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Metallica: 72 Jahreszeiten, Covid und ein Krieg in Europa

Etwas weniger als sieben Jahre sind seit der Veröffentlichung des letzten Metallica-Studioalbums ‘Hardwired … to Self-Destruct’ am 18. November 2016 vergangen. Und was für ein prophetischer Titel das damals war. Das Album erschien in demselben Jahr, in dem Trump das Weiße Haus zum ersten Mal eroberte, der Brexit das große Britannien in ein fremdenfeindliches und in sich zerstrittenes Inselchen transformierte und in dem der Wind der Veränderung sich erneut zu einem Orkan aufblies. Sieben weltgeschichtlich turbulente Jahre später melden sich Metallica mit einem neuen Album zurück. Das trägt den Titel „72 Seasons“ und hat es in sich: es ist wütend, zeugt von Bitterkeit, Frustration und Ohnmacht, aber auch von distanzierter Reflexion. So viel sei schon jetzt gesagt, wer Fan der frühen Metallica ist, von Alben wie ‚And Justice for All‘ oder ‚The Black Album‘, der wird mit ‚72 Seasons‘ besonders gut bedient sein.

Dem Album liegt ein Konzept zugrunde, das James Hetfield wie folgt erklärt: „Die 72 Seasons (Jahreszeiten) sind die ersten 18 Jahre unseres Lebens, die Phase unseres Lebens, in der sich unser wahres oder falsches Selbst formt. In diesem Zeitraum lehren uns Eltern, soziales Umfeld, Kindergärten und Schulen, wer und was wir sind und wie wir sein sollen. Vieles, was wir als Erwachsene erleben, ist eine Wiederholung oder Reaktion auf diese Kindheitserfahrungen. Bleiben wir Gefangene der Kindheit oder befreien wir uns von ihren Fesseln?“ Für Hetfield ist das fortlaufende Studium dieser anerzogenen Grundüberzeugungen höchst interessant, nicht zuletzt deshalb, weil sie letztlich bestimmen, wie wir die Welt sehen und erfahren.

Theorien des Selbst finden wir vor allem in der Psychologie, aber auch in Philosophie und Soziologie, und von Plato über Bourdieu bis hin zu Goffman oder May versuchen sich Theoretiker und Laien an der Beantwortung der ganz großen Frage: Wer bin ich, was bin ich und wie bin ich geworden, wer und was ich bin? Während Goffmans Performativity Theory das Selbst als Schauspieler identifiziert, die auf wechselnde Bühnen ihre jeweils wechselnden Rollen spielen und Goffman in letzter Konsequenz die Existenz eines Selbst an sich infrage stellt, ist für Hetfield das Selbst die Arena, in der Menschen die bittersten inneren und äußeren Konflikte austragen.

Das Selbst ist die Arena, in der Menschen die bittersten inneren und äußeren Konflikte austragen.

In den überragenden Texten des Albums, einige davon vielleicht die besten, die Metallicas Frontmann je geschrieben hat, setzt er sich so mit existenziellen Fragen in einer enervierenden Intensität auseinander. Wie die Texte reflektiert auch die Musik eine Zeit, in der die Welt aus den Fugen geraten ist. Was Kirk Hammett gern zugesteht.

Der Gitarrist hat im April 2023 in seiner Residenz im sonnigen Hawaii zum Telefon gegriffen, um ein wenig über „72 Reasons“ zu plaudern. 30 Minuten hat die Plattenfirma zugestanden, weit über 50 Minuten sollten es am Ende werden.

Geschrieben wurden die Songs des Albums zu einer Zeit, in der auch Metallica sich auf sich selbst zurückgeworfen fanden, inmitten einer Pandemie, die die Welt zum vorübergehenden Stillstand brachte. Ob die veränderten Umstände einen Einfluss auf die Arbeit der Band gehabt haben?

Aber unbedingt“, bestätigt der Gitarrist die naheliegende Vermutung, und fährt fort: „Diese ganze Lockdown-Sache war ein ziemlicher Tiefschlag, und ich war wirklich besorgt, ob wir ein paar Jahre in unserer Karriere verlieren würden oder nicht. Wir haben gründlich über die Situation nachgedacht und schließlich beschlossen, das Beste aus der Lage zu machen und mit dem Schreiben von Songs zu beginnen. Gott sei Dank konnten wir die Zeit nutzen und mussten nicht ohnmächtig zusehen, wie zwei Jahre einfach den Bach runtergingen.“

Wie der Rest der Covid-erschütterten Welt, mussten sich die Metallica-Musiker ebenfalls über Nacht mit Videokonferenz-Software wie Zoom, Teams oder Jitsi vertraut machen. Für Kirk Hammett eine ganz neue Erfahrung.

Bis dahin war Zoom für mich nur ein altes Kinderprogramm im Fernsehen. Doch dann sprachen plötzlich alle von Zoom, aber diesmal war es der Name dieser Video-Konferenz-Software. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Der Typ, der diese Software entwickelt hat, tat dies genau zum rechten Zeitpunkt und dürfte inzwischen von seinen Erträgen recht gut leben können.

Der schnelle Hausbesuch oder die gemeinsame Arbeit im Übungsraum gehörten damit zunächst einmal einer besseren Vergangenheit an. Stattdessen wurde notverordnet im Eigenheim gewerkelt und Ideen wurden in Zoom-Konferenzen debattiert und vorgespielt. Kreativität, das Schreiben von Songs, wurde zum Ausweg aus der Ausnahmesituation und ermöglichte es den Musikern zudem, diese zu reflektieren.

Grundsätzlich haben wir unsere Arbeitsweise gar nicht so stark verändert, nur war sie diesmal weniger aus freien Stücken so, sondern eher durch die Umstände erzwungen. Wir waren froh, dass die Technologie es uns ermöglichte, unsere Kreativität sinnvoll und konstruktiv auszuleben. Das Schreiben von Songs gab uns Halt in einer Zeit, in der die Welt wirklich aus den Fugen geraten schien.

Kirk Hammett, das sei am Rande erwähnt und ist eigentlich eine andere Geschichte, nutzte die Zwangspause nicht nur, um am neuen Metallica-Album zu arbeiten, sondern auch, um sein superbes Soloalbum ‚Portals‘ zu schreiben, aufzunehmen und zu veröffentlichen.

Während COVID bin ich ins Studio gegangen und habe mein eigenes Soloalbum produziert, ich habe mich einfach auf meine Erfahrungen aus der Vergangenheit verlassen, die ich in jahrelanger Arbeit im Studio gesammelt habe. Deshalb konnte ich die Verantwortung für die Produktion meiner eigenen Musik, den Sound und das Abmischen ohne Probleme übernehmen. Ich wusste genau, was zu tun war und wie.

Was er damit ebenso sagt: Mit gut 40 Jahren Studio-Erfahrung auf dem Buckel können die Musiker längst jedem Producer auf Erden mehr als nur das Wasser reichen. Dennoch hat sich die Band dafür entschieden, bei den Aufnahmen von „72 Seasons“ erneut mit Greg Fidelman als Produzent zu arbeiten, der sich die Producer-Credits brüderlich mit Hetfield und Ulrich, den treibenden Kräften hinter Metallica, teilt. Welchen Beitrag konnte Fidelman in einem solchen Szenario überhaupt leisten, in dem ihm die Musiker an Erfahrung und Kompetenz ebenbürtig waren und in dem er zudem mit starken und selbstbewussten Charakteren arbeiten musste. Oder, anders gefragt, braucht die Band überhaupt noch einen Produzenten?

Wenn’s ums rein Fachliche geht, erklärt Hammett, dann wohl eher nicht. Dass sie es alle drauf haben, hätten sie schon ausreichend unter Beweis gestellt, Rob Trujillo nicht zuletzt bei Ozzy Osbourne. Überhaupt, Robert Trujillo. Dass etwas anders lief bei der Arbeit an „72 Seasons“ macht Hammett auch am Beispiel Trujillo fest. Der Bassist hat gleich an drei Tracks mitgeschrieben, einer davon, ‚Screaming Suicide‘, ist einer der stärksten und eindringlichsten Titel auf dem Album. Die anderen beiden sind ‚Sleepwalk My Life Away‘ und ‚You Must Burn‘.

Aber zurück zu Greg Fidelman, dessen Rolle, und ihre Wichtigkeit, Kirk Hammett wie folgt beschreibt: „Greg ist der Mann, der die Übersicht hat. Er ist bei jedem Schritt dabei, er überwacht alles. Wir kommen rein und erledigen unseren Teil, machen unsere Parts, und Greg sorgt dafür, dass alles konsistent ist, dass wir alle auf derselben Ebene sind und alles gut zusammenpasst. Er ist sehr wertvoll geworden, weil er bereit ist, die unverschämt lange Zeit zu investieren, die es braucht, um ein Metallica-Album aufzunehmen und fertigzustellen. Das ist wahrlich kein schneller Prozess, sondern einer, der Monate, manchmal Jahre dauert. Greg Fidelman ist derjenige, der die Geduld, die Mittel, die Intuition und den Fokus hat, um sicherzustellen, dass alles musikalisch zusammenkommt und stimmig ist. Und das ist keine leichte Aufgabe. Für mich ist er der König, wenn es um den Aufnahmeprozess geht.“

Lars Ulrich (Pic Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0,)

Die Metallica Musiker, insbesondere James Hetfield und Lars Ulrich, sind selbstbewusste und willensstarke Persönlichkeiten, die genau wissen, was sie wollen und ihre eigenen Vorstellungen haben. Um als Produzent in diesem Umfeld bestehen zu können, ist diplomatisches Geschick wohl ebenfalls eine gefragte Qualität.

Absolut,“ bestätigt Kirk Hammett, „Umso mehr, wenn wir alle weit voneinander entfernt arbeiten und interagieren müssen. Greg bringt uns zusammen, hat einen konkreten Plan, was zu tun ist, und er kann uns auf das Wesentliche fokussieren. So müssen wir uns nur auf drei oder vier Dinge konzentrieren, die an diesem Tag erledigt werden müssen, und schon haben wir es geschafft. Anstatt uns durch 200 oder mehr Details quälen zu müssen, um schließlich diese drei oder vier Dinge zu finden, aber völlig ermüdet und erschöpft zu sein, wenn wir endlich so weit sind. Mit anderen Worten: Er hat sich also durch eine Menge Lärm gekämpft, um ein Signal zu finden.

Es ist offensichtlich, dass Band und Produzent sich über die Jahre hinweg gut kennengelernt haben und dass Metallica Greg Fidelman nicht nur vertrauen und seine fachliche Kompetenz anerkennen, sondern ihn zudem als Autoritätsperson akzeptieren.

Er muss sich auskennen, und er muss gute Sounds, gute Mischtechniken und eine gute Produktion beherrschen. Denn jeder von uns könnte sich hinsetzen“, wiederholt Kirk Hammett, „und den Job erledigen, falls nötig. Die Frage ist allerdings, ob wir das an diesem Punkt unseres Lebens und unserer Karriere überhaupt noch wollen. Zehn Monate lang zehn Stunden am Tag im Studio sitzen? Das war okay, als wir in unseren Dreißigern oder Vierzigern waren, aber das ist jetzt etwas anderes. So viele andere Sachen spielen heute eine Rolle in unserem Leben. Wir haben alle Familien. Wir alle haben Verantwortung. Da ist es sehr hilfreich, dass wir Greg an diesem Punkt unseres Lebens haben. Er ist vertrauenswürdig, er hat, wie ich schon sagte, denselben Instinkt wie wir. Wir vertrauen seinem Gehör und seinem Gespür. Es hilft unserer Perspektive, wenn wir jemanden wie Greg um uns haben. Wir profitieren von seinen Ideen, er weiß, was funktioniert und was nicht. Das ist großartig. Ich sage das nur ungern und es klingt wie ein Klischee, aber er ist das neue fünfte Mitglied von Metallica.“

Metallica haben es Fans und Kritikern in der Vergangenheit manchmal nicht einfach gemacht. Immer wieder haben sie bewusst musikalisches Neuland betreten und sich auf Experimente eingelassen, die nicht alle nachvollziehen konnten. Die Zusammenarbeit mit Lou Reed war so eins, die in dem Album „Lulu“ (2011) mündete und die Metallica-Gemeinde und Kritiker in Lager teilte, die einander beinahe unversöhnlich gegenüberstanden. Die einen hassten das Album, eine an Alban Bergs unvollendete Oper ‚Lulu‘ angelehnte Vertonung von Frank Wedekinds Tragödien ‚Erdgeist‘ und ‚Die Büchse der Pandora‘, die anderen liebten es und sahen es als ein Meisterwerk moderner Musik. Für meinen britischen Kollegen JR Moores war es gar eins der zwei wichtigsten je veröffentlichten Alben (das andere ist laut John „Metal Machine Music“). Ich würde zwar nicht so weit gehen wie John, aber gehöre dennoch zu denen, die das Album für einen sträflich unterbewerteten Meilenstein halten. Nach Experimenten oder selbstironisch- autobiographischem Material wie dem Country-Blues ‚Mama Said‘ vom „Load“-Album sucht (oder hofft) man auf „72 Seasons“ vergeblich. Stattdessen ist das Album roh, düster und aggressiv geraten, die oben schon erwähnten Reminiszenzen an „And Justice for all….“ und „The Black Album“ sind unüberhörbar.

