erinnert. Auch „Yahudice“, das Ladino-Album, kommt mit dem Kalan-typischen sorgsam zusammengestellten Begleitbuch.

Mittlerweile wandelt sich das politische Klima in der Türkei erneut. Das Land nimmt Abschied vom rigorosen Nationalismus der Vergangenheit und wendet sich mit neu erwachtem Interesse der lange unterdrückten Vielfalt innerhalb der eigenen Grenzen zu. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst von Kalan Müzik. Saltik:

„In den letzten Jahren unterstützen uns nicht nur die türkischen Massenmedien, auch Politiker und Angehörige der etablierten Gesellschaft orientieren sich neu und entdecken Anatoliens Geschichte und seine Kulturen wieder.“

In dem Maße, in dem die türkische Gesellschaft sich öffnete, wandelte sich auch der Anspruch der Plattenfirma an sich selbst. Aus der linken Untergrundklitsche wurde das etablierte Plattenlabel, das mit schöner Regelmäßigkeit musikhistorische Kleinodien ausbuddelt und zum Bewahrer der anatolischen Kulturen geworden ist. Dass diese sich nun selbst wieder entdecken, erfüllt Saltik mit besonderer Freude:

„Die ethnischen Kulturen Anatoliens mögen lange Zeit unterdrückt gewesen oder gar vom Aussterben bedroht gewesen sein, doch nun sind sie wieder sehr lebendig. Es sind vor allem junge Menschen, die neugierig auf die eigenen Wurzeln geworden sind und von sich aus die eigene Geschichte und Kultur weiter erforschen.“

So wie Kardes Türküler, eine Gruppe hoch begabter junger Musiker, die die verschiedenen Volksmusiken Anatoliens neu entdeckt und auf ihre Weise arrangiert und interpretiert. Ihnen kommt es vornehmlich darauf an, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, zu zeigen, dass die verschiedenen Kulturen sehr viel mehr miteinander verbindet als nur der gemeinsame Lebensraum. Eher nebenbei ist die Gruppe dabei zu einem der großen Kassenmagneten Kalans geworden. Auch im Ausland.

 

Überhaupt finden die Produktionen aus dem Hause Kalan längst auch grenzüberschreitend Beachtung. Was Saltik zwar freut, ihn aber auch gelegentlich verärgert. Insbesondere immer dann, wenn seine Produktionen von westlichen Kritikern oder Händlern der Sparte „World Music“ zugeschlagen werden. Der Terminus sei Ausdruck herablassender angelsächsischer Arroganz, schimpft er dann, und bezeuge einen latenten Rassismus, der die anglo-amerikanische Popkultur gegen den Rest der Welt stelle und geflissentlich ignoriere, dass der Rest der Welt schon Kultur gehabt habe, als in Nordeuropa noch die Erdhöhle als Eigenheim diente.

Dabei outet sich Saltik bei Gelegenheit gern als waschechter Rockfan, der seit frühester Jugend auf Led Zeppelin und Pink Floyd steht. Dass Kalan Müzik trotzdem keine anatolischen Rockgruppen im aktuellen Programm hat, hat daher auch weniger mit seinen musikalischen Vorlieben als vielmehr mit seiner Einschätzung zeitgemäßer türkischer Rockmusik zu tun: „Ich habe einige Male versucht, türkische Rockgruppen zu fördern. Doch türkische Musiker sind einfach noch nicht so weit. Die überwiegende Mehrheit kopiert einfach blind englische oder amerikanische Gruppen, es fehlt die Eigenständigkeit.“

Zufrieden ist Hasan Saltik mit dem Erreichten noch lange nicht. „Die kulturelle und geschichtliche Vielfalt und Bedeutung Anatoliens ist immens, aber in Europa und Amerika kaum bekannt. Wir wollen dem Rest der Welt ein wenig davon vermitteln, was Anatolien und den Mittleren Osten kulturell ausmacht.“ Das klingt, als sei von Kalan Müzik noch viel zu erwarten.

Hasan Saltik starb am 2. Juni 2021. Mit ihm hat die Türkei einen herausragenden Kurator ihrer viefältigen – und oft unterdrückten – linguistischen, religiösen, ethnischen und kulturellen Traditionen verloren. Das Label Kalan Müzik setzt die Arbeit in seinem Sinn weiter fort.

Eine Kalan- Veröffentlichung aus dem Jahre 2020:

 

C 2004/2022 Edgar Klüsener, Erstveröffentlichung in SPIEGEL Online, 12.04.2004

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Rockmusik in Israel: Auf der Suche nach einer neuen Identität

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hatte ich den Journalismus für einige Jahre beinahe völlig  an den Nagel gehängt und stattdessen an der University of Manchester ein BA(Hons)-Studium in Contemporary Middle Eastern Studies begonnen. Beim BA sollte es nicht bleiben, es folgte der MA und schließlich der PhD. Das Interesse an populärer Musik hatte ich natürlich nicht verloren (was eh unmöglich ist, wenn man in einer Stadt wie Manchester lebt), aber das Studium schärfte den Blick für popkulturelle Entwicklungen in Regionen am Rande oder außerhalb der Grenzen westlicher kultureller, ökonomischer und kultureller Dominanz. Genauer angeschaut hatte ich mir damals Entwicklungen in Iran, der Türkei und Israel. Die erste Zeitgeschichte hat Rockmusik in Israel zum Thema. 

