Im Vereinigten Königreich formiert sich ein rasant wachsender Widerstand gegen die Regierung der Premierministerin Theresa May und gegen den angestrebten harten Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Im März will Theresa May unter Berufung auf den Artikel 50 des Lissaboner Vertrages die Austrittsprozedur offiziell beginnen. Im Referendum hatten 52 % der Wähler dafür gestimmt, dass das Vereinigte Königreich aus der EU austreten solle, der sogenannte Brexit.Die Stimmen waren allerdings denkbar ungleich verteilt. Die keltischen Nationen Schottland und Nordirland hatten mit klarer Mehrheit gegen den Brexit gestimmt, was nun zu Komplikationen führt. Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon hat bereits angekündigt, dass jedes Verhandlungsresultat, dass nicht explizit schottische Interessen berücksichtigt, ein Unabhängigkeitsreferendum der Schotten nach sich ziehen wird. Ähnlich ist die Lage in Nordirland. Dort beunruhigt die Bevölkerung, dass im Falle eines harten Brexits ein neuer Grenzzaun zwischen Nordirland und der Republik Irland aufgerichtet werden könnte, der Familien, Orte und ganze Landstriche auseinanderreißen würde. Zudem würde die Wirtschaft Nordirlands, das sich gerade erst von einm langjährigen Bürgerkrieg erholt, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch in Wales, das ursprünglich mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt hat, macht sich Ernüchterung breit, seitdem klar wird, dass ein Austritt aus der EU den Verlust von lebenswichtigen EU-Subventionen bedeutet, der vor allem die walisische Landwirtschaft, und damit die ärmsten Regionen des Landes, hart treffen wird. Umfragen ergeben inzwischen eine Mehrheit für den Verbleib des Landes in der EU.
England hat zwar mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt, allerdings zeigt sich hier eine schroffe Teilung zwischen ländlichen Regionen und den von der Deindustrialiserung der Thatcher-Jahre am stärksten betroffenen Kommunen in den Midlands und Nordenglands. Die Großstädte London, Liverpool, Manchester, Bristol und Sheffield sowie die walisischen Metropolen Cardiff und Swansea haben mit klarer Mehrheit für einen Verbleib in der EU gestimmt, während das umliegende Land für den Austritt stimmte.Im Vertrauen auf die Vorhersagen der Meinungsforscher, die durchweg eine Niederlage der Brexiter vorausgesagt, hatten vor allem jüngere EU-Befürworter den Weg zum Wahllokal erst gar nicht angetreten. Was sich prompt rächte. Zu den Ungereimtheiten des Referendums, die im Nachhinein für wachsende Verärgerung sorgen, gehört auch, dass die 3.5 Millionen EU-Bürger im Lande nicht abstimmen durften, wohl aber im UK ansässige Menschen aus Commonwealth-Ländern wie Australien, Neuseeland, Botswana oder Bangladesh. Ebenfalls nicht stimmberechtigt war eine Mehrheit der britischen Staatsbürger, die in anderen EU-Staaten leben und arbeiten. Rund 5 Millionen Menschen also, die mit ihren Familien direkt und unmittelbar betroffen sind, durften nicht einmal abstimmen.
Mittlerweile regt sich allerdings massiver Widerstand gegen den Brexit-Kurs der May-Regierung. Die Remainer sowie die 3,5 Millionen EU-Bürger im Lande machen mobil. Die Regierung wird mit Prozessen überzogen, die unter Umständen ihre geplante Ausstiegsstrategie komplett über den Haufen werfen könnte. Europafreundliche Abgeordnete schmieden parteiübergreifende Koalitionen um einem Totalausstieg des Landes entgegenzusteuern. Die Liberaldemokraten, die einzige erklärt europafreundliche Partei, die im gesamten Königreich vertreten ist und die bis vor kurzem noch beinahe ausgelöscht war, steigt wie Phoenix aus der Asche auf und gewinnt plötzlich auf spektakuläre Weise Nachwahlen selbst in ausgemachten Brexiter-Gegenden.
Die Brexit-Gegner organisieren sich zu zehntausenden in Online-Foren und Facbook-Gruppen wie ‚The 48 Percent‘, ‚We are the 3 Million‘ oder ‚The New Europeans‘ auf und loten neue Widerstandsformen aus. Inzwischen haben sich die diversen Gruppen effizient miteinander vernetzt, es ist eine Graswurzelbewegung entstanden, die auf britischer Seite vor allem von den jüngeren Generationen getragen wird, die sich um ihre Zukunft betrogen sehen und nicht bereit sind, ihre europäische Citizenship kampflos aufzugeben. Auf lokaler Ebene zeigen die Brexit-Gegner bereits Stärke. Wie sehr die Bewegung gewachsen ist, wird sich allerdings erst am 25. März zeigen, in dem Monat, in dem die Regierung offiziell den Austritt des UK aus der EU ankündigen will.
Zum Marsch auf das Parlament rufen zu diesem Anlass alle Organisationen gemeinsam auf. Der Aufruf wird von Hochschulen, Gewerkschaften, Bürgerorganisationen, Parlamentarierern und anderen Gruppierungen unterstützt. Mit dem Marsch wollen die 48 % ein Zeichen setzen, dass mit ihnen sehr wohl noch zu rechnen ist.