Absicht? Eher nicht, erklärt Kirk Hammett, und fügt hinzu, dass man in der Vergangenheit zwar oft mit dem Vorsatz ins Studio gegangen sei, ein Album aufzunehmen, das an die alten Tage erinnere, doch dass diesmal ein anderes Anliegen im Vordergrund gestanden habe, die Rückbesinnung auf die eigenen musikalischen Vorbilder nämlich: „Wir sahen uns nur an und sagten ein Wort oder fünf Wörter: Neue Welle. Neue Welle des britischen Heavy Metal. Okay, sechs Wörter. Und genau das haben wir dann getan. Ich hatte Diamond Head im Sinn und Tygers of Pan Tang, Motörhead, Angel Witch oder Jaguar, Du weißt schon, so was in der Art. „And Justice for All“ oder das „Black Album“ war das Letzte, was ich Sinn hatte, um ehrlich zu sein. Umso überraschender ist es dann für mich, dass jetzt von allen Seiten die Vergleiche mit gerade diesen beiden Alben auf uns hereinprasseln. Eine schöne Überraschung allerdings.“

Die in den Songs durchklingenden Emotionen wie Wut und Frustration seien jedoch nicht der fernen Vergangenheit geschuldet, sondern den Krisen der Gegenwart, fährt Kirk Hammett dann fort: „Ich sehe dieses Album als eine Reaktion auf alles, was in den letzten drei Jahren in den Vereinigten Staaten passiert ist. Diese drei Jahre in diesen verdammten Staaten waren völlig verrückt. Sie waren unvorhersehbar, chaotisch, frustrierend und haben jeden wütend gemacht.

Die Rede ist hier nicht nur von COVID-19, erzwungener Isolation, und Impfdebatten, sondern auch von Donald Trumps versuchtem Staatsstreich, dem Sturm aufs Kapitol, dem gewalttätigen Auseinanderdriften Amerikas in zwei Lager, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen und, schließlich, der völlig veränderten internationalen Lage.

 „Ich habe das Gefühl, dass diese Songs all diese Emotionen in sich vereinen. All diese Emotionen, denke ich, haben sich in diesem Album in unseren Köpfen festgesetzt. Und es ist immer unbewusst oder unterbewusst, denn man kann sich nicht hinsetzen und sagen, okay, ich bin verdammt sauer. So funktioniert das nicht. Man setzt sich einfach hin, macht den Kopf frei und spielt. Und die Emotionen, die dann rauskommen, sind echte, wahre, ehrliche Emotionen. Und die Emotionen, die herauskamen, waren groß und wütend, frustrierend, chaotisch. Ich denke, die Musik fängt das ein. Deshalb überrascht es mich in der Nachschau auch nicht, dass sich auf dem Album keine einzige Ballade findet, nichts, das auch nur annähernd ruhig ist, schön und anrührend. Dieses ganze Album ist ungemein intensiv, wütend, aggressiv, feindselig, konfrontativ. Purer Heavy Metal eben, so wie wir es verdammt noch mal mögen. Und wenn die Vergangenheit mir recht gibt, wenn wir etwas mögen, dann stehen die Chancen gut, dass unsere Fans es auch mögen.“

Obgleich sich auf dem Album keine einzige Ballade findet, verbergen sich in den Songs doch viele kleine und einige ganz große Melodien. Eine von der letzteren Sorte findet gegen Ende von ‚Room Of Mirrors‘, eine wunderschöne Gitarrenharmonie, die an Thin Lizzy erinnert, an Gary Moore, vielleicht sogar an Wishbone Ash. Ein bewusstes Zitat?

Ach,“ lacht Kirk, „wir sind alle seit frühester Jugend glühende Thin Lizzy-Fans. Wenn also ein Gitarrenpart mal nach Gary Moore klingt, egal ob von mir oder James gespielt, dann ist das durchaus eine Hommage, manchmal eine bewusste, manchmal eine unbewusste, aber wir stehen beide unbedingt dazu.“

James Hetfield, Showcase in London 1998, pic: Edgar Klüsener

Die Texte nehmen die grundlegenden Stimmungen der Musik auf und kanalisieren sie. Wie schon so oft sind sie selbstreflexiv, spiegeln die innere Zerrissenheit Hetfields wieder, den Kampf gegen die eigenen Dämonen, lassen aber Raum für unterschiedliche Interpretationen. Hetfield selbst schweigt sich meist aus über seine Texte und deren Bedeutungen, und die anderen Musiker fragen ihn auch nicht danach, sondern respektieren die Haltung. Für Kirk Hammett schließt diese Akzeptanz von James Hetfields Rolle als alleiniger Texter ein, dass er nur dann Texte für seine eigenen Songbeiträge schreibt, wenn er von Hetfield explizit dazu aufgefordert wird. Doch obwohl Hetfield seine Texte nicht erklärt, begreifen seine Mitmusiker ihre Bedeutung oft intuitiv: „Einige der Texte sind für mich offensichtlich; ich weiß worüber er singt, weil ich James kenne. Er ist mein Bruder, also verstehe ich viele der Anspielungen, die er macht.“

Lyrics wie die von ‚Screaming Suicide‘ oder dem mächtigen ‚Crown of Barbed Wire‘ haben eine poetische Qualität, die seinen Bandkollegen in Kirk Hammetts Augen erneut als herausragenden – und immer noch sträflich unterbewerteten – Lyriker bestätigen.

Ich habe schon oft gesagt, dass James ein Dichter ist, der ein Gespür für Sprache hat und definitiv eins für den Rhythmus und die Bedeutung hinter den Worten. Bei diesem Album sind es vor allem die Texte, die mich umhauen. Aber nicht nur die Texte, sondern auch die Phrasierung am Anfang und am Ende des Liedes. Ich denke, James‘ Gesangsleistung auf diesem Album ist mit das Beste, was er je gemacht hat. Es war das erste Mal, dass er in seinem eigenen Haus gesungen hat. Mit ein paar Mikrofonen, ein paar Mikrofon-Vorverstärkern und ein paar Kompressoren, direkt in Logic oder Pro Tools oder was auch immer er benutzt. Und er sagte, dass es einfach einen großen Unterschied in der Performance macht, wenn man entspannt ist und zu Hause aufnimmt. Und ich sagte zu ihm: Das merkt man, Bruder, denn es ist verdammt gut.“

Was auffällt, sind die Anleihen bei religiöser Symbolik in einigen Songs wie ‚Crown of Barbed Wire‘ oder der bereits ausgekoppelten Single ‚Lux Æterna‘. Das ‚ewige Licht‘ (Lux aeterna), auf das Hetfield hier Bezug nimmt, brennt Tag und Nacht in christlichen Kirchen wie in Synagogen am Tabernakel und zeigt die Gegenwart Christi (im Christentum) und Gottes (im Judaism) an.

Dass der Sänger und Gitarrist eine spirituelle Ader hat, gesteht Hammett durchaus zu: „Nun, James hat einen spirituellen Aspekt, genau wie ich einen spirituellen Aspekt in mir habe. Der spirituelle Aspekt von James basiert auf dem Christentum, während mein spiritueller Aspekt eher im Osten und im Nondualismus angesiedelt ist. Wir koexistieren und treffen uns oft in unserer Spiritualität. Aber wir haben unterschiedliche Ansätze und unterschiedliche Ansichten. Wann immer er also über etwas Spirituelles oder Christliches nachdenkt, respektiere ich es vollkommen. Und wenn es das ist, worüber er singen will, dann soll es so sein.“

Das bereits thematisierte neue Chaos in der Welt beschränkt sich natürlich nicht nur auf die USA. In Europa hat Putins expansionistisches Streben nach der Restauration alter Sowjetmacht die alte Nachkriegsordnung, und damit eine 70jährige europäische Friedenszeit (nein, den Balkankrieg haben wir nicht vergessen, aber er hat die Nachkriegsordnung weit weniger erschüttert), endgültig über den Haufen geworfen und Krieg wieder Alltag werden lassen. Der Aufstieg Chinas zur zweiten Supermacht hat die globalen Machtverhältnisse gravierend verändert, und die Demokratie als Form der politischen Selbstorganisation ist weltweit, auch im Herzen Europas, auf dem Rückzug. Kalte und heiße Kriege haben selbstverständlich Auswirkungen auf eine Band, die ihre Fans auf allen Seiten der Frontlinien hat. Konzerte in Kiew oder Moskau dürften für Metallica vorläufig nicht mehr auf dem Programm stehen.

Als besonders schmerzhaft allerdings empfindet Kirk Hammett, dass „…es für uns so aussieht, als würden unsere Fans gegen unsere Fans kämpfen. Das ist es, was hier passiert. Ja, ich weiß, es geht um mehr als das. Es sind Menschen, die gegen Menschen kämpfen. Aber für mich kommt ein persönliches Element hinzu. Wenn ich es als einen blutigen Kampf von Metallica-Fans gegen andere Metallica-Fans betrachte, bricht es mir das Herz.“

Dass der Status und die damit verbundene Prominenz nicht nur ein Segen sind, hat Kirk Hammett schon vor langer Zeit erkannt. Seine mentale Gesundheit hatte lange unter dem öffentlichen Druck gelitten, mit dem er sich als Metallica Musiker auseinandersetzen musste. Einen Halt fand er schließlich in seiner Hinwendung zur Spiritualität: „Es ist wichtig, sich mit etwas verbinden zu können, das größer ist als man selbst. Es ist wichtig zu wissen, dass der Anfang und das Ende des Universums nicht bei einem selbst beginnt. Wenn du wie ich psychische Probleme hast, aber auch eine Berühmtheit bist, dann müssen die Realitäten irgendwann miteinander kollidieren und in eine Krise münden. Ich hatte zahlreiche Krisen in meinem Leben. Meine Spiritualität und Nüchternheit halten mich heute auf dem Boden der Tatsachen. Spiritualität gibt mir das Gefühl, dass ich immer noch Teil der menschlichen Rasse bin. Sie hält mich davon ab, mich über oder unter allen anderen zu sehen. Am Ende ist alles außer der Musik irgendwie nur Blödsinn. Wenn man wirklich spirituell ist, durchschaut man den ganzen Scheiß. Deshalb denke ich, dass Religion und Spiritualität wichtig sind, besonders wenn man sich in einer Situation befindet, in der die Menschen von einem Inspiration, Führung und Positivität erwarten.“

Das Thema geht Kirk hörbar nahe. Treffend beschrieben haben diese Erfahrung seiner Meinung nach die Musiker von Black Sabbath, als sie ihr Greatest Hits Album schlicht ‚We Sold Our Souls To Rock‘n’Roll benannte: „Es ist wirklich großartig, 100 Millionen Alben zu verkaufen und all diese Ressourcen zu haben und in der Lage zu sein, ein anständiges Haus für deine Mutter zu kaufen und eine schöne Gitarre zu haben. Aber verdammt, Mann, wie viele meiner Freunde, die ich in den frühen 80ern um mich hatte, haben es nicht bis hierher geschafft? Eine Menge, Bruder. Viele meiner Freunde, die eine Überdosis nahmen, begingen Selbstmord. Es ist eine brutale Branche. Und im Nachhinein ist Sex, Drogen und Rock ’n‘ Roll der größte Mythos und so schädlich für die Gesundheit und das Wohlergehen und die verdammte Entwicklung eines Menschen. Ich wünsche, ich hätte es besser gewusst, als ich jung war und damals Sex, Drogen und Rock’n’Roll einfach ignoriert. Wenn man das jahrzehntelang gemacht hat, ist man am Ende eine ziemlich leere Hülle, und dann muss man seine Seele suchen und kommt schließlich zu dem Schluss, dass Sex, Drugs and Rock’n’Roll nur eine seltsame verdammte Mythologie ist. Worauf es am Ende nur ankommt, ist ausschließlich die Musik.“

Musik soll denn auch weiter im Vordergrund stehen, von Herzen kommende, wütende, manchmal an der Welt verzweifelnde und oft frustrierte Musik, wie sie so nur von Metallica kommen kann. Die Band hat mit „72 Seasons“ ein Album vorgelegt, das sosehr den gegenwärtigen Zeitgeist beschreibt wie schon seit langem keine Veröffentlichung mehr.