Maor Appelbaum ist der Sänger, Hauptkomponist und Bassist einer Rockband. Die Band heißt Sleepless, und sie ist aus Israel. Das erkläre einiges, meint Maor Appelbaum, vor allem die Intensität und Aggressivität von Sleepless. Denn Israel sei ein schnelles Land, ein Land, in dem musikalische Stile und Trends sich in rasantem Tempo verändern. Ein Land unter Druck, in dem keine Zeit sei für Beschaulichkeit und für Langeweile. In dem Interview mit einem amerikanischen Fanzine führt er weiter aus:

„Leben in Israel ist ein Leben im Hier und Jetzt, wir können nichts auf morgen verschieben. Dieses Land ist großartig für aggressive Musik, weil es unter ständigem Druck ist, umgeben von Feinden. Und manchmal sind wir selbst unsere größten Feinde.“

 

Maor Appelbaum

Rockmusik ist seit den späten Sechzigern die dominante Musikform Israels. International erfolgreicher mag schräger Pop á la Dana International sein, oder auch israelischer Goa Trance, aber Rock, und seit kurzem HipHop, sind die Musikformen, die den israelischen Alltag prägen. Was überrascht und die zionistischen Väter des Staates wahrscheinlich in ihren Gräbern rotieren lässt. Denn die hatten eine andere Musikkultur im Sinne gehabt, eine, die nicht an englischen und amerikanischen Klängen ausgerichtet, sondern ganz eindeutig und unverkennbar jüdisch, zionistisch, israelisch sein sollte. Das Problem, dass die Gründungsväter hatten, war ein Identitätsproblem. Die Bevölkerung des künftigen Staates Israel war schon vor der Staatsgründung extrem heterogen. Die Sephardim, europäische Juden, hatten mit den Ashkenazim, den ‚orientalischen‘ Juden, die aus dem Iran, aus Marokko, Tunesien und anderen Gegenden des Nahen und Mittleren Ostens nach Palästina strömten, nur wenige historische, kulturelle und sprachliche Gemeinsamkeiten. Eine umfassende kulturelle, nationale und politische Identität musste buchstäblich erfunden werden.

Rockmusik eingemeindet

Die Zionisten versuchten genau das. Sie propagierten Hebräisch als die offizielle Landessprache, und sie machten sich daran, eine Folklore-Tradition zu begründen, die unter dem Namen „Lieder des Landes Israel“ (Shirey Eretz Yisrael) bekannt werden sollte. Das Ziel war es, die Fragmente unterschiedlichster Kulturen durch eine israelische Kultur zu ersetzen, die durch eine gemeinsame Sprache, Literatur und Volksmusik definiert werden konnte. Seinen Höhepunkt erlebte dieses Unterfangen in den Dreißigern und Vierzigern des vorigen Jahrhunderts, den entscheidenden beiden Jahrzehnten vor der Staatsgründung. Die Ideologie der ‚Nation im Werden‘ schuf den Mythos einer Pionier-Jugend, die das Land der Vorväter zurückforderte. Viele der Lieder beschrieben daher in romantischer Verklärung die neuen, geheimnisvollen und mythischen Landschaften, in denen die Neueinwanderer nun lebten.

Hand in Hand mit der Schaffung einer neuen, israelischen Identität ging die bewusste Ablehnung westlicher Kultur als fremdartig und potenziell feindlich. Als dann in den späten Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts der Rock’n’Roll aus Amerika nach Israel überschwappte, standen die Zionisten vor einem erheblichen Problem. Rock’n’Roll war westlich, amerikanisch, global und extrem populär auch unter Israels Jugend – das genaue Gegenteil also von der eingeborenen Kultur, der israelischen Identität, die die Gründungsväter zu etablieren hofften. Das Dilemma wurde gelöst, indem Rock’n’Roll schlicht eingemeindet wurde. Rock mit hebräischen Texten musste es sein, mit Inhalten, die Bezug hatten zur israelischen, jüdischen, zionistischen Realität des Landes. Der Ansatz ist auch von anderen Ländern her bekannt, die um ihre kulturelle Identität bangten. Frankreich kämpft noch immer gegen die Windmühlen anglo-amerikanischen Popimperialismus und quotiert seine Radioprogramme entsprechend. In Israel war die Sache auch deshalb brisant, weil die ersten, die zum Rock’n’Roll konvertierten, Kids vom Rande der Gesellschaft waren, Jugendliche aus den Siedlungen und Vorstädten der Mizrahim, die sich in der von den europäischen Juden dominierten Gesellschaft zurückgesetzt fühlten. Aus ihrer Mitte kamen Bands wie Ha-shmeni ve-haraz-im oder The Goldfingers, zu deren Konzerten beachtlichen Zuschauermengen, oft zwei- oder dreitausend Fans, strömten. Diese Beatgruppen folgten weitgehend den englischen und amerikanischen Vorbildern und sangen auch in englischer Sprache. Die Etablierung von Randkulturen im neuen Staate Israel war genau das, was die zionistischen Gründungsväter möglichst vermeiden wollten. Die Folge war eine ausgedehnte Kampagne gegen die als vulgär und zwielichtig bezeichneten Elemente, deren Bindung zum nationalen Kollektiv in Frage gestellt wurde.


