Corona hält die Welt in Atem. Oder, vielmehr, verursacht der Welt Atemnot. Ein kleiner Virus, bisher eigentlich nur bei den tierischen Verwandten der Gattung Fledermaus zu Hause, würfelt mal eben menschliche Gesellschaften durcheinander, in einem Maße, das ebenso global ist wie bislang nur in C-Movies gern apokalyptisch beschrieben. Perfiderweise nimmt der Virus vor allem die Alten und Immungeschwächten aufs Korn. Weil der Mensch nun mal gern alles frisst, was nicht schnell genug davonlaufen oder -fliegen kann, hat der Virus sozusagen als Beigabe zu einem kleinen Imbiss die Artenbarriere übersprungen. Und da haben wir jetzt den Fleischsalat: Die Natur schlägt zurück, mit einer Wucht und Geschwindigkeit, die die Zivilisation vor Schreck erstarren und die Türen zuschlagen lässt. Die Folgen sind plötzlich allerorten und für jedermann und -frau am eigenen Leibe erfahrbar. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie wir uns amüsieren und unterhalten lassen. Nehmen wir nur mal die Musikindustrie als Beispiel. Konzerte können nicht mehr stattfinden. Das schädigt die Musiker, die arbeitslos daheim herumhängen und auf Einnahmen verzichten müssen. Das schädigt ihren Tross, all die Roadies, Techniker, Lichtleute, Fahrer, Merchandiser, Mietmusiker oder Presseleute, die dringend darauf angewiesen sind, dass Musiker auftreten und Geld verdienen. Betroffen sind außerdem Agenten, Promoter, Veranstalter, Tresenkräfte, Türsteher, Sicherheitsleute und, und, und. Für sie alle wird plötzlich nicht nur die nächste Miete zum Problem, sondern vorher vielleicht schon das nächste Butterbrot. Eingeschlossen in den eigenen vier Wänden, allein, zu zweit oder gar zu fünft, sorgen sie nun vor sich hin und verzweifeln an der Niedertracht eines Winzlings, der menschliche Zellen, Lunge bevorzugt, dazu benutzt, sich rasant zu vermehren und auszubreiten.
Doch zurück zu unseren Musikern, die in Selbstisolation vor sich hin zocken, ohne Publikum, ohne Anerkennung. Wirklich ohne? Nicht ganz so ohne. Es gibt schon seit längerem Versuche, das Konzerterlebnis aus den Clubs, Hallen und Arenen heraus zurück in den kleinen Kreis zu holen, Konzerte zu Wohnzimmerereignissen zu machen· die direkten, unmittelbaren Kontakt zwischen Künstlern und Publikum erlauben. Die Plattform Stage It zum Beispiel vernetzt schon seit Jahren digital die Wohnzimmer von Künstlern wie Better Than Ezra, Rick Springfield oder Lisa Loeb mit denen ihrer zahlungswilligen Fans.
Das war vor Corona und bis dahin ein eher schleppendes Unternehmen. Mit Corona ändert sich das gerade gewaltig. Auf kaum absehbare Zeit wird das Wohnzimmerkonzert das einzige Konzert bleiben. Einige Musiker haben das schnell begriffen und experimentieren schon fleißig mit den digitalen Möglichkeiten. Unter ihnen auch Schwergewichte wie Coldplay Musiker Aushängeschild Chris Martin.
Die Entwicklung ist noch ganz am Anfang, aber wie es aussieht, hat Corona auch das Potenzial, die Live-Musikindustrie grundlegend zu verändern.
Die Debatte hat noch gar nicht richtig begonnen und jeder Beitrag ist willkommen.
Edgar Klüsener