Edgar Klüsener

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Aktuell Archive Reportagen Zeitgeschichten

Jim Marshall: Ein Trommler, der Gitarristen das Lärmen lehrte

Diese Zeitgeschichte ist ganz dem Großvater des verzerrten Lärms gewidmet. Im Herbst 2004 traf ich Jim Marshall (verstorben im April 2021) in seinem Büro in Milton Keynes. Der geniale Tüftler, dessen Verstärker und Lautsprecher dem Rock’n’Roll seinen dreckigen Klang gaben und geben, ließ sich eigentlich ungern interviewen, und noch weniger mochte er Autogramme geben. Doch in diesem Herbst machte er eine Ausnahme von beidem. Ungefragt bot er vor dem Interview gar sein Autogramm an, wegen dem Doktor vor dem Jim. „Ist schon ein Ding„, erklärte er, „ich bin in meinem Leben nie zur Schule gegangen, und jetzt bin ich trotzdem ein Doktor.“ Der Titel ist ehrenhalber, vom College Of Music einer renommierten amerikanischen Universität verliehen. Nach dem Marshall schrieb er noch OBE und deutete dann extra mit dem Finger drauf: „Einen OBE habe ich jetzt auch, Anfang des Jahres verliehen bekommen. Von der Königin!“ Jim Marshall war also bester Laune und bereit, ein wenig über sich und sein Lebenswerk zu plaudern. Geschichten, die auf diesem Interview basierten, erschienen im November im Spiegel und einen Monat darauf im Rock Hard. Nachfolgend die Version, die das Rock Hard abdruckte.

Milton Keynes ist ein postmodernes Scheusal, ein städtebaulicher Sündenfall der 70er. Glas, Beton, stumpfsinnige rostbraune Fassaden und ausufernde Asphaltbänder prägen das graue, lebensfeindliche Bild der Kunststadt, von Reißbrett-Planern im nahen London lieblos ins Grüne geklotzt. Seelenlose Einkaufszentren, triste Pubs und anonyme Bürogebäude machen das Bild urbanen Schreckens komplett. Wer das graue Betonlabyrinth der Bochumer Uni kennt, der kann sich leicht ein Bild von Milton Keynes machen.

Die Stadt im Südwesten der britischen Insel ist dennoch eine bedeutende Koordinate im Weltatlas des Rock´n´Roll. Denn ausgerechnet hier befindet sich das Marshall-Verstärker-Werk, Produktionsstätte jener Amps, um die Gitarristen in aller Welt einen Kult betreiben, der fast an religiöse Verehrung grenzt. Und innerhalb des Werks hat Jim Marshall sein Büro.

Das Büro ist der einzige Raum im gesamten Werkkomplex, in dem geraucht werden darf. Die Luft ist geschwängert vom Rauch dicker Havannas. Ein alter Plattenspieler steht auf einem Sideboard, ein Verstärker, einige Schallplatten. Und ein Schlagzeug. Auf dem trommelt Jim Marshall  täglich zwei Stunden herum, um in Form zu bleiben. Denn der Mann, dem der Rock´n´Roll seinen Sound verdankt, die lebende Legende, Gottvater aller Rockgitarristen, ist von Hause aus Schlagzeuger. Die Gitarre hat er in seinen 76 Lebensjahren nie in die Hand genommen.

Kaum zu glauben, aber wahr: Ausgerechnet ein Schlagzeuger ist der Schöpfer jenes dreckigen, enorm druckvollen, immer leicht verzerrt klingenden Sounds, der Marshall-Amps so einmalig macht, der Generationen von Gitarristen geprägt und Marshall zu einer Legende hat werden lassen. Eine quicklebendige Legende zudem. Sein Alter sieht man Jim Marshall nicht an, er wirkt mindestens ein Jahrzehnt jünger. Und ist aktiv wie manch 40jährige nicht mehr.

»Ich bin halt ein Workaholic«, sagt er und meint damit: »Ich arbeite immer noch täglich bis zu zehn Stunden, sieben Tage in der Woche. Ich spiele immer noch in einer Band, die auch regelmäßig auftritt. Ich trommle immer noch ein bis zwei Stunden täglich auf meinem Drumkit.«

Nicht, dass er das wirklich nötig hätte. Denn bevor er der Welt seine Amps bescherte, war er ein gefragter Schlagzeuglehrer, aus dessen Schule einige der größten Rockdrummer hervorgingen. Überhaupt: die Lebensgeschichte des Jim Marshall. Filmreif ist ein Attribut, das oft viel zu voreilig vergeben wird. Reicht´s dann in den meisten Fällen doch nur bestenfalls zu einem C-Movie, wäre in seinem Fall mehr als ausreichend Stoff für einen Hollywood-Klassiker vorhanden.

Knochentuberkulose und Gipskorsett

The Sound of Rock’n’Roll: Marshall Amps. Pic by Photo by Clem Onojeghuo on Unsplash

Geboren wurde er am 29. Juli 1923 in Kensington als Sohn von Beatrice und Jim Marshall. Die Kindheit verlief alles andere als glücklich. Jim erkrankte an Knochentuberkulose und musste den größten Teil seiner Kindheit in ein Gipskorsett eingezwängt verbringen. In regelmäßigen Abständen schnitten die Ärzte den Gips auf, um das Wachstum des Jungen nicht zu behindern, und wickelten ihn dann neu ein. An Schulbesuch war unter diesen Umständen nicht zu denken.

»Meine Eltern waren arm«, erinnert er sich zurück. »Ich verbrachte die meiste Zeit im Krankenhaus. Zu der Zeit wurden Kinder im Krankenhaus noch nicht unterrichtet. An Privatunterricht war überhaupt nicht zu denken. Also wuchs ich ohne jede Schulbildung auf. Nur einige Pfadfinder bemühten sich in dieser Zeit, mir etwas beizubringehttps://zerotodrum.com/micky-waller/n.« Allerdings nicht Lesen, Schreiben oder Rechnen, sondern »...sie lehrten mich, wie man Bastkörbe flechtet. Wenn du jemals einen Bastkorb brauchst«, lacht er, »komm zu mir, ich flechte dir einen perfekten!«

Er war bereits 13, als die Krankheit endlich so weit unter Kontrolle war, dass er endgültig ohne Gipskorsett leben konnte. Prompt schickten die Eltern ihn zur Schule.

»Ich kam wegen meines Alters sofort in die Abschlussklasse. Und verstand natürlich, weil mir jede Vorbildung fehlte, kein Wort von dem, was da im Unterricht erzählt und gesprochen wurde. Wenig später bekam mein Vater einen neuen Job in einem anderen Teil von London. Wir mussten also umziehen. Er wollte für mich dort eine neue Schule finden, was für mich aber überhaupt keinen Sinn machte. Also sagte ich zu ihm: „Wofür soll das gut sein? Ich versteh´ in der Schule eh kein Wort. Kann ich mir nicht stattdessen einen Job suchen?„«

Am Ende ließ der Vater sich breitschlagen und verschaffte Jim eine Stellung als Ladenjunge in dem Geschäft, dessen Manager er war.

Aus dieser von Armut und Krankheit geprägten Kindheit läßt sich leicht erklären, warum Jim Marshall heutzutage massiv für Wohlfahrts-Organisationen spendet und sich auch persönlich stark in Charity-Projekte einbringt. Er ist Mitglied bei den Waterrats, einer erlesenen Gruppe von Showbiz-Größen, die bei der Aufnahme von neuen Mitgliedern strengste Auswahlkriterien anlegt. Der Kreis unterstützt diverse Projekte, fördert karitative Organisationen, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, gibt Gelder für Kinder in der Dritten Welt oder greift einem unabhängigen Theaterprojekt unter die Arme.

»Ich gebe jedes Jahr rund eine halbe Million Pfund – circa 420 Millionen € – für unterprivilegierte und behinderte Kinder«, beziffert er die finanzielle Seite seines Engagements.

Erste Steptänze, ein Job als Sänger und ein Schlagzeug

Der Vater war es, der letztlich seinen Einstieg ins Showbusiness forcierte. Er wollte, dass der Sohnemann Steptanz lernte, in der Hoffnung, dass dieser die immer noch fragilen Knöchel in den Fußgelenken stärke. In der Entertainment-Schule war Jim der einzige Junge unter lauter Mädchen. Was zu einem Problem wurde, als die alljährliche Vorstellung für die Eltern bevorstand.

»Der Lehrer sagte zu mir: „Junge, was soll ich bloß mit dir anfangen?“ Dann hatte er eine Idee: „Du machst den Fred Astaire. Du tanzt ein bisschen und singst einige Nummern.“ Und so lief es dann auch.«

Ein Auftritt mit Folgen. Im Publikum saß nämlich der Großvater eines der Mädchen aus Jims Klasse. Er war Chef einer der beliebtesten Londoner Showbands jener Tage. Nach der Veranstaltung ging er auf Jim zu, gratulierte ihm zu seinem Auftritt und zu seiner Stimme und fragte ihn, ob er Lust habe, mal in seinem Orchester zu singen. Jim sagte zu, stand einige Abende später auf der Bühne, sang zum ersten Mal mit Orchester im Rücken, kam an – und hatte damit einen neuen Job.

Im stolzen Alter von 14 wurde Jim Marshall zum Profimusiker, der fünf oder sechs Abende pro Woche auf der Bühne stand und Swing-Standards sang. Nebenbei begann er, Schlagzeug zu lernen, und entwickelte sich in den folgenden Jahren auch noch zu einem gefragten Drummer.

Dann kam der Krieg. Jim wurde eingezogen und Wartungstechniker bei der Royal Air Force. »In dieser Zeit lernte ich eine Menge über Elektronik, ein Wissen, das sich später noch als sehr nützlich erweisen sollte.«

Nach Kriegsende kehrte er zurück ins Zivilleben und nahm seinen Musikerberuf wieder auf. In den frühen 50ern kam dann die nächste entscheidende Wende:

»Duke Ellington hatte eine Nummer mit dem Titel ´Skin Deep´ veröffentlicht. In Großbritannien war ich der erste, der diesen Song spielte. Was dazu führte, dass plötzlich all diese Youngsters ankamen, die von mir lernen wollten, wie man diesen speziellen Drumbeat spielt. Ich ließ mich schließlich breitschlagen, nahm zwei Schüler an und war selbst überrascht, als ich feststellte, dass ich es liebte, anderen etwas beizubringen. Die Schüler standen bei mir Schlange; es wurden so viele, dass ich schließlich beschloss, den Musikerberuf an den Nagel zu hängen und stattdessen nur noch Schlagzeugstunden zu geben

Er unterrichtete prinzipiell nur Einzelschüler, 65 insgesamt, jedem widmete er eine Stunde. Damit war die Woche weitgehend ausgebucht. Während er von dieser Zeit erzählt, leuchten Jim Marshalls Augen, er nippt immer wieder an seinem schottischen Whisky, schmaucht seine Zigarre und verliert sich in den Erinnerungen.

Ritchie Blackmore und Pete Townshend, Dudley Craven und Ken Bran

Unter seinen Schülern waren etliche, die später in großen Bands spielen sollten. Jimi Hendrix´ Drummer Mitch Mitchell zum Beispiel, Little Richards Taktgeber Micky Waller oder Ritchie Blackmores Schlagzeuger Mick Underwood. Diese jungen Drummer waren es auch, die ihn zum ersten Mal auf eine neue Musikform aufmerksam machten, die Mitte der 50er von Amerika nach Europa überschwappte: den Rock´n´Roll. Anfangs hielt Jim Marshall wenig davon.

»Ich hielt Rock´n´Roll für nichts anderes als eine weitere dieser vergänglichen musikalischen Moden. Heute heiß geliebt, morgen schon vergessen.« Nun grinst er breit, macht eine kleine Pause und fügt dann hinzu: »Wie man sich doch täuschen kann!«

Der Unterricht allein befriedigte ihn auf Dauer nicht. Anfang der 60er begann er daher, Baß- und PA-Boxen zu bauen und an andere Musiker zu verkaufen. Jim Marshall hatte eine Marktlücke erkannt:  »In diesen Tagen gab es keine speziellen Lautsprecher-Boxen für Bassgitarristen. Also baute ich welche

Pete Townshend

Wenig später eröffnete er zudem noch einen Schlagzeugladen, hauptsächlich für die eigenen Schüler, doch zu den Kunden gehörten bald auch jede Menge andere Drummer aus London und Umgebung. Viele seiner Schüler spielten inzwischen in eigenen Gruppen und brachten nun immer wieder mal ihre Bandkollegen mit in den Laden. Unter diesen war auch The Who-Gitarrist Pete Townshend. Pete gehörte zu jenen, die Marshall in den Ohren lagen, doch endlich sein Sortiment auch um Gitarren und Verstärker zu erweitern.