Israelischer Neonazi-Rock

Anders sah die Sache ein wenig später aus, als israelische Musiker begannen, Rockmusik mit hebräischen Texten zu schreiben. Musiker wie Arik Einstein, Shmulik Kraus, Shalom Hanoch oder die Band Kaveret israelisierten Rock in den Siebzigern und verankerten ihn im Mainstream des israelischen Musiklebens, aus dem er seitdem nicht mehr wegzudenken ist. Aber auch heute noch existieren verschiedene Rockkulturen mehr zwie- als einträchtig nebeneinander. Vor allem die russischen Einwanderer haben sich eine ganz eigene Rockkultur geschaffen, die eher an russischen Heavy Metal-Bands orientiert ist und sich deutlich vom Mainstream abgrenzt. Russische Einwanderer sind es auch, die Israel das nur vordergründige Paradoxon einer antisemitischen Neonazi-Rockszene beschert haben, ein Phänomen, das mittlerweile auch die Knesset (das israelische Parlament) beschäftigt hat. Seit 1975 hat Israel weit über eine Million Einwanderer aus den Staaten der früheren Sowjetunion aufgenommen, die meisten davon Juden. Doch unter ihnen eben auch 200 – 300.000 ökonomische Migranten, so die Schätzungen des Innenministeriums, die sich lediglich als Juden ausgegeben haben, und von denen eine Minderheit, obwohl Bürger Israels, antisemitisches Gedankengut offen äußert. Die musikalischen Vorbilder für die israeli-russischen Neonazis sind vor allem russische Rechtsaußen-Bands wie die dem neofaschistischen Politiker Schirinowski nahe stehenden Metal Korrosija, aber auch britische Blood & Honor-Kapellen wie Skrewdriver und neuerdings deutsche Nazikapellen.


Auf dem Weg zur Nahost-Normalität – Orphaned Land

By © Markus Felix (talk to me) – Own work, CC BY-SA 3.0, 

„Israel ist ein Land der Extreme“, sagt Kobi Farhi. Kobi ist Sänger einer Band namens Orphaned Land. Orphaned Land ist eine sehr bekannte Rockgruppe in Israel und allmählich auch in Europa, vor allem in Deutschland.

„Israel ist ein Schmelztopf der Kulturen. Diese unterschiedlichsten Kulturen, die den Staat Israel bilden, hatten in der Vergangenheit oft kaum etwas gemein. Keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Kultur. Eine echte multikulturelle Gesellschaft, so extrem wie vielleicht nirgendwo sonst in der Welt. Diese Vielseitigkeit ist spannend und kann sehr fruchtbar sein, wenn man sich ihr öffnet.“

Seine Band versucht diese Öffnung, will bewusst raus aus den Randgruppen-Nischen ebenso wie aus der Mainstream-Zwangsjacke. Sie bezieht nahöstliche Elemente in ihre Musik ein, singt in Arabisch, Hebräisch, Latein oder Englisch, mischt griechische Musik mit europäischem Heavy Metal, arabischen Melodien oder westlicher Klassik. Orphaned Land ist musikalisch ziemlich einzigartig. Außerdem überschreitet die Gruppe Grenzen, die gerade in diesen Tagen eigentlich unüberwindbar scheinen. Und das gelingt zu einem erstaunlichen Grad. Orphaned Land dürfte die einzige israelische Rockband sein, die auch eine breite Fanbasis in den arabischen Ländern hat. Zu einem Konzert, das die Band in der Türkei gab und das für das israelische Fernsehen dokumentiert wurde, kamen nicht nur Fans aus der Türkei selbst, sondern auch aus den arabischen Ländern, vor allem aus Syrien.

Überraschend? Nicht wirklich, findet Kobi. Denn Orphaned Land sei mehr als nur eine israelische Rockband. Orphaned Land, erläutert er, „…reflektiert eine übergeordnete kulturelle Identität, eine Nahost-Identität, in der sich arabische Jugendliche ebenso wiedererkennen wie junge Israelis. Der Nahe Osten ist, seit jeher ein gewaltiger Schmelztigel und Israel das Heilige Land für die drei großen monotheistischen Weltreligionen. Die Band selbst zeigt den Facettenreichtum Israels, der Region. Unsere Musiker stammen aus dem Irak, aus dem Jemen, aus Kenya…“.

Orphaned Land propagiert eine übergreifende moderne Nahost-Rock-Kultur, die Israels mühsam entstandenen kulturellen Identitäten ebenso reflektiert wie die der arabischen Nachbarn von Syrien bis Ägypten. Augenfällig wurde der besondere Stellenwert der Band im Nahen Osten während der jüngsten Auseinandersetzung zwischen Hisbollah und Israel, als sich aus den bombardierten Städten Libanons junge Orphaned Land-Fans im Bandforum meldeten und sich mit israelischen, türkischen und westlichen Besuchern über den Wahnsinn dieses Konflikts austauschten.

Inzwischen ist die Band Vorreiter geworden in einer vorerst noch zaghaften inner-israelischen Debatte um den eigenen Standort in einer Region, die endgültig auch zur kulturellen Heimat wird.

