Titelbild: By Jo – originally posted to Flickr as Foo Fighters Live 21, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3911891
Gerüchte hatte es bereits seit längerem gegeben, dass Dave Grohl eine neue Band gegründet hatte. Seit kurzem stand auch der Name fest: Foo Fighters. Am 3. Juni 1995 dann spielte die Band ihr europäisches Debütkonzert im Londoner King’s College vor einem neugierigen und erwartungsfrohen Publikum. Ich war damals Chefredakteur einer kurzlebigen Musikzeitschrift namens CORE und von der Plattenfirma mit einer Reihe anderer Musikjournalisten zum Konzert eingeflogen worden. Das vorweggenommene Fazit des Konzertberichts: Von dieser Band wird man noch einiges hören. Wie wahr……
Das Auditorium im Londoner King’s College ist nur per Fahrstuhl zu erreichen. Durch ein kleines Labyrinth von Gängen führt der Weg in den zweigeschossigen Saal, an dessen Stirnwand eine kleine Bühne aufgebaut ist, vollgepackt mit Verstärkern, einem Schlagzeug, Mikrofonen und Monitorboxen. Der Bühne genau gegenüber windet sich eine Treppe hinauf zur Balustrade, in deren hinteren Bereichen zwei Bars, auf jeder Raumseite eine, aufgebaut sind. Warmes Bier gibt’s da, aber auch besser gekühltes nichtalkoholisches Gesöff. Zu Studentenpreisen, versteht sich, schließlich befinden wir uns in einem College, irgendwo in London. Durch die breiten Fensterfronten fällt der Blick auf die Themse, deren Wasser von behäbigen Frachtkähnen durchpflügt wird. Rund 800 junge Männer und Frauen füllen den Raum auf beiden Ebenen aus und harren der Dinge, die der Abend noch bringen soll. Die Foo Fighters stehen auf dem Programm, eine Band aus den USA. Mehr weiß kaum jemand. Die Band hat noch keine Platte veröffentlicht, ihre Songs sind noch nicht im Radio gespielt worden, Videos gibt’s eben sowenig. Trotzdem ist die gespannte Erwartung fast körperlich fühlbar. Denn die Foo Fighters, und das weiß jeder, der an diesem Frühjahresabend den Weg ins College-Auditorium gefunden hat, mögen zwar totale Newcomer sein, hinter dem Namen jedoch verbirgt sich ein Drittel von Nirvana. Foo Fighters ist die Band von Dave Grohl, dem Schlagzeuger jener Band aus Seattle, die erst die Charts im Handstreich genommen hatte und dann zur traurigen Legende wurde, weil Sänger und Gitarrist Kurt Cobain sich mit einem gezielten Schuss das Hirn aus dem Schädel geblasen hatte.

Das heißt, eigentlich sind bei den Foo Fighters zwei Viertel von Nirvana präsent. Denn auch Pat Smear, jener Gitarrist, den das Trio für seine letzte Welttournee in die Band geholt hatte, ist mit von der Partie. Doch im Vordergrund steht eindeutig Dave Grohl. Das Licht geht aus, die Spannung steigt noch einmal erheblich. Vier Musiker betreten die Bühne von der Seite her, greifen ihre Instrumente oder nehmen hinter diesen Platz. Und die erste große Überraschung ist fällig. Denn der, der sich hinter dem Schlagzeug niederlässt, ist NICHT Dave Grohl. Der steht vielmehr in der Mitte am Bühnenrand, fasst mit einer Hand das Mikrofon, während die andere lässig den Hals einer elektrischen Gitarre hält. Der Schlagzeuger hat sich zum Gitarristen gewandelt. Na, wenn das mal gut geht! Rechts neben ihm hat sich mit der zweiten Gitarre Pat Smear aufgebaut, am linken Bühnenrand tänzelt nervös Basser Nate Mendel auf und ab. Und hinter seinem Ensemble aus Trommeln und Becken reckt sich ein letztes Mal vor dem ersten Einsatz ein gewisser William Goldsmith.