»Von beidem hatte ich nicht die geringste Ahnung«, amüsiert sich Marshall noch Jahrzehnte darauf. »Aber die Idee klang gut

1962 lief der Laden bereits so hervorragend, dass Marshall Personal einstellen mußte. Doch er wäre wohl bis heute ein Musikalienhändler unter vielen geblieben, wenn nicht diese Gespräche mit seinen Kunden gewesen wären:

»Ich unterhielt mich häufig mit den Gitarristen, die zu mir in den Laden kamen, vor allem mit Pete Townshend und Ritchie Blackmore. Die klagten immer wieder, dass es einfach für ihre Musik keinen Amp gäbe, der den Sound produzierte, den sie sich vorstellten. Sie wollten nicht den cleanen Fender-Sound oder sowas, sie wollten einen mächtigen, schmutzigen, dynamischen Sound, einen echten Rock´n´Roll-Sound. Sie fragten mich immer wieder, ob ich nicht für sie einen solchen Verstärker bauen könnte. Also dachte ich: Okay, versuchen wir´s mal!«

Jim, der hochtalentierte junge Elektroniker Dudley Craven und Marshalls Mitarbeiter Ken Bran machten sich also daran, den ersten Marshall-Amp zu designen. Im September 1962 stand der Prototyp bereit zum Ausprobieren.

»Wir hatten uns natürlich auch an Fender-Amps orientiert«, erzählt Marshall von der Entstehung des Amps, der den Klang des Rock´n´Roll ein für allemal definieren sollte. »Einfach deswegen, weil Fender meine Lieblings-Amps baute. Aber nicht an deren Hauptmodell, sondern eher am Fender Bassman, weil mir dieser näher an dem Sound zu liegen schien, den wir erreichen wollten. Fender war also sicherlich ein Einfluß für uns. Andererseits: In der Röhrentechnologie gab´s nichts Neues mehr, alles war schon dagewesen.«

Wenig später war dann das erste Modell ladenfertig, ein 4×12. Und die Bestellungen flatterten so zahlreich rein, dass Marshall mit dem Bauen kaum noch nachkam. 1963 war dem Laden bereits eine Werkstatt angegliedert, in der Ken Bran und Dudley Craven einen Amp pro Woche bauten. Viel zu wenig, um den rasant steigenden Bedarf zu decken. 1964 lagerte Marshall die Produktion deshalb in eine neue Fabrik nach Hayes aus. 16 Mitarbeiter bauten dort dann schon 20 Verstärker pro Woche zusammen. Derweil sangen die Gitarristen Loblieder über die Amps. Pete Townshend wollte jedoch einen noch größeren, noch lauteren und noch druckvolleren Verstärker.

»Ich kannte Pete schon seit Jahren, weil ich früher mit seinem Vater, einem sehr guten Alt-Klarinettisten, zusammengespielt hatte. Wir hatten gerade unsere ersten 100-Watt-Amps gebaut und waren wirklich stolz auf sie. Aber Pete wollte noch mehr, einen 8×12. Ich wandte ein, daß seine Roadies Probleme haben würden, so ein Ding zu handhaben, baute ihm aber trotzdem einen. Und natürlich beschwerten sich seine Roadies auch prompt. Einige Wochen später stand Pete deswegen wieder im Laden. „Du hattest recht“, sagte er. „Ich will aber trotzdem die Höhe von 8×12. Wie wär´s, wenn wir die in zwei Cabinets packen?“ Er wollte das Ding schlicht in zwei Hälften schneiden, was unmöglich war. Also überlegten wir gemeinsam hin und her, wie sich das Problem lösen ließe, und kamen schließlich auf die Idee, zwei separate Cabinets zu bauen und diese aufeinander zu stapeln. Damit waren die Marshall-Stacks geboren, eine Idee von Pete Townshend und mir.«

„Jimi Hendrix fand er es witzig, dass es einen zweiten James Marshall gab.“

Jimi Hendrix by Heblo (Pixabay)

1965 spielte so gut wie jede britische Rockband mit Marshall-Verstärkern. Sie nahmen sie mit auf Tour nach Amerika, das europäische Festland, Japan. Überall dort horchten Musiker ebenfalls auf, zeigten sich fasziniert von dem Sound, der schnell zum Synonym für Rock´n´Roll wurde. Aber es war ein anderer James Marshall, der die Amps endgültig zur Legende werden ließ:

James Marshall Hendrix war gerade in London ansässig geworden und hatte bei Eric Clapton zum ersten Mal einen Marshall-Amp gesehen. Der junge Gitarrist war auf Anhieb fasziniert von dem unverfälschten Sound und wollte ebenfalls einen. Außerdem fand er es witzig, dass es einen zweiten James Marshall gab. Den wollte er unbedingt kennenlernen. Jim Marshall erinnert sich an die erste Begegnung:

»Mitch Mitchell hatte früher bei mir im Laden gearbeitet und dann von mir Schlagzeugunterricht bekommen. Eines Tages kam er zu mir und erzählte von diesem jungen amerikanischen Gitarristen, in dessen Band er jetzt spiele. Der sei ganz heiß darauf, mich mal zu treffen. Einmal, weil er es spannend fände, dass wir Namensvettern waren, zum anderen aber auch wegen meiner Amps. Hendrix kam dann in den Laden, und wir unterhielten uns. Er sagte, er wolle unbedingt auch über Marshall-Amps spielen, und behauptete im Brustton der Überzeugung, dass er bald einer der ganz Großen im Rockzirkus sein werde. Mein erster Eindruck war: Schon wieder einer von denen, die versuchen, was umsonst zu bekommen. Aber im nächsten Atemzug sagte er schon, dass er natürlich für alles den vollen Preis bezahlen werde. Jimi Hendrix war ein wirklich netter Kerl, und wir kamen bald sehr gut miteinander aus. Ich habe ihn dann auch zwei- oder dreimal spielen gesehen und war schwer beeindruckt von seiner Musikalität und seiner Technik. Jimi war in den folgenden Jahren unser größter und wichtigster Botschafter.«

Jimi Hendrix war es unbestreitbar, der, mehr als jeder andere, Marshall-Amps zur Standardausstattung für Rock- und Metal-Gitarristen machte.

Heute ist Jim Marshalls Verstärker-Geschäft ein Weltkonzern. In der Fabrik in Milton Keynes werden seine Amps in einer kuriosen, aber effektiven Prozedur, die modernste Fertigungstechniken mit traditioneller Handarbeit verbindet, für Musiker in der ganzen Welt hergestellt. Ein Verfahren, das die gleichbleibend exzellente Qualität der Geräte garantiert. Jim Marshall hat längst seinen eigenen Stern in Hollywoods „Walk Of Fame“, ist im eigenen Lande als Unternehmer wie als Mäzen und als Grundpfeiler der Rock´n´Roll-Welt zigfach ausgezeichnet worden.

76 Jahre ist er jetzt, immer noch hellwach, immer noch mit Leib und Seele der Musik ergeben. Und eben diese innige Liebe zur Musik sei es, sagt er, die das eigentliche Geheimnis des Erfolges seiner Amps ausmache. Denn »…ich bin selbst Musiker. Deshalb habe ich ein Gespür dafür, was andere Musiker wollen, ich verstehe, wovon sie reden, wenn sie einen bestimmten Sound beschreiben. Als Musiker habe ich gleichzeitig auch das Gehör für Sounds. Ich verstehe die technische Seite, kann das Verstehen also in Technik umsetzen. Das Wichtigste aber ist: Wir sind nie hergegangen und haben Geräte nach unseren eigenen Vorstellungen hergestellt, haben den Musikern nie vorgeschrieben, welchen Sound sie unserer Meinung nach haben sollten. Stattdessen haben wir jede Verstärkerreihe immer in enger Zusammenarbeit mit Musikern entwickelt, haben in langen Gesprächen deren Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen herauszufinden versucht. Das ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis von Marshall-Amps.«

Solange es Rock´n´Roll gibt, egal unter welchem Deckblatt er gerade firmiert, ob als Metal, Kreuzundquer, Alternative oder was auch immer sonst, solange wird es auch Marshall-Amps geben. Gute Arbeit, Jim!

 

C 2022 MuzikQuest/Edgar Klüsener, first published in Rock Hard 11/2004

 

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Aktuell Musik Reportagen Zeitgeschichten

Peter Gabriels Neue Welten

Im Herbst 1994 interviewte ich Peter Gabriel in seinen Real World Studios im idyllischen Bath. Während des Interviews erklärte er seine Sicht auf die Zukunft der Musik. In der hatten CDs, DVDs und andere solide Medien keinen Platz mehr. Die Zukunft sei, so seine Überzeugung, der Daten-Highway. Wohlgemerkt, wir schreiben das Jahr 1994, befinden uns also in einer Zeit in der Deutschland – wie der Rest der Welt – noch weitgehend offline existierte. Und wer doch schon im Netz unterwegs war, das gerade erst zum World Wide Web wurde, war zumeist Kunde proprietärer Online-Dienste wie CompuServe, AOL, T-Online oder Web.de. Die Geschwindigkeiten, die mit den damaligen Modems erzielt wurden, reichten nicht, Songs oder gar Videos zu streamen. Von den Kosten ganz zu schweigen. Und dennoch entwickelt Peter Gabriel schon damals ein Szenario, das den heutigen Kunden von Netflix, Spotify und Konsorten nur allzu vertraut sein dürfte. Eine weitere Zeitgeschichte, die übrigens im Dezember 1994 im Ruhrgebiets-Magazin Marabo erschien.

Nicht unbedingt nur wegen seiner Musik, eher auch wegen seiner technischen Neugier und Weitsicht zählt Peter Gabriel zur Speerspitze der internationalen Popmusik. Zur Weihnachtszeit deshalb der Tipp von Erzonkel Gabriel: Keine Tonträger kaufen – bald kommt der Daten-Highway…

Der Meister wirkt abgespannt und übernächtigt. Aber er macht gute Miene zum lästigen Promo-Spiel. Eine Horde europäischer Journalisten ist in die beschauliche Ruhe der Real-World-Studios eingefallen, um Neues in Erfahrung zu bringen über das Live-Album „Secret World“ und die Video-Zusammenarbeit mit dem franko-kanadischen Regisseur Robert Lepage. Viel spannender wird es, als die Rede auf neue Kommunikations-Technologien kommt, mit denen sich der Meister schon länger befasst. Eher beiläufig kommentiert Peter Gabriel eine Entwicklung, die seit geraumer Zeit die Vorständler der großen Plattenfirmen um den wohlverdienten Schlaf bringt: „Die Tage der traditionellen Tonträger sind bereits gezählt„, sagt er. „Und auch die CD-ROM ist kaum mehr als ein zwar interessantes, letztlich aber doch nur kurzes Zwischenstadium in dieser Entwicklung.

Egal, welche verschlungenen Informations-Pfade die technologische Entwicklung fürderhin auch nehmen wird, Peter ist gewappnet. Der frühere Genesis-Säger hat sich längst etabliert als Speerspitze der multimedialen Kreativ-Avantgarde. Im idyllischen Box im Südwesten Englands hat er in einer alten Mühle einen kleinen Konzern aufgebaut, der für die digitale Zukunft bestens gerüstet scheint. Unter den Dächern der Mühle und der dazugehörigen Gesindehäuser findet man ein ultramodernes HiTech-Tonstudio, ein Videostudio sowie die Büros der Gabriel-Firmen Womad und Real World. Vor allem letztere hat in jüngster Vergangenheit Furore gemacht. Hier entstand unter der kreativen Federführung Peter Gabriels eine multimediale CD-ROM, an der sich seither alle anderen Künstler mit ihren Produkten messen lassen müssen. Meistens zu deren Nachteil.

Doch der Meister ist bereits wieder einen Schritt weiter. Zwar wirkt er im Moment ein wenig abgespannt, doch belebt sich seine Stimmung sofort, als er auf künftige technologische Entwicklungen zu sprechen kommt. „Die Zukunft gehört„, begeistert er sich, „Music on demand.“ Und meint damit eine völlig neue Art des Musikkonsums, die sich in den USA bereits langsam durchzusetzen beginnt. Der Musikfreund geht nicht mehr in den nächsten Schallplattenladen, um sich dort die neueste CD seines Lieblingskünstlers zu besorgen, sondern wählt sich vom heimischen PC aus direkt in eins der Datennetze ein. Dort findet er eine reichhaltig sortierte Musikbibliothek. Er geht die Liste der Künstler durch, findet schließlich einen Song, den er immer schon hören wollte und lädt sich diesen dann auf seine Festplatte. „Das ist der Tod der klassischen Tonträger”, betont Peter Gabriel noch einmal.