© 2006 / 2022 Edgar Klüsener/MuzikQuest
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Rocket Man Steve Bennett: Die Zukunft des Weltraumtourismus

Als ich dieses Interview für die fantastische  Zeitschrift Galore führte, war die Welt eine ganz andere. Großbritannien war noch Vollmitglied der Europäischen Union, und die Vorstellung, dass das Königreich dieser Union jemals den Rücken zukehren könnte schien ähnlich wahrscheinlich wie ein bemannter Raumflug in den Andromeda Nebel im Jahre 2022. Russland schien auf dem Weg in eine Demokratie westlichen Musters und galt gar als potenzielles Mitglied sowohl der NATO als auch der EU zu einem späteren Zeitpunkt. Trump makelte Immobilien und feuerte Bewerber in einer erfogreichen TV-Serie (The Apprentice). Die einzige Gefahr für den Weltfrieden schien Al Quaida zu sein, und Deutschland rüstete weiter ab. Derweil wollte in Manchester ein ehemaliger Soldat unbedingt ins Weltall. Mit eigener Rakete. Das allein war schon eine Geschichte wert. Seitdem hat sich einiges getan, und die rasanten Veränderungen der letzten 15 Jahre sind auch an Starchaser nicht spurlos vorübergegangen. Die Firma lebt noch, Steve Bennett bastelt  auf beiden Seiten des Atlantiks weiter an Raketen, aber Wettbewerber wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson haben ihn längst abgehängt. Abschreiben sollte man den Rocket Man allerdings noch lange nicht. Viel Spaß bei diesem Blick zurück in die Vergangenheit:

1.12.2006, Hyde, Cheshire. Die Zukunft der kommerziellen britischen Raumfahrt haust in einem trostlosen Industrieviertel am Rande von Greater Manchester. Wellblech-Lagerhallen, Backstein-Fabrikbauten und halb leere Parkplätze bestimmen das Bild. Aus dem Tor einer der Lagerhallen lugt die Spitze einer Rakete hervor und kennzeichnet so eindeutig das britische Hauptquartier von Starchaser Ltd., der Firma von Rocket-Man Steve Bennett. Der lädt dann in sein kaltes Büro und bietet zunächst einmal, ganz britischer Gentleman und perfekter Gastgeber, eine Tasse Tee an. Die prächtig tätowierten muskulösen Arme lassen allerdings eher auf Biker denn auf Gentleman schließen. Wie auch das schwere japanische Motorrad, das unten in der Halle zwischen Raketen-Triebwerken abgestellt ist.

Mr. Bennett, was fällt Ihnen zu Paderborn ein?
Steve Bennett
: Ein sehr religiöses Städtchen, ein paar gute Bars, ein paar annehmbare Clubs. Ich war einige Jahre in der Army und unter anderem auch in Paderborn stationiert, bevor ich dann in den Falkland-Krieg abkommandiert wurde.

Eine Raketeneinheit in Paderborn?
Steve Bennett: Nein, nein, ich hatte da den Rang eines Lance Corporals in der Ordnance Squad und war als Petroleum Operator und Labortechniker dafür verantwortlich, dass die Armee mobil blieb. Die britische Armee hatte in Deutschland ein Netz von Treibstoff-Pipelines aufgebaut, und mein Job war es, den Stoff regelmäßig zu testen und zu analysieren. In der ganzen britischen Armee gab’s damals gerade um die zwanzig solcher Petroleum-Operatoren.

Ist für die Tätowierungen ebenfalls die Armee verantwortlich?
Steve Bennett: Nicht die Armee selbst, aber ja, ich ich habe mich in dieser Zeit tätowieren lassen.

Was wollten Sie eigentlich als kleiner Junge werden? Cowboy, Feuerwehrmann oder Pirat?

Steve Bennett: Nein, es war mir schon früh klar, dass ich was mit Raketen machen wollte, mit Weltraum. Schuld waren Neil Armstrong und Gerry Anderson. Mein Interesse an Raketen, an der Weltraumfahrt im Allgemeinen, begann mit Armstrongs Landung auf dem Mond. Da muss ich um die sechs Jahre alt gewesen sein. Gerry Andersons Fernsehserie Thunderbirds besorgte dann den Rest. Wie Millionen andere britische Kinder war ich restlos fasziniert von Thunderbirds. Nur dass bei mir die Faszination dann nie wieder nachgelassen hat.

Zunächst einmal haben Sie sich allerdings bei ihrer Mutter als Feuerteufel unbeliebt gemacht. Sie musste mehr als einmal Brände im Garten löschen.

Steve Bennett: Ich war halt fasziniert von allem, was mit Feuer, Lärm und Explosionen zu tun hatte. Und als ich dann meinen ersten Chemie-Baukasten bekam, gab’s kein Halten mehr. Bald begann ich auch mit verschiedenen Raketentreibstoffen zu experimentieren. Mit Dreizehn habe ich dann schon richtige Raketen gebastelt und Treibstoff gebraut. Die Raketen waren etliche Zentimeter lang und sind bis zu 100 Meter hoch geflogen. Das war bereits richtige Raketen-Wissenschaft. Nach und nach wurden die Raketen immer größer, flogen immer höher und wurden immer teurer. Da hatte es mich endgültig gepackt. 1992 habe ich mich schließlich entschieden, das Hobby zum Beruf zu machen. Zu meiner Frau sagte ich: „Ich werde meinen Job kündigen und in Zukunft meine Arbeitszeit ausschließlich diesem Projekt widmen.“ Sie antwortete: „Aha, und was genau hast du vor? Was willst du erreichen?“ „Ich will eine Rakete bauen“, war meine Antwort, „die groß genug ist mich ins All zu tragen.“

Und sie hat nicht umgehend die Scheidung eingereicht?