,,Hi, wir sind die Foo Fighters“, stellt Dave Grohl sich und seine Mitstreiter kurz vor und drischt dann auch schon auf seine Gitarre ein. ,This Is A Call‘ heißt der erste Song, der gleich für drei weitere Überraschungen gut ist. Die erste: Dave Grohl geht mit den sechs Saiten ebenso gut, wenn nicht gar besser um wie in früheren Tagen mit den Trommelstücken. Die zweite: er singt selbst. Und zwar verdammt gut. Drittens: die Musik erinnert stark an Nirvana. Was einige Fragen aufwirft. Zum Beispiel die: Könnte es sein, dass Dave Grohl weit maßgeblicher am Songwriting seiner ex-Band beteiligt gewesen sein, als es nach außen hin den Anschein hatte? Die folgenden Titel ,I’ll Stick Around‘ und ,Big Me‘ verstärken diesen Verdacht nur. Ebenso andere Tracks, die die Band an diesem Abend runterzockt, Songs wie ,Watershed‘, Exhausted‘ oder ,Alone And Easy Target‘. Die Antwort darauf wird Dave Grohl hoffentlich irgendwann selbst geben. Zurzeit allerdings verweigert er sich noch standhaft allen Versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. ,,Keine Interviews“, lautet die kategorische Absage auf alle entsprechenden Anfragen. Die Begründung liefert er gleich nach:
,,Foo Fighters ist eine brandneue Band. Über uns gibt’s derzeit noch nichts zu sagen. Worüber sollen wir also in Interviews mit den Journalisten reden?“
Und meint damit wohl:
,,Egal, mit wem ich im Moment auch sprechen würde, das Gespräch würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon nach wenigen Minuten auf Kurt Cobain und Nirvana kommen. Beides aber hat mit dem, was ich jetzt mache, herzlich wenig zu tun.“
Hinzu kommt noch, dass er schon in früheren Tagen Interviews in der Regel herzlich wenig abgewinnen konnte. Das Reden hatte er nahezu immer Kurt Cobain und Krist Novoselic überlassen, sich selbst auf wenige kurze Statements beschränkt. Eins davon, vielleicht das wichtigste, war:
,,Ich mag diesen übersteigerten Medienrummel nicht. Die Medien tendieren dazu, Personen zu Karikaturen zu verzerren und schaffen so ein Bild von Musikern, das am Ende kaum noch etwas mit den Menschen und noch weniger mit deren Musik zu tun hat.“
Auf der Bühne stellt Dave Grohl unter Beweis, dass er das Zeug zu einem herausragenden Frontmann hat. Er sucht und findet den direkten Draht zum Publikum, ist ständig in Bewegung, malträtiert die Gitarre, stöhnt und schreit ins Mikro. Doch wie gut der Mann als Sänger tatsächlich ist, zeigt sich erst bei jenen Songs, die von seltsam melancholischen Harmonien geprägt sind. Er interpretiert sie auf eine Art, die direkt unter die Haut geht. Der Mann hat Charisma, keine Frage. Und die Band steht ihm in nichts nach, zieht in jeder Phase voll mit, ist tight und kommt auf den Punkt. Die Foo Fighters strahlen eine eigentümliche Mischung aus ungestümer Energie, Aggressivität und Melancholie aus, bestechen jedoch vor allem durch ihre ungebärdige Spielfreude und eine mitreißende Performance, an der nichts gekünstelt oder gar einstudiert wirkt. Insgesamt zwölf Lieder spielt die Band, Lieder, die eine breite stilistische Palette abdecken. Die Bandbreite reicht von rohem Neopunk über schräge und leicht psychedelisch anmutende Klangcollagen bis hin zu eindringlichen kleinen Songs, die vage in einer amerikanischen Folkrock-Tradition stehen, wie sie von Musikern wie Neil Young geprägt wurde.
Das Ende des Konzertes kommt viel zu früh. Als das Saallicht angeht, bleibt als stärkster Eindruck, dass hier eine Band aufgespielt hat, die einen eindeutig eigenen und unverwechselbaren Charakter hat. Und die Erkenntnis, dass Dave Grohl in der Vergangenheit wohl schwer unterschätzt worden ist. Denn der Mann ist nicht nur ein guter Drummer, sondern mehr noch ein überzeugender Gitarrist, Sänger und Performer. Außerdem, die vielleicht größte Überraschung, ein enorm talentierter und versierter Songschreiber. Was nahezu zwangsläufig die Frage nach seinem tatsächlichen Einfluss auf die Musik von Nirvana aufwirft. Eins ist an diesem Abend auf jeden Fall klargeworden: Von den Foo Fighters werden wir noch einiges zu hören bekommen. An dieser Band wird wohl kaum ein Weg vorbeiführen.
C 1995/2002 Edgar Klüsener
Die komplette Setlist 3. Juni 1995, King’s College, London.