Er selbst hat längst die Schaufel des Totengräbers in die eigenen Hände genommen. Denn Real World arbeitet bereits an diversen Projekten, die das virtuelle Universum der weltweiten Datennetze mit ihren bislang kaum erforschten Möglichkeiten erkunden sollen. Er ist bereit für die Zukunft und will diese mitgestalten. Ob das für die Tonträgerindustrie in gleichem Maß gilt, muss sich erst noch zeigen.

Erstveröffentlichung: Marabo 12/1994

Beitragsbild/Image: Steven Toole, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

C 2022 MuzikQuest/Edgar Klüsener

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Aktuell Musik Videotipps Zeitgeschichten

Seltenes Nirvana Interview in voller Länge ( Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic)

Auf Youtube sind mittlerweile etliche Kopien eines Interviews präsent, das ich am 18. Oktober 1993 mit Nirvana in ihrer Heimatstadt Seattle geführt hatte. Das Interview sollte ursprünglich für das Fachblatt Musik Magazin, das kurzlebige Indie-Magazin C.O.R.E., die Musik Woche, Marabo, die Westfälische Rundschau, und einige andere Publikationen sein. Kurzfristig meldete dann auch noch BRAVO TV Interesse an und heuerte vor Ort einen Kameramann an, der das Interview dann mitschnitt.

Nirvana hatten an diesem Tag bereits eine Reihe von Interviews gegeben, und nicht alle waren gut gelaufen, ich war also auf das Schlimmste vorbereitet. Doch die Band gab sich locker und redselig, auch wenn ein windiger Balkon des Edgewater Hotels nicht unbedingt die beste Interview Location war.

Obwohl bereits mehrere Kopien des Interviews online sind, habe ich es bis heute versäumt, es auch auf meinem eigenen Channel verfügbar zu machen. Zeit also, das versäumte nachzuholen. Hier ist der Link zum Interview:

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Und hier der Link zur vollständigen Transkription.

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Aktuell Musik Rezensionen Zeitgeschichten

Freiheit wird zur Einsamkeit: Weißer Schnee, Schwarze Nacht

Diese kleine Auseinandersetzung mit dem Text des Liedes ‚Weißer Schnee, Schwarze Nacht‘ der Band Ihre Kinder erschien in dem 2011 von Erik Waechtler und Simon Burke herausgegebenen Band ‚Lyrix: Lies Mein Lied – 33 1/3 Wahrheiten über deutschsprachige Songtexte‘. Im Westen Deutschlands waren Ihre Kinder die Pioniere deutschsprachiger Rockmusik, die unter anderen Udo Lindenberg dazu inspirierten, es ebenfalls mal mit der bis dahin arg diskreditierten Muttersprache zu versuchen. 

Der silberne Löffel kocht für sie ab; der Gürtel schnürt ihr die Vene ab; sie drückt die Nadel tief in ihr Blut; dann schießt sie ab und versinkt in der Glut“.

Mit dieser trockenen, teilnahmslosen Beschreibung des kurzen Wegs zum flüchtigen Frieden mit der Welt hatte die Gruppe Ihre Kinder 1972 einen Song in deutscher Sprache über Drogenkonsum geschrieben. Die Nürnberger waren die erste westdeutsche Rockband, die konsequent auf deutsche Texte setzte. Sie schrieben poetische Lieder, eine Art psychedelischer deutscher Beatlyrik, konnten aber auch sehr eindeutig und präzise sein, wenn sie politische Themen aufgriffen. Musikalisch deckten sie eine enorme Bandbreite ab, das Spektrum reichte von akustischem Folk über satten Blues und orientalisch angehauchten Psycho-Pop bis hin zu hammerhartem Rock. Deutsch war da als Rockidiom noch weitestgehend diskreditiert, die Sprache seicht-rosafarbener Schlagerromantik. Englisch hingegen war cool, die Sprache neuer Freiheiten und Träume. Deutsch war nicht nur vorbelastet, es schien nach 1945 auch extrem provinziell. Und so radebrechten in deutschen Jugendzentren und Vorortkneipen hunderte von hoffnungsvollen Nachwuchsrockern englische Lyrics, die weder sie noch ihr Publikum so recht verstanden. Dass die westdeutsche Musikindustrie ähnlich fühlte und dachte, dass ihr allein schon bei der Vorstellung grauste, Rockmusik könne auch mit deutschen Texten funktionieren, belegt die Geschichte der Nürnberger.

Das erste Album der Band wurde von deutschen Plattenfirmen zunächst mal als viel zu unkommerziell abgelehnt. Rockmusik, das war die vorherrschende Meinung in der Tonträgerbranche, konnten Engländer und Amerikaner viel besser. Und dann noch deutsche Texte? Wozu gab’s schließlich englisch?

Am Ende bewies dann doch eine Plattenfirma Mut: Philips brachte das Album heraus, allerdings so halbherzig, dass es beinahe sang- und klanglos unterging. Immerhin, Hermann Zentgraf, der zuständige A&R-Mann bei Philips brachte die Gruppe anschließend bei dem Münchener Independent-Label Kuckuck unter und ebnete ihr damit den weiteren Weg im Wirtschaftswunderland.

Ihr drittes Album trug als Titel schlicht die Seriennummer, war in ein Jeanscover verpackt und die Originalausgabe erzielt heute unter Sammlern Höchstpreise. Es war zugleich das stärkste Album der aus heutiger Sicht Bestbesetzung der Band. Bei Ihre Kinder herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Nur Gitarrist, Sänger und Komponist Ernst Schultz, der Schlagzeuger Muck Groh und der Sänger Sonny Hennig konnten als Kernbesetzung gelten. Das Jeansalbum bescherte dem Kuckuck-Label seinen ersten Hit und war zugleich das wütendste und bissigste Album der Nürnberger. Auf ihm findet sich auch die Ballade „Weißer Schnee, schwarze Nacht“.

Ihr viertes Album „Werdohl“, benannt nach einer grauen Industriestadt in den idyllischen Tälern des Sauerlandes, sollte auch schon das letzte sein.

Nach „Werdohl“ wurde es ruhig um Ihre Kinder. Aber ihr Vorbild hatte bereits Schule gemacht. Udo Lindenberg, der sich ausdrücklich auf die Nürnberger als Vorbilder beruft, war der erste, der Rock mit deutschen Texten endgültig etablierte, viele weitere sollten folgen.

„Weißer Schnee, schwarze Nacht“ war ein Novum: ein deutscher Rocksong über Drogengebrauch, der weder sensationslüstern überzeichnend war noch Drogen als Mittel zur Bewusstseinserweiterung und als bewussten Protest gegen die als kalt und autoritär empfundenen Strukturen des frühen Nachkriegsdeutschland verherrlichte. Ebensowenig bediente der Song die längst auch in Deutschlands Gegen- und Jugendkultur verbreiteten und anerkannten stereotypischen Klischees des „Sex&Drugs&Rock’n’Roll“-Lebensstiles.

Ihre Kinder

Die sechziger und frühen siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren im Westen Deutschlands das Jahrzehnt, in dem politisches Engagement sinnlich wurde, in dem der Aufstand gegen die Welt der Väter und deren düsteres Erbe auch ein Aufstand gegen eine Realität wurde, die als kalt, bedrückend und erschreckend eindimensional empfunden wurde. Die Auseinandersetzung fand in den Straßen ebenso statt wie in den Köpfen, und sie wurde mit vollem Körpereinsatz geführt; Sinnlichkeit und Erotik wurden ebenso zu Waffen der Auseinandersetzung wie Haschisch, LSD und Heroin.

„Turn on, tune in, drop out“ (Schalte ein, stimme dich ein, steig aus), hatte der amerikanische Psychologie-Professor und LSD-Prophet Timothy Leary Mitte der sechziger postuliert und LSD zur Allzweckwaffe in der Befreiung des Bewusstseins erklärt. Die amerikanische Hippiebewegung hatte den Slogan mit wachsender Begeisterung aufgenommen. Die Vermengung aus entstehender globaler Popkultur anglo-amerikanischer Prägung mit wachsendem politischen Unwohlsein einer ganzen Generation war explosiv. Eine ganze Generation wechselte, so schien es, auf die Überholspur. Live fast, die young (Lebe schnell, stirb jung) war ein anderer Slogan, den vor allem Rockmusiker ernst zu nehmen schienen.

Ian Dury fasste das Credo schließlich kurz und knapp zusammen:Sex and drugs and rock and roll ; Is all my brain and body need ; Sex and drugs and rock and roll ; Are very good indeed“ (Sex und Drogen und Rock’n’Roll ; Ist alles was mein Gehirn und mein Körper brauchen ; Sex und Drogen und Rock’n’Roll ; sind in der Tat sehr gut)“.

Sex, Drogen, Rock’n’Roll – das stand für ein Leben im Ausnahmezustand, für grenzenlose Freiheit, neue Erfahrungen, für Lust und Exzess. Ein Leben am Abgrund, in den man durchaus stürzen konnte – was den Spaß am Risiko eher noch erhöhte.

Ihre Kinder waren eine Rockband, und damit waren Drogen beinahe zwangsläufig Teil auch ihres Lebensumfeldes. Sie wussten genau, worüber sie schrieben. Der Song richtete sich an ein Publikum, das ebenfalls verstand.

Die eingangs beschriebene Prozedur ist jedem Junkie bestens vertraut und schnell in Fleisch und Blut übergegangen. Das Abkochen des Heroins, häufig vermischt mit ein bisschen Zitronensäure, im Löffel, das Aufziehen der wässrigen Lösung in die Spritze, das Abschnüren der Blutzufuhr knapp über dem Ellenbogen mit einem Ledergürtel, das Suchen nach einem Stück heiler, noch nicht verhärteter Vene, der Einstich, der Abdruck, der kurze, heiße Kick wenn die Droge an den Rezeptoren andockt, und dann die wohlige Taubheit gegenüber der Welt, das Abschalten für einige Momente.

1968 waren Junkies immer noch ein relativ seltenes Phänomen in Westdeutschland, zumeist nur in den ganz großen Städten zu finden. Die veröffentlichte Meinung reagierte ebenso sensationsgeil wie hysterisch auf die langsam aber stetig steigende Zahl von Heroinsüchtigen; absurde Horrorstories dominierten die Schlagzeilen, sachliche Berichterstattung fand kaum statt. Stattdessen wurden von Haschisch über LSD bis zu Heroin alle Drogen über einen Kamm geschoren und gleichermaßen verteufelt. In „Weißer Schnee, schwarze Nacht“ ist davon nichts zu finden. Nüchterne Vertrautheit mit dem Subjekt zieht sich durch den ganzen Text. In den ersten Zeilen des Liedes wird zunächst die Szene gesetzt:

Die Wände sind grau und das Zimmer ist kahl; Der Boden ist feucht und das Licht eine Qual, ein Mädchen braucht keine Liebe mehr, ohne Schnee ist ihr Leben leer.

Ein Mädchen hat sich für den Schnee, damals ein weit geläufigeres Synonym für Heroin als heute, entschieden, und Schnee ist längst der Mittelpunkt ihres Lebens. Die Kargheit des Raumes, der Mangel selbst an einfachem Komfort versinnbildlicht die Tragweite der Entscheidung. Und eine solche, eine freiwillig getroffene, war es irgendwann mal. Nun ist der Schnee alles, was sie noch hat. Die Freiheit, die die sie gesucht haben mag, den Ausweg aus einem Leben, das wenig versprechend erschien, der Durst nach Abenteuer – all das spielt keine Rolle mehr. Sie mag es nicht wahrhaben wollen, immer noch an ein Spiel glauben, aber alles was zählt, ist am Ende nur noch der Schnee. Er gibt ihr alles. Doch sie zahlt einen Preis dafür. Und der Preis wird benannt:

Freiheit wird zur Einsamkeit; Sie glaubt nicht was kommt und sie glaubt nicht was war; Sie stirbt ihr Leben, bevor sie es überhaupt sah“.