Steve Bennett: Erstaunlicherweise nicht. Sie sagte nur: „Okay, wenn du meinst. Ich bin dabei.“ Meinen Job als Labortechniker habe ich dann doch nicht sofort aufgegeben, sondern noch bis 1996 beibehalten. Bereits 1995 hatte sich abgezeichnet, dass das Unternehmen allmählich Ausmaße anzunehmen begann, die einen Nebenjob nicht mehr zuließen. Bald wurde außerdem klar, dass ich alleine überfordert war. Ich konnte ein Triebwerk allein bauen, aber wenn die Rakete zusammengesetzt und transportiert werden musste, dann brauchte ich Hilfe. Und natürlich beim Start und bei Triebwerktests. Das Einmann-Unternehmen wurde zum Team.

Und sie wurden Uni-Dozent.

Steve Bennett: Richtig, eine der Universitäten von Greater Manchester, die University of Salford, hatte einen Kurs in Rocket-Science eingerichtet und groß beworben. Das Echo hatte den Chef der Fakultät für Physik dann allerdings kalt erwischt. Das Interesse an dem Kurs war so groß, dass er in leichte Panik geriet, denn es fehlte ihm an Raketenspezialisten als Dozenten. Irgendwer machte ihn in dieser Situation auf mich und meine Raketentests aufmerksam, und er rief mich an. Für mich war das Angebot ein kleines Geschenk des Himmels. Ich konnte meine Raketen aus der Garage holen und in der Universität unterbringen, bekam dort ein eigenes Büro, ein eigenes Laboratorium, konnte jederzeit auf die Hilfe von eifrigen Studenten zurückgreifen und wurde dafür auch noch bezahlt. In ein ordentliches Unternehmen, eine Limited (entspricht der deutschen GmbH), konnte ich Starchaser schließlich 1998 umwandeln. Und inzwischen haben wir auch einen amerikanischen Zweig, Starchaser US in New Mexico.

Warum ist es so schwierig, geeignete Startplätze zu finden? Sie sind ja mittlerweile mit Rakete im Gepäck um die halbe Welt gereist.

Steve Bennett: Nur die halbe Welt? Wir sind kreuz und quer über den Globus gezogen. In Großbritannien können wir keine Raketen mehr abschießen, weil hier der Luftraum zu überfüllt ist. Die Gefahr versehentlich eine Linienmaschine abzuschießen, ist da sehr real. Außerdem gibt’s in Großbritannien nicht genügend freie Fläche, um die Rakete wieder sicher runter zu bringen. Unsere Raketen sind schlicht zu groß geworden. Einer der letzten Starts war der der Nova Rakete am 22.11.2001 von Morecombe Bay aus. Das war zugleich die größte Rakete, die je von der britischen Hauptinsel aus gestartet ist. Seitdem waren wirv4vchbme unter anderem in Australien und jetzt schließlich in New Mexico. Australien hatte eigentlich perfekte Bedingungen zu bieten.

Warum sind Sie dann nicht dort geblieben?

Steve Bennett: Wir sind von Woomera aus gestartet, das ist ein riesiger Raketenbahnhof, den vorher schon die Briten, die Japaner und etliche andere Nationen genutzt hatten. Das Gelände ist wunderbar. Das Problem mit Woomera ist nur, dass das wirklich ganz weit draußen ist. Die Anreise ist ein logistischer Alptraum, so dass wir uns am Ende doch wieder nach was anderem umgesehen haben.

In New Mexico ist alles besser?

Photo by Bill Jelen on Unsplash

Steve Bennett: In vielerlei Hinsicht ja. Obwohl New Mexico der viertgrößte Staat der USA ist, ist er nur sehr dünn besiedelt. Die derzeitige Einwohnerzahl beträgt gerade mal zwei Millionen. Das Wetter ist fantastisch, 360 Sonnentage pro Jahr. Vor allem aber gibt’s in New Mexico die White Sands Missile Range, die älteste Raketenstart-Anlage der USA und Geburtstort des amerikanischen Weltraumprogrammes. Von hier aus wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die erbeuteten V2 abgeschossen. Der zivile Flugverkehr wird seit über fünfzig Jahren großräumig um White Sands herumgeleitet, und die Verkehrsanbindung ist exzellent. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil des Areals ist seine geographische Lage, beinahe anderthalb Kilometer über dem Meeresboden. Das macht die Strecke ins All eineinhalb Kilometer kürzer. Das mag nicht nach viel klingen, aber wenn man zum Beispiel von Florida aus startet, dann muss man diese eineinhalb Kilometer durch dichte Atmosphäre erstmal überwinden – und zahlt dafür einen gehörigen Preis in zusätzlichem Treibstoff und deutlich erhöhtem Startgewicht. Und das ist immer noch nicht alles. Was am Ende ganz besonders für New Mexico spricht, ist, dass der Staat die kommerzielle Raumfahrt als schnell wachsende Zukunftsindustrie ansieht, deren wirtschaftliche Bedeutung für New Mexico enorm sein wird. Deshalb hat der Staat in Las Cruces, ganz in der Nähe von White Sands, einen großzügigen Spaceport aufgebaut und fördert gezielt die Ansiedlung von kommerziellen Raumfahrtunternehmen wie Starchaser US.

Weites, offenes Land, kaum besiedelt, garantierter Sonnenschein, wenig Verkehr auf den Free- und Highways – das klingt nicht nur nach einem Paradies für Raketenbauer, sondern auch nach einem für Motorrad-Freaks. Nehmen Sie Ihre Maschine öfter mal mit nach drüben?

Steve Bennett: Nein, die bleibt schön hier. Aber ich leihe mir gelegentlich das Motorrad eines Freundes aus und fahre dann einfach drauflos. Allerdings machen mir amerikanische Autofahrer Angst.