Warum wird das namenlose Mädchen zum Junkie? Warum der Griff zur Droge? Der Text stellt diese Frage nicht, beantwortet sie aber. Die Suche nach Freiheit ist ein Grund. Die Lust aufs Experiment, auf die spielerische Erforschung der Grenzen dieser Freiheit ein anderer. „Das ist Leben für sie,“ heißt es, und weiter: „Doch sie glaubt an ein Spiel.“ Keine Rede von den sozialen Gründen, die in die Drogenabhängigkeit führen können, von der Armut und Ausweglosigkeit, die das Leben sozialer Randgruppen in modernen Großstädten bestimmt, für die die Droge ein Teil des beklemmenden Alltags im Abseits ist. Stattdessen der Verweis auf den anfangs spielerischen Umgang mit dem Schnee, auf die angenommene Funktion der Droge als Mittel und Weg zu Freiheit und Ekstase. Und die bittere Schlussfolgerung, dass was als unbefangenes Spiel mit dem Feuer begann, am Ende in schwarzer Nacht endete. Spätestens hier wird der Text zur Parabel auf die drogenbefeuerte Protest-, Pop-, Hippie- und Rock’n’Roll-Kultur der Sechziger und frühen Siebziger Jahre.

„Weißer Schnee, Schwarze Nacht“ ist von daher auch ein Abgesang auf die Träume und Ideale einer Jugendbewegung, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihre Unschuld und Naivität endgültig verloren hatte. Die Erkenntnis, dass tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen nicht auf die Schnelle zu haben sind und dass das Erschließen neuer Bewusstseinszustände und alternativer Realitäten auch als ganz banale Flucht in eine eher noch düsterere Wirklichkeit münden kann, mochte sich zwar 1972 längst noch nicht in nennenswerter Weise durchgesetzt haben, Ihre Kinder gaben sich aber schon da skeptisch. Die Freiheit, eine sehr egozentrische Auffassung von Freiheit, die die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche über alles stellt, wird da zur Einsamkeit der Einzelkämpfer, der Verlorenen. Die enttäuschten Träume und Ideale münden in eine desillusionierte Resignation, in der kein Platz mehr ist für Glaube, Begeisterung oder Hoffnung. Die Party mag noch weiter gehen, am Ende aber winkt ein prächtiger Kater.

„Weißer Schnee, schwarze Nacht“ ist ein merkwürdiger Song. Er propagiert nicht, noch verurteilt er; der so typisch deutsche erhobene Zeigefinger bleibt in entspannter Ruhestellung. Er beschreibt eine freie Wahl und ihre Folgen, die Ernüchterung, die noch jedem Rausch folgt. Zugleich hinterfragt er, ohne zu werten, ideologische und kulturelle Ideen-Konstrukte, die Drogen als Mittel zur Selbstbefreiung, zur Förderung oder gar Entfesselung der Kreativität anpreisen.

Als die Band das Lied 1972 erstmals veröffentlichte, schien die kleine Akustik-Ballade mit ihren nüchternen Beschreibungen und dem melancholischen Unterton seltsam zeitfern, zollte so gar nicht dem Zeitgeist Tribut. Gerade diese skeptische Distanz jedoch ist es, die „Weißer Schnee, Schwarze Nacht“ auch 39 Jahre später in einer in vielerlei Beziehungen radikal veränderten Welt noch anrührend und authentisch klingen lässt.

 

 

Erstabdruck: 2011, Copyright 2011/2022 Edgar Klüsener

Klüsener, E. (2011). Freiheit wird zur Einsamkeit. In E. Waechtler & S. Bunke, eds. Lyrix: lies mein Lied: 33 1/3 Wahrheiten über deutschsprachige Songtexte. Freiburg: Orange Press, pp. 91–96.

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Aktuell Reportagen Zeitgeschichten

Metallica: Geschichten, die die Straße schreibt

Eine kleine Sammlung von Tourgeschichten aus den früheren Jahren Metallicas, die mir Lars Ulrich irgendwann 1989 erzählt hatte. Im Mittelpunkt stand fast immer Bassist Cliff Burton, der 1986 bei einem tragischen Busunfall in Schweden ums Leben gekommen war. Nicht gerade Spinal Tap, aber nah genug dran und in der Rückschau interessant zu lesen. Die Tourstories erschienen erstmals in der deutschen Ausgabe des Metal Hammer im Herbst 1989 und dann auch in den jeweiligen Landessprachen im Metal Hammer UK, Frankreich, Griechenland, Spanien, Ungarn und im holländischen Ardschok/Metal Hammer. In der historischen Rückschau ist vor allem die Episode in Corpus Christi interessant, die Metallica im Zentrum einer ‚Moral Panic‘ zeigt, der zeitgleich auch eine Reihe anderer Künstler in den USA zum Opfer fielen. 

Ein Mega-Act auf Tour? Kein Problem, alles bestens durchorganisiert. Eine ganze Heerschar professioneller Mitarbeiter kümmert sich um jedes Detail, und sei es auch noch so winzig, arrangiert Transport, Hotels, Interviews, die Gigs, die Promotion, stets bemüht, jedes Risiko, dass etwas schiefgehen könnte, von vornherein auszuschalten. Eine Welttour durchzuführen, erfodert absolute Generalstabsarbeit, auch bei Metallica, dem Underground schon längst entwachsener Superact der späten 80er. Mit Rock´n Roll im eigentlichen Sinn hat eine solch perfekt vorbereitete Worldtour kaum noch etwas zu tun, da gleicht die Geschichte schon eher einer minutiös geplanten Geschäftsreise für Topmanager eines Weltkonzerns. Italien? Okay, wir spielen die und die Dates, da und dort laufen Interviews, und den Rest der Zeit habt ihr frei zwecks Erforschung von Land und Leuten— oder Venedigs weltberühmten Kanälen. Was soll denn da noch großartig schiefgehen? Spinal Tap gehört längst der Vergangenheit an, von „Ride The Lightning“ trennt „And Justice for All“ Welten.

Aber Metallica war nicht immer der Topact unserer Tage, auch Lars Ulrich und Kollegen mussten wie jede neue Rockband  durch die harte Schule der Straße. Und aus jener Zeit gibt´s einiges zu erzählen, Geschichten, die purer Rock ’n’ Roll sind, Geschichten, wie sie so nur die Straße schreiben kann. Die Palette reicht von Katastrophen bis hin zu kaum glaublichen Ereignissen, die, jedes für sich, durchaus Stoff für abendfüllende tragischkomische Filme bieten könnten. Die ganz große Katastrophe, die Metallica „on the road“ ereilte, jener Unfall in Skandinavien, der Cliff Burton das Leben kostete, an dieser Stelle wieder aufzuwärmen, wäre mehr als geschmacklos, obgleich sie sehr wohl DAS entscheidende Eckdatum in der Karriere Metallicas darstellt. Beschränken wir uns also lieber auf andere kleine und große Desaster, denen immer gemeinsam ist, dass ihnen auch ein Hauch von Komik innewohnt, und begeben uns direkt an die Grenze zwischen den USA und Kanada.

Vergessen im Niemandsland…

Pic: Wikipedia Commons

Ein Reisebus nähert sich der amerikanisch-kanadischen Grenze, fährt langsam an den Kontrollpunkt heran und stoppt schließlich. Drinnen ein Haufen langhaariger Jungs, Instrumentenkoffer, jede Menge Bierdosen – offensichtlich eine von diesen Rockbands auf Tour, eine Rockband allerdings, deren Namen den Grenzpolizisten beider Nationen zu jener Zeit noch herzlich wenig sagen dürfte. „Wohin des Weges, warum und wozu? Und irgendwas zu verzollen dabei? Drogen, Waffen? Und die Pässe bitte.“

Die Abfertigung nimmt einige Zeit in Anspruch. Niemand achtet sonderlich auf den jungen Mann, der aus dem Bus aussteigt und sich anschickt, sich etwas die Beine zu vertreten. Schnell gelangt er aus dem Blickfeld der Zöllner wie der eigenen Reisegesellschaft. Schließlich ist die Abfertigung beendet, die Musiker und ihr Tross versammeln sich wieder im Inneren des Nightliners und die Grenzbeamten kehren zurück in die warmen Wachstuben, zurück zu ihren Spielkarten oder was immer sonst sie zu ihrem Zeitvertreib zu unternehmen pflegten. Der Fahrer lässt den schweren Diesel an, langsam setzt sich der Bus in Bewegung, die Fahrt geht weiter, hin zum nächsten Konzert, weit hinein ins Landesinnere. Drei Stunden ohne Pause, immer weiter, vier Stunden und dann:  „Wo zum Teufel ist eigentlich Cliff???“ 

Cliff???!!!“ 

Hey Mann, der ist gar nicht im Bus!!!“ “Oh Shit! Wann ist der denn ausgestiegen, wir haben doch zwischendurch nirgendwo Halt gemacht. Habt Ihr schon mal auf dem Klo nachgesehen?“
Nee, da isser auch nich!“ „Scheiße! Wir müssen ihn an der Grenze vergessen haben!!!“

Und tatsächlich, während der Rest der Band munter in Richtung Konzert weiterreiste, war Cliff Burton an der Grenze zurückgeblieben, zum Erstaunen der Grenzer, die sich plötzlich mit einem einsam und verlassen wirkenden jungen Mann konfrontiert sahen, der da unversehens aus den Büschen auftauchte und verwundert nachfragte, wo denn seine Kollegen abgeblieben seien.
Lars Ulrich erinnert sich später noch gern an diese Tourepisode, vergisst aber nicht hinzuzufügen: „Dass sowas überhaupt passieren konnte, war ganz klar auch auf ein schlechtes Tourmanagement zurückzuführen. Zu Zeiten der „RTL“-Tour haben wir noch mit ausgesprochenen Amateuren zusammenarbeiten müssen. Heute könnte sowas schlicht nicht mehr vorkommen.“

No Remorse in Corpus Christi…

Okay Mann, wir wollen Dein gottverdammtes Geld, alles, verstehst Du ?!” Erschrocken und verwirrt musterte der Mann die beiden jungen Kerle, beide sicherlich nicht älter als 17 oder 18, die da so unversehens vor ihm aufgetaucht waren. „Mein Geld, no way, Mann. Sucht Euch doch ´n anderen, den ihr ausnehmen könnt.“ Nervös und offensichtlich bis zum äußersten angespannt stand das Duo vor ihm, tänzelte unruhig von einem Bein auf das andere. Dann begann einer der Jungs zu singen, mit monotoner Stimme, eine abgehackte Melodie und immer wieder die eine Zeile. No remorse… konnte der Mann so gerade verstehen, und immer wieder No remorse…

Plötzlich brach der Gesang ab und der Junge zog eine Pistole aus der Jackentasche, ein hässliches Ding und extrem gefährlich wirkend. „so Du willst nicht? Dann weißt Du, was Dich erwartet.“ Und er begann den kompletten Text des Metallica-Songs „No Remorse“ zu rezitieren. Schlagartig kam dem Mann das ganze lebensgefährliche Ausmaß seiner Situation zu Bewusstsein. Diese Kids, auch das erkannte er, waren heillos verrückt, total durchgeknallt, reden oder gar argumentieren konnte man mit denen sicherlich nicht mehr. Angst um sein Leben stieg in ihm auf, tiefe und unüberwindbare Furcht. „No Remorse, Mann“ schrie der Junge und legte die entsicherte Pistole auf ihn an.
Der Mann ließ sich in den Straßendreck fallen, brach zusammen, rutschte auf den Knien umher und flehte um sein Leben. „Nehmt alles, was ich habe, aber lasst mich am Leben ..“
No Remorse, keine Gnade, auch nicht für Dich!“, war die Antwort und mit einer ruckartigen Bewegung hob der Junge die Pistole an, zielte direkt in das Gesicht des Mannes und drückte ab… 
Nur wenig später wurden die beiden gefasst und vor ein Gericht in Corpus Christi gestellt. Während der eine zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, stand für den Todesschützen der Ausgang des Prozesses von vornherein fest. Als das Todesurteil schließlich verkündet wurde, stand er langsam auf, drehte sich zum Publikum hin, musterte für einen langen Augenblick die Anwesenden, darunter viele Journalisten aus allen Teilen Texas´, und begann dann zu singen „No Remorse..“

 

Der Fall machte Schlagzeilen in ganz Texas.

Eine kleine Weile später am Airport von Corpus Christi, Texas. Die Maschine mit Metallica an Bord war gerade gelandet und die Band drängte sich durch in Richtung Ankunftshalle. Alle waren in bester Stimmung, die „RDL“-Tour hatte sich bisher als voller Erfolg erwiesen, der Stern der Band war unaufhaltsam im Steigen begriffen, auch in den USA. Trotzdem war der Medienaufmarsch im Flughafen mehr als erstaunlich, einen solchen Empfang hatte die Band noch nirgendwo sonst erlebt. Fernsehkameras surrten und schoben sich neugierig an die einzelnen Musiker heran, ein wahres Blitzlichtgewitter brach über sie und ihren Tross herein und von allen Seiten wurden sie mit Fragen bombardiert.

Was zur Hölle ist hier los?????“

Lars Ulrich Jahre später dazu: “Wir hatten ja überhaupt keine Ahnung von dem , was kurz zuvor in Corpus Christi geschehen war. Der ganze Medienrummel hat uns förmlich überrollt.“
Während Metallica noch rätselten, was eigentlich los war, waren sie bereits zu DER Newsstory des Tages geworden. „Metallica are in town!“ verkündete das Fernsehen, das Radio und die Tagespresse. Ein Sturm der Empörung fegte durch Corpus Christi. „Diese Verbrecher, die unschuldige Kinder dazu verführen, Menschen umzubringen, sollten sofort der Stadt verweisen werden“, war noch die harmloseste Forderung der kochenden Volksseele. Andere forderten gar die Köpfe der Musiker, die erst durch einen Anruf vom Management überhaupt erfuhren, was hinter dem Rummel steckte.

James, als Autor der Lyrics von „No Remorse“ musste in einem langen Fernsehinterview Stellung beziehen zu den Lyrics und zu den Vorwürfen, dass erst der Song überhaupt den Teenager dazu gebracht habe, mit der Waffe in der Hand loszuziehen und Unschuldige umzubringen. Metallica waren auf einmal Monster, deren Konzert in Corpus Christi wegen der verderblichen Wirkung auf die Kids der Stadt mit allen Mitteln verhindert werden musste. Es kam zu Protestaktionen vor der Halle, Aufmärschen aufgebrachter Bürger vor dem Hotel und Drohbriefen und –anrufen. Der Fall machte Schlagzeilen in den gesamten Vereinigten Staaten. Das Konzert fand trotzdem statt…

Der Tag, an dem der Blizzard kam…

pic: Edgar Klüsener 1998

Buffalo im Staate New York, nahe an der kanadischen Grenze. Wir schreiben den Januar 1985. Ein verheerender Schneesturm fegt über Land und Stadt, unterbricht Strom- und Telefonleitungen, bedeckt Straßen meterhoch mit Schnee, knickt Bäume wie Streichhölzer und schneidet Buffalo von der Außenwelt ab. In den Straßen der Stadt nicht das geringste Anzeichen von Leben, nichts und niemand rührt sich. Vor einem der besten Hotels des Ortes stehst, halb eingeschneit, ein komfortabler Reisebus. Im Inneren des Hotels die Band und die mitgereiste Crew.

„Wann gibt´s denn hier verdammt noch mal was zu essen??? Hey, Ober, ist nicht bald Lunchtime?!“

„Es tut mir sehr leid, Sir, aber die Küche ist geschlossen, es gibt nichts!!!“

„Oh Shit, aber wir hängen doch mindestens einen Tag hier fest, bevor wir weiterfahren können. Sollen wir etwa die ganze Zeit hungern??? Ihr habt doch mit Sicherheit irgendwo Nahrungsmittel für das Personal gebunkert oder etwa nicht?“

„Haben wir schon, aber da kommt gerade mal das Personal mit zurecht. Sorry, Sir…“

Die Situation beginnt allmählich leicht tragische Aspekte zu bekommen. Da sitzt der gesamte Metallica-Tourtross in einem Hotel fest, zusammen mit einigen Bediensteten des Hauses, und es sind kaum Nahrungsmittel vorhanden. Die Stadt ist vollständig von der Außenwelt abgeschlossen, die Dauer des Zwangsaufenthaltes somit noch mehr als ungewiss, Nachschub ist nicht zu erwarten und die Hotelangestellten sind vorerst nicht bereit, ihre Vorräte zu teilen. Auch der Wink mit der Dollarnote hilft nicht viel weiter. Und draußen ist immer noch alles grau in grau, fegt der Sturm durch die Straßen und wirbelt dichte Wolken pulvrigen Schnees vor sich her. Gottseidank funktioniert wenigstens die Heizung noch. Die erste Nacht bricht herein und das Verhältnis zwischen Hotelbediensteten und hungernden Zwangsgästen wird zunehmend gespannter.

„Nun gut, wenigstens haben wir Zigaretten und Alkohol im Bus, damit werden wir den Magen schon für ne Zeit ruhig halten können.“
Also wird ein Roadie hinaus in das Unwetter geschickt, mit dem Auftrag, Alkoholika und Rauchwaren aller Art aus dem Bus zu holen. So kann, während draußen die Straßen in geisterhaft schmutzig-graues Licht getaucht werden, in der Geborgenheit des Hotels zumindest ein kleines Besäufnis gestartet werden, misstrauisch beäugt von einem Kellner des Room-Service, der schließlich selbst auch Durst bekommt und zudem noch feststellen muss, dass ihm die Zigaretten ausgegangen sind. Beides, Alkohol und Zigaretten, ist im Hotel nicht zu bekommen, die Bar ist unwiderruflich abgeschlossen, der Schlüssel unterwegs mit dem Barmann, dem das Unwetter alle Zugangswege zur Stadt und zum Hotel gnadenlos versperrt hat. Jetzt ein Bier…

„Entschuldigung Sir, könnte ich vielleicht einen Schluck abhaben.. und vielleicht auch noch ne Zigarette???“

Die Chance wird sofort erkannt und konsequent genutzt.

„Aber klar doch, Mann, allerdings hätten wir da ne kleine Vorbedingung. Du schleppst was zu essen ran. Alles klar?!“

Der Deal funktioniert zur beiderseitigen Zufriedenheit, zumal sich ihm auch andere durstige Angestellte bald anschließen. Zurück zur Tauschwirtschaft heißt die Devise, Bier gegen Brot und Tabak gegen Tortellini. Insgesamt drei Tage lang währt die Isolation in Buffalo, bis endlich die ersten Schneepflüge von außen den Kontakt zur Welt wieder herstellen, bis wieder Strom da ist und neue Lebensmittel geliefert werden können. Und bis es weitergehen kann zum nächsten Konzert.

Alle reden vom Wetter… wir auch!

Wir befinden uns auf der „Master Of Puppets“-Tour, irgendwo in Amerika. Rund zweitausend Fans tummeln sich vor der städtischen Halle, in der in dieser Nacht Metallica aufspielen sollen. Innen ist die große Bühne bereits aufgebaut worden, Helfer stehen gelangweilt herum und harren der Dinge, die schon längst hätten geschehen sollen. Schließlich fährt der Bus vor, sucht seinen Weg zum abgesperrten Backstage-Areal und parkt genau vor dem Bühneneingang. Heraus springen Metallica, sehen aufmerksam in die Runde und fragen dann erstaunt den örtlichen Promoter, der sie draußen empfängt: „Wo ist denn der Truck mit dem Equipment?“

„Tja, das fragen wir uns auch. Ich dachte, Ihr wüsstet das.“

„No way, man, keine Ahnung, ham die sich denn noch nicht gemeldet? Die hätten doch schon vor gut fünf Stunden hier sein sollen.“

„Nee, kein Anruf, nix. Aber kommt erstmal rein, Jungs.“

Die Halle macht einen imposanten Eindruck. Ein großer Innenraum, leer, eine riesige Bühne, leer… Und draußen vor der Halle beginnen die Kids zu skandieren. „Metallica, Metallica…“

Der Bus ist entdeckt worden, die Ankunft der Band eine rasend schnell verbreitete Nachricht. Alles drängt nun zum Ticket-Schalter. Die Band ist da, es wird also bald losgehen. doch der Schalter bleibt geschlossen.

„Hey, wir haben Nachrichten vom Truck. Die sind in einem Unwetter steckengeblieben, hundert Meilen von hier. Die können frühestens in fünf Stunden hier sein.“

„Schick sie weiter zum nächsten Auftrittsort!“

„WE WANT METALLICA…“ Die Kids werden allmählich unruhig.

„Hört mal Jungs, wollt Ihr nicht doch noch spielen? Ein oder zwei kleine Verstärker und ´n lüttes Drumkit können wir schon noch besorgen!“

Ein Blick von der Bühne in den riesigen Innenraum, auf die leeren Ränge, eine erste Vorstellung von der Akustik in der Halle, von Echo, Hall und Soundbrei.

„Vergiss es, Mann, so geht das nicht! Wir holen das Konzert späger irgendwann mal nach.”

„WE WANT METALLICA…“ Zweitausend Kids vor der Halle… Die Tickets behielten ihre Gültigkeit bis zum nächsten Metallica-Gig in dieser Stadt, Wochen später.

Hasch und Machinenpistolen, ein deutsches Trauma…

„Niemand verlässt den Bus, bleiben Sie bitte auf ihren Plätzen!“

Schauplatz: deutsch-niederländische Grenze. Die „Ride The Lightening“-Tour führt Metallica hinein ins Staatsgebiet der damaligen BRD. Schwerbewaffnete Bundesgrenzschutzbeamte mit umgehängten Maschinenpistolen und begleitet von Schäferhunden, letztere abgerichtet auf das Erschnüffeln von Betäubungsmitteln aller Art, entern den Nightliner. Während die Hunde ihre Nasen in alles und jeden hineinstecken, kontrollieren die Grenzer Pässe und Gepäck. Im oberen Stockwerk des Busses liegt derweil Cliff Burton im Halbschlaf und wundert sich über die merkwürdige Geräuschkulisse, die von unten herauf dringt. Schließlich wird es ihm zu bunt, bei diesem Lärm kann wirklich niemand mehr in Ruhe schlafen. Also erhebt er sich von seiner Liege und wirft einen Blick hinunter, genau auf einen Drogenhund, der sich auf die Treppe zu seinem Domizil zubewegt.

„Ach du große Scheiße!“

Cliff hat einen kleinen Klumpen Haschisch dabei, besten schwarzen Afghanen, ein bis zwei Gramm oder so. „Was tun??? Runterschlucken??? Iss wohl das beste…“
Als der Hund, gefolgt vom Lauf einer Maschinenpistole und dem dazugehörigen Grenzschützer bei Cliff anlangt, kaut dieser immer noch an dem trockenen Bissen und schluckt krampfhaft die letzten Brösel hinunter.

„Ihren Pass bitte.“

Der Hund schnuppert misstrauisch an Cliff herum, ist sich jedoch über den wahrgenommenen Geruch offensichtlich selbst nicht sicher und verliert schließlich das Interesse.

„Vielen Dank, gute Weiterfahrt..“

Langsam setzt der Bus sich wieder in Bewegung, an Bord ein Cliff Burton, dem es nach einiger Zeit immer komischer wird. Etliche 90 Minuten später ist der gute Mann so stoned wie nur selten zuvor in seinem Leben, als der schwarze Afghan seine Wirkung voll entfaltet. Der nächste Tag ist ein freier, und Cliff ist immer noch breit bis zum Anschlag. die Band findet´s lustig, albert herum mit Cliff, nimmt ihn hoch und amüsiert sich königlich über den verwirrten, zugeknallten Kollegen. Was soll´s schon, an diesem Tag ist eh kein Konzert. Das Konzert ist am nächsten Tag… Cliff ist immer noch stoned von seiner unfreiwilligen Cannabis-Mahlzeit. Die Band findet´s nicht mehr ganz so komisch, zumal Cliff abends auf der Bühne leichte Probleme hat, mit sich, der Musik und seiner Umwelt klarzukommen, geschweige denn, sich auf den Beinen zu halten. Erst am dritten Tag wurde Cliff allmählich wieder nüchtern und die Tour konnte problemlos weitergehen. Problemlos? Nun, irgendwas ging bei Metallica fast immer schief,aber das sind schon wieder ganz andere Geschichten, die wir vielleicht irgendwann später einmal erzählen werden…

Erstveröffentlichung / first published: Metal Hammer Germany 1989

C 1989/2022 Edgar Klüsener

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Frieden ist mehr als nur ein Wort: Music Against War

Kann Musik die Welt retten? Kann ein simples Lied den Unterschied machen zwischen Krieg und Frieden? Welche Rolle kann Musik spielen in einem Europa, das nach historisch beinahe beispiellosen 77 Friedensjahren plötzlich entsetzt feststellen muss, dass die Bestie Krieg auch in seinen Grenzen jederzeit wieder die blutigen Fänge zeigen kann. Noch ist er auf die vom britischen Historiker Timothy Snyder so treffend benannten ‚Bloodlands‘ konzentriert, die blutgetränkten Felder und Städte der Ukraine, die im vergangenen Jahrhundert bereits zweimal von deutschen und russischen Heeren gebrandschatzt, verwüstet und ausgeblutet worden sind. Doch wie jeder Krieg, hat auch dieser seine eigenen Gesetze, und wie noch jeder europäische Krieg der Vergangenheit, wird dieser ebenfalls das Antlitz des Kontinents dauerhaft verändern. Entziehen können wird sich ihm und seinen Folgen auf Dauer niemand. Hier nicht, in unseren Nachbarländern nicht, nirgendwo in Europa und darüber hinaus.