Warum das?

Steve Bennett: Die haben die unangenehme Eigenschaft, mit ihren Pickup-Trucks so dicht aufzufahren, dass sie einen fast berühren. Und auch beim Überholen achten sie nur selten auf Abstand.

Weltraumtourismus sei ein gigantischer Wachstumsmarkt, sagen Sie. Auf diesem Markt konkurriert Steve Bennett, der frühere Labor-Techniker und jetzige Uni-Dozent mit seiner kleinen Firma Starchaser nicht nur mit den Dinosauriern NASA oder ESA, sondern auch mit milliardenschweren Geschäftsleuten wie Richard Branson, dem Microsoft-Mitgründer Paul Allen oder John Carmack, dem Vater der Spiele Doom und Quake. Ist das Rennen da nicht von vornherein verloren?

Steve Bennett: Richard Branson mag noch so laut verkünden, dass Virgin Galactic groß ins Weltraumtourismusgeschäft einsteigen wird, es ändert nichts daran, dass er im Moment nicht einmal eine Rakete hat. Allerdings verhandelt seine Firma wohl mit Scaled Composite, deren SpaceShipOne den mit zehn Millionen Dollar dotierten Anahri X Prize gewonnen hat. Bransons baldiger Einstieg ins Weltraum-Geschäft ist also noch durchaus möglich; und wenn er einsteigt, dann hat er sicherlich ausreichend Ressourcen, um das Geschäft auf Dauer zu dominieren. Andere reden nur und haben gar nichts. Im Moment wird viel geredet, aber nur wenige sind tatsächlich schon so weit. Der amerikanische Konstrukteur Burt Rutan und sein Team gehören sicherlich zu den letzteren. Er gibt aber eine Menge Geld aus. Es sieht so aus, als kreiere er ein Sportauto, wo eigentlich ein Volkswagen gebraucht wird. Auch Carmack und Paul Allen machen gute Fortschritte. Der Rest, nun ja, man wird sehen. Was mich wirklich stört, sind diese Firmen, die schon jetzt großspurig auftreten und Trips in den All verkaufen, als sei das seit Jahren ihr tägliches Brot. Diese Firmen beschreiben ihre Pläne und Aktivitäten in der Gegenwartsform: Wir fliegen dreimal täglich in die Stratosphäre, unsere Raketen haben die und die Schubkraft, wir transportieren pro Tag sechs Touristen… und so fort. Wenn man dann mal genauer hinschaut, stellt man fest, dass diese Firmen nicht einmal eine Rakete, geschweige denn einen Startplatz oder eine Raumkapsel haben.

Wo steht Starchaser denn zur Zeit?

Steve Bennett: Starchaser ist ein anderer Fall. Wir verfolgen eine Strategie der beharrlichen kleinen Schritte. Jede Entwicklung wird zunächst ausgiebig getestet, bevor wir mit der nächsten Stufe weiter machen. Unsere Arbeit ist daher grundsolide, und an Erfahrung und technischer Kompetenz sind wir den meisten anderen Unternehmen inzwischen überlegen.

Und finanziell?

Steve Bennett: Wir hatten nie einen potenten Geldgeber im Rücken und mussten daher von Anfang an mit jedem Pfennig rechnen. Wir haben schon sehr früh ein Geschäftsmodell entwickelt, das uns Einnahmen sichert. In den vergangenen Jahren hat Starchaser rund drei bis vier Millionen Pfund ( 4,5 – 6 Millionen Euro) eingenommen. Ein großer Teil dieser Gelder wurde von Sponsoren zur Verfügung gestellt, andere Einnahmequellen sind unser Merchandise, der Club und vor allem das Outreach-Programm. Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird Starchaser außerdem an die Börse gehen. Der Hauptgeschäftszweig wird in Zukunft jedoch der Raum-Tourismus sein. Da tut sich ein gigantischer Markt auf.

Wenn Sie mit einer Rakete im Schlepptau durch enge Innenstadt-Straßen kurven und Verkehrschaos verursachen, ist das Teil des Outreach-Programms oder schlichte Lust am Aufruhr?

Steve Bennett: Das ist Teil des Outreach-Programms. Wir gehen mit den Raketen in Schulen. Wir zeigen den Schülern, was es mit Raketen und dem Weltraum auf sich hat und bauen mit ihnen in Workshops Raketen und starten diese auch. Das Ziel ist es, in den Schülern Interesse an Physik, Raketentechnologie und an Weltraumforschung zu wecken. Bisher beschränkt sich das Schulprogramm auf die britischen Inseln, aber wir würden es gern ausdehnen, auch nach Deutschland. Bei der Gelegenheit käme ich dann vielleicht auch mal wieder nach Paderborn. Eine andere Outreach-Aktivität ist unsere enge Kooperation mit dem Spaceport in Liverpool. Aber unser wichtigstes Betätigungsfeld ist für die Zukunft eindeutig der Weltraumtourismus.

Was ist eigentlich Ihre Definition von Weltraum-Tourismus?

Steve Bennett: Das ist eine interessante Frage. Es gibt sicherlich mehrere Aktivitäten und Angebote, auf die der Begriff Weltraumtourismus zutrifft. Irdischer Weltraumtourismus, okay, das ist eigentlich ein Widerspruch in sich selbst, wäre zum Beispiel der Besuch von Space Parks wie dem Spaceport in Liverpool oder dem Kennedy Space Park. Millionen von Menschen machen von diesen Angeboten bereits Gebrauch; sie buchen Touren, kaufen Merchandise und lassen sich das Vergnügen locker 100 Dollar pro Kopf kosten. Dann gibt’s Space Rides, in denen man für einige Sekunden nahezu schwerelos ist. Manche Achterbahnen bieten diesen Effekt, aber auch andere, oft speziell für diesen Zweck designete Amüsierpark-Maschinerie. Die nächste Stufe sind Flüge, in deren Verlauf man für einige Sekunden Schwerelosigkeit verspüren kann. Oder jene Astronauten-Pakete, in denen man die typischen Phasen des Astronauten-Trainings mitmachen kann. Schließlich erschwingliche Raketenflüge in eine Höhe von 100 km und darüber, die Starchaser anbieten wird. Wir bringen unsere Passagiere sicher rauf und wieder runter, das ist das kurzfristige Ziel. Ganz oben in der Liste, und nur für sehr wenige erschwinglich, finden sich dann Flüge in die Umlaufbahn und Ausflüge zur Internationalen Raumstation, die im Moment nur die Russen im Programm haben und die rund 20 Millionen Dollar pro Person kosten. Das sind die Gegenwart und die nahe Zukunft des Weltraumtourismus. Wie immer man Weltraumtourismus am Ende auch definiert, er findet bereits statt, und der Markt wächst rasant. In unserem Segment gehören wir derzeit zu den Firmen, die ganz vorne mitspielen.

Was war Ihrer Meinung nach der größte Fehler, den die Regierung des konservativen Premiers Edward Heath gemacht hat?

Steve Bennett: Die Einstellung des britischen Raumfahrtprogrammes im Jahre 1971. Seitdem ist Großbritannien nur noch Zuschauer und beteiligt sich höchstens mal an einzelnen Projekten der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Italien, die massiv in Weltraumforschung und Weltraumtechnologie investieren, gerät Großbritannien dadurch langfristig auch technologisch ins Hintertreffen. Wenn man sieht, welch gewaltige Anstrengungen Amerika, Russland, China, Japan oder Indien in der Weltraumforschung unternehmen, dann wird diese britische Zurückhaltung noch weniger verständlich.

Fördert der britische Staat denn wenigstens private Raumfahrtunternehmen wie das Ihre?

Steve Bennett: Von der britischen Regierung kommt gar nichts. In Amerika sieht die Sache anders aus. Starchaser US wird vom Staate New Mexico sehr gut unterstützt. Das ist übrigens auch etwas, was wir mit unserem Outreach-Programm zu erreichen hoffen: Manche von den Schülern, die durch das Programm für Raketentechnik und Weltraumforschung begeistert werden, werden vielleicht irgendwann in ihrem späteren Leben Politiker oder Beamte, die über die Verteilung von Geldern für Forschungsvorhaben zu entscheiden haben.
Hat das Privatunternehmen Starchaser Verbindungen, egal welcher Art, zu staatlichen und überstaatlichen Organisationen wie der ESA oder der NASA?
Steve Bennett: Oh ja. ESA zum Beispiel hat uns offiziell als Dientsleister und als Forschungspartner anerkannt. Mit NASA sieht die Sache ähnlich aus. Da Starchaser US eine amerikanische Firma ist, haben wir Zugang zu vielen NASA-Services und zu technischen Unterlagen, die nicht-amerikanischen Firmen verwehrt bleiben. Und auch mit den Russen arbeiten wir punktuell zusammen.

Welchen der Väter der Raumfahrt würden Sie als Ihr Idol ansehen?

Steve Bennett: Idol ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber einigen von denen fühle ich mich sicherlich geistesverwandt. So wie Robert Goddard aus Massachusetts. Vor allem aber Wernher von Braun, der unzweifelhaft einer meiner Helden ist. Wenn ich deren Biographien lese, dann ist mir oft, als lese ich über mich selbst. Ich kann nachfühlen und verstehen, was sie angetrieben hat, ihre Gedankenwelt, Vorstellungen und Träume. Unsere eigene Arbeit beruht zudem ganz erheblich auf den Werken von Goddard und von Wernher von Braun. Wir erfinden schließlich nicht das Rad neu.

Wernher von Braun ist allerdings auch ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn sich Wissenschaftler und Visionäre in Verfolgung ihrer Träume an ein unmenschliches Regime verkaufen. Zigtausende von Sklavenarbeitern sind bei der Konstruktion seiner Raketen umgekommen. Würden Sie Ihre Dienste dem Militär zur Verfügung stellen, wenn das britische Verteidigungsministerium auf Sie zukäme?

Steve Bennett: Ich war Soldat, habe also kein Problem mit dem Militär. Aber bisher ist es zu keiner Zusammenarbeit gekommen, und das Militär hat auch kein Interesse an einer solchen angedeutet.

Was fasziniert Sie bis heute so an Raketen und am Weltraum?

Steve Bennett: Der Weltraum ist das große Unbekannte. Auf der Erde haben wir so ziemlich alles erforscht, die höchsten Berge, die tiefsten Seen, die Pole und die Wüsten. Ich liebe es, Unbekanntes zu erforschen, Pionier zu sein. Ich will hinaus ins All, auf den Mond, den Mars, ich will mit eigenen Augen sehen, was da ist.

Sie sind nicht zufällig auch ein Star Trek-Fan?

Steve Bennett: Absolut! Nicht nur, weil Star Trek ein einziger, endloser Forschungs-Trip ist, sondern auch, weil Star Trek so viele technische Neuerungen, die uns heute selbstverständlich erscheinen, schon vor zehn, zwanzig Jahren vorweg genommen hat. Schauen Sie sich nur mal mein Mobiltelefon an. Das Design ist fast identisch mit dem der Enterprise-Kommunikatoren. Ich klappe es auf, und es ist bereit. Es ist weit mehr, als nur ein Telefon. Ich kann damit Berechnungen durchführen, kann Daten und Adressen speichern, Ton aufzeichnen und fotografieren. Ich kann mich direkt mit einem Computer oder dem Internet verbinden. Und das alles mit einem vergleichsweise winzigen Gerät. Noch vor fünfzehn Jahren wäre das wüsteste Science Fiction gewesen.

Nur der schnelle Flug in andere Sternsysteme oder gar Galaxien wird wohl auf immer Science Fiction bleiben. Schneller als das Licht geht nun mal nicht.

Steve Bennett: Wer sagt denn das? Okay, die Lichtgeschwindigkeit ist die Obergrenze. Aber es gibt verschiedene Wege von A nach B. Wenn man das Universum mit einem Blatt Papier oder einer Membran vergleicht, dann ist der Weg von A nach B endlos lang, wenn man immer schön auf der Oberfläche bleibt. Wenn man aber das Blatt Papier so faltet, dass A und B direkt übereinanderliegen und dann eine Nadel durchsticht, dann ist der Weg von A nach B kaum der Rede wert. Auf diesem Prinzip der Raumfaltung basiert der Warp-Antrieb der Enterprise. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir eines Tages eine Technologie entwickeln, die uns Ähnliches erlaubt.

Der Wissenschaftler Stephen Hawking hat vor einigen Tagen gesagt, dass wir dringlichst damit beginnen müssten, Kolonien im Weltraum zu errichten. Andernfalls sei das Überleben der Menschheit ernsthaft gefährdet. Er muss Ihnen aus der Seele gesprochen haben.

Steve Bennett: Hat er in der Tat. Ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass die Zukunft der Menschheit im Weltall liegt. Die Gefahr, dass wir uns hier auf der Erde selbst auslöschen, ist sehr real. Dazu braucht’s nicht einmal einen Krieg. Es ist vielmehr eine Frage der Ressourcen und wie wir mit ihnen umgehen. Hier auf der Erde gehen sie unwiderruflich zur Neige. Ersetzen können wir manche nur noch von außerhalb, durch die Erschließung und Ausbeutung anderer Planeten.

Apropos Ressourcen: Starchaser pflanzt jedes Jahr hundert Bäume, um den Schaden wiedergutzumachen, den die Firma an der Umwelt anrichtet. Ist das nicht ein bisschen bigott?

Steve Bennett: Nicht wirklich. Der eigentliche Schaden wird von unseren Bodenfahrzeugen angerichtet, dem Sattelschlepper und den PKWs. Raketentreibstoff hingegen ist erstaunlich sauber. Wir arbeiten mit Zweikomponenten-Flüssigtreibstoffen, der wichtigste Bestandteil ist Hydrogen, der andere Kerosin. Der Schadstoffaustoß ist minimal. Unsere Raketen sind weit umweltfreundlicher als Flugzeuge oder PKWs.

Wollen Sie selbst noch zu anderen Planeten fliegen? Und zu welchen?

Steve Bennett: Ich will unbedingt zu anderen Planeten reisen! Ich möchte zum Mond und zum Mars. Mein Wunschziel jedoch ist der Jupitermond Europa. Er scheint der erdähnlichste Planet in unserem Sonnensystem zu sein. Viele Anzeichen sprechen sogar dafür, dass seine Oberfläche von Wasser bedeckt ist, auf dem eine dicke Treibeisschicht schwimmt. Ein hochinteressanter Planet also!

Kann ich meine Nachos gefahrlos in Rocket Fuel tauchen?

Steve Bennett: Sicher. Sie sollten aber ein Glas Wasser in Reichweite haben, denn das Zeug ist höllisch scharf. Hergestellt wird die Chili-Sauce in unserem amerikanischen Standort Las Cruces, und zwar ausschließlich aus natürlichen Zutaten. Als wir die Sauce zum ersten Mal in einem örtlichen Lokal probiert hatte, keuchte einer der Techniker nach einem längeren Hustenanfall: „Mein Gott, das Zeug ist Rocket Fuel.“ Womit es dann seinen Namen weghatte, unter dem es seitdem über unseren Merchandise Shop vertrieben wird.

Waren Sie eigentlich jemals in der Area 51?

Steve Bennett: Nein, aber in Roswell, das gleich um die Ecke von Las Cruces ist.

Aha, irgendwelche interessanten außerirdischen Technologien dort gefunden?

Steve Bennett: Nein, da muss jemand schneller gewesen sein.

Eine letzte Frage noch: „Born To Be Wild“ von Steppenwolf ist weltweit zur Bikerhymne geworden. Welcher Song hat ihrer Meinung nach das Zeug zur Raketenmann-Hymne?

Steve Bennett: Da gibt’s zwei Kandidaten. Erstens die Titelmelodie der von Gerry Anderson kreierten Fernsehserie Fireball XL 5. Und zweitens „Rocket Man“ von Elton John.

© 2007/2022 Edgar Klüsener
Erstveröffentlichung: Februar 2007, Galore

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