Was also kann Musik hier ausrichten? Kann sie die Herzen und Seelen ansprechen, in einer Welt am Rande eines weiteren Abgrundes? Kann sie die Geschicke der Menschen ändern oder zumindest erleichtern?

Ein klares Nein zu alledem“, wird der Zyniker nun mit sardonischem Lächeln antworten, „was für eine lächerliche und naive Vorstellung.“ Der selbsternannte Realist wird mit ernster Miene beipflichtend nicken.

Obwohl Musik die oft bewiesene Macht besitzt, Gefühle wie Trauer, Freunde, Lust oder Wut zu wecken und zu verstärken, kann ein einfacher Song wohl tatsächlich keinen Schutz bieten gegen kaltherzigen Massenmord, gegen Raketen, Panzer und Bomben, noch kann er etwas ausrichten gegen das blinde Wüten machthungriger Diktatoren und deren Lust auf Zerstörung.

Dennoch kann Musik, so ist nun einmal die Natur des Menschen, eine Rolle spielen, vor allem in Zeiten von bitteren Konflikten, in den Alptraum-Szenarien, die bestimmt sind von tödlichen Feindschaften, ungleicher Machtverteilung, ideologischer Raserei und scheinbar unüberwindbaren Gräben zwischen Menschen und Nationen.

Am Ende war es ein Lied, dass Soldaten des Zweiten Weltkriegs über alle Schlachtfelder, Frontlinien und Schützengräben hinweg anrührte, das sie ansprach und das sie zu lieben lernten. Die bitter-süße Ballade „Lili Marleen’ über einen Soldaten, der fernab der Heimat von seiner Liebsten träumt, wie sie einst unter der Laterne vor der Kaserne auf ihn wartete, wurde zuerst vom deutschen Soldatensender Belgrad ausgestrahlt und avancierte bald zum weltkriegsweiten Hit über alle Sprach- und sonstigen Grenzen hinweg. Die Atmosphäre des Songs, das grundlegende Sentiment sprach die Soldaten unmittelbar an. Es brachte eine Saite tief in ihrem Inneren zum Klingen, berührte ihre Menschlichkeit und schlug so Brücken zwischen Männern, und es waren fast ausschließlich Männer, die einander feindlich gegenüberstanden, gefangen im blutigen Alptraum mechanisierter und industrialisierter Massenschlächterei des Weltkrieges.

Dieser Krieg sollte der letzte gewesen sein auf europäischem Boden, darin waren sich die Nationen und ihre Führer nach 1945 weitestgehend einig. 77 Jahre hielt dieser, in Zeiten des Kalten Krieges oft brüchige, Konsensus. Doch nun wütet wieder ein bewaffneter Konflikt im Herzen Europas, der die Geister der grausigen Vergangenheit erneut heraufbeschwört. Lange hatten sich Europäer komfortabel in einem Zustand eingerichtet, der vielen wie ein ewig währender, unerschütterlicher Frieden erschien. Doch dieser Frieden war nie mehr als eine Illusion, eine traumgleiche Wirklichkeit, die in dieser Form nirgendwo sonst in einer Welt geteilt wurde, in der Blutvergießen und bewaffnete Konflikte nach wie vor zum Alltag gehörten und gehören. Viel zu schnell haben Europäer zudem vergessen, dass vor zweieinhalb Jahrzehnten auch auf dem Balkan ein zwar kurzer, trotzdem sehr blutiger Krieg getobt hatte. Ebenso wie schnell wieder vergessen wurde, wie selbstverständlich – und beinahe unwidersprochen – Russland der Ukraine 2014 die Krim entrissen hatte.

Mitten im Frieden haben wir uns zu sehr an die Geschichten und Bilder von Gewalt, Verwüstungen und unermesslichem menschlichen Leid gewöhnt, die uns per TV, Internet und Sozialen Medien frei Haus auf die großen und kleinen Bildschirme geliefert wurden und die mit einer kurzen Fingerbewegung weggewischt werden können. Wir haben die Bilder und Nachrichten aus Afghanistan, dem Jemen, Syrien oder Libyen zur Kenntnis genommen, irgendwie, aber dann beinahe sofort wieder vergessen. Der blutige Konflikt in der Ukraine hat unsere Wahrnehmung verändert. Er findet unangenehm nahe statt, quasi direkt vor unserer Haustür. Das unerträgliche Leid, dass wir nun täglich sehen, ist nicht mehr das irgendwelcher Menschen irgendwo anders auf dem Planeten, sondern das unserer europäischen Nachbarn. Für viele ist der Krieg in der eigenen Familie angekommen. Wir sind direkt betroffen, auch weil die Lebensmittelpreise steigen, der Benzinpreis und die Heizkosten. Vor allem aber, weil wir mit hineingezogen werden in diesen Konflikt, jeden Tag ein Stückchen weiter. Dennoch, wie lange wird es dauern, bis wir selbst von diesen Bildern genug haben und uns einmal mehr in den Zustand angenehmer Betäubung zurückziehen werden? Soll die Welt doch machen, was sie will, was geht mich das an?

Musik kann Brücken schlagen. Lili Marleen ist ein Beispiel dafür. Das außerordentliche Werk der israelischen Band Orphaned Land mag als ein anderes dienen. Die Gruppe ist unter israelischen und palästinensischen Jugendlichen gleichermaßen populär und versucht ganz bewusst mit ihrer Musik, aber auch in Wort und Tat, die Gegensätze zwischen beiden zu überwinden und wirbt für Verständnis und Anerkennung.

 

Musik kann machtvolle Verbindungen zwischen Menschen aller Rassen, Religionen, Nationen und Überzeugungen knüpfen. Sie kann Träume erschaffen und für sie werben, sie kann Gefühle wecken und Hoffnung wie Verzweiflung eine Stimme geben. Das Bedürfnis nach Frieden und Freiheit, nach grundsätzlicher Menschenwürde, ist es, was uns über alle kulturelle, religiöse, ethnische oder linguistische Barrieren hinweg miteinander verbindet.

Hier kommt Music Against War ins Spiel, eine globale Initiative, die darauf abzielt, so viele Menschen in so vielen Sprachen wie möglich zu erreichen, um so Gräben zuzuschütten und die Einheit in Träumen und Wünschen zu fördern.

Freedom“ ist der Titel des Liedes, das der italienische lyrische Tenor Allessandro Rinella auf Englisch aufgenommen hat, und er wird bei dieser Aufnahme von Sängern aus allen Teilen der Welt begleitet, die in ihrer jeweiligen Muttersprache singen, auf Griechisch, Arabisch, Hebräisch, Russisch, Ukrainisch, Deutsch und viele andere. Die Botschaft ist klar: Lasst uns Einheit, Frieden und Freiheit in einem kraftvollen Statement feiern, welches das Chaos in Frage stellt, in das die Welt hinabgleitet.

 

Titlebild: Photo by Darius Soodmand on Unsplash

 

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Dirkschneider & The Old Gang: Alte Helden leben länger

Man könnte es eine Accept-Reunion ohne Wolf Hoffmann nennen. Muss man aber nicht, denn was sich da aus der Heavy Metal-Geschichte in die Gegenwart stiehlt, erinnert personell zwar mehr als nur ein wenig an glorreiche Solinger Zeiten, ist aber letztlich doch klar ein anders gelagertes Projekt. Rund um Udo Dirkschneider, so unverwüstlich wie schon seit Dekaden und mit bewundernswerter Sturheit nach wie vor eine relevante Reibeisenstimme, hat sich mit den früheren Accept-Kumpanen Stefan Kaufmann und Peter Baltes, seinem trommelnden Sohn Sven und dem früheren U.D.O.- Gitarristen Matthias ‚Don‘ Dieth’ sowie Sängerin Manuela Bibert eine außerordentliche Truppe gesammelt. Die Besetzung allein ist schon vielversprechend und deutet ein Projekt an, dessen wahre Größenordnung in Zukunft wohl noch für einige Überraschungen gut sein wird. Erste Hinweise auf die fantastische musikalische Qualität offenbaren die beiden unter Lockdown-Bedingungen produzierten Videos für ‚Arising (Face of A Stranger)‘ und ‚Where Angels Fly‘, die derzeit auf Youtube für Furore sorgen. Weitere Nachrichten zum Projekt folgen in Kürze.

Youtube Video ‚Face Of A Stranger‘):

Youtube Video ‚Where Angels Fly‘

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Leon Lyons: And then Woodstock Happened

This interview was conducted in March 2010 and excerpts should later be used in a story on the legacy of the legendary Woodstock Arts & Music Festival. This is the first time the Q&A is being published in full length. The interviewer was Edgar Klüsener.

Leo Lyons has spent a few weeks in the UK and is now ready to head back to his home in Nashville, where he not only lives but also works as a songwriter. 40 years after Woodstock, the bass player is still a very busy man. His band’s appearance at the legendary Woodstock Art & Music Festival may have been the highlight of his musical career, but he still has his plate full. He is also ready to reflect on an event that since has become one of the defining moments of popular culture.

Q: Do you regularly commute between the US and the UK?

A: Yes, actually I do.

Q: So you have places in both countries?

A: Yes, I rent a place in the UK. For two reasons, really. Sometimes it is just convenient if we are playing shows in Europe. Also, I have family here, and my wife has an elderly mother whom she wants to look after. So it’s handy for both of us to have a place in this country. But most of the time I live in a suitcase, which is just as well.

Q: After all these years, you still live in a suitcase?

A: Oh, I know, I know… I mean, I am just pleased to be able to do what I love doing. However, the travelling side of it, I could manage to do without.

Q: Last year saw the fortieth anniversary of Woodstock. In retrospective, what did your appearance at Woodstock mean to you then and what does it mean to you now? At that time, in 1969, you were touring a lot, you must have spent almost every single day of the year on the road, so Woodstock must initially have seemed to you like just another one of these festivals.

A. That is certainly true. And not only that, we were also making around two albums a year, which is unbelievable, if you think about it in retrospect.

Q: When you were booked for Woodstock, did you have any idea that this particular festival might turn out a bit different from all the other ones, like Texas Pop or wherever else you had played before that year?

A: None at all, no. I think back then by the second day our agent may probably have had an idea that this was going to be something different, but I certainly didn’t know. We were on the road, the night before Woodstock we played St. Louis/ Missouri, the Newport Jazz Festival with Dizzy Gillespie. So I didn’t even know what was happening that weekend in Woodstock, all I knew was that we were having a gig there. And then our manager came in and said: “Oh, it’s chaos up there. The usual thing, that they had to let more people in, that the roads were blocked and so on.“ That was the first time I realised that there was something going on there.

Q: That must have been one of the worst organised festivals in the history of Pop…

A: I think it was a total disaster. That was a total accident, really. There was a lot of speculation, and I think you as a journalist might be able to check this up, about the governor wanting to send the National Guard in, and people were hoping that this would discredit that movement… I mean, if you look at the background, with America being at war, the Vietnam War, an unpopular war, that kept on politicizing people… (New York State’s then governor Nelson Rockefeller did indeed consider sending the National Guard in but his people advised against it. – ed)

Q: As a British band touring America at that time, did you follow the political developments, the changes in American society?

A: Not really. I don’t think I was that much of a political person. I think, we had this ideal about peace and love, and that kind of thing. And I think we were pushed on to one side, you were either for it or against it. If you had long hair, wore certain clothes and listened to certain kinds of music, then you were most unwelcome in some places. I wasn’t so much political, but I found it sometimes rather crazy what was going on, unbelievable for someone who had come from the United Kingdom. Anyway, it was pretty obvious what was going on in America, the race segregation that, not that there wasn’t any in Britain, but not at that scale, with the peace marches and the Civil Rights movement. I was aware of it, but I was not active in it.

Q: As a Brit, coming from Mid Sixties Britain to America, the States must have seemed a strange place, anyway.

A: It was a strange place. It was totally different. You must imagine, all I knew about America was news, music, and I was an America fan. I liked the American books, I liked American films, I liked the idea of Hollywood, you know, the whole thing, the whole American Dream was sold on me probably at the age of thirteen, fourteen. So it seemed like a wonderful thing.

Q: And you definitely liked American music, didn’t you?

A: Oh yes, I mean, that was the main motivating thing. And I guess it still is. That is why I still live in America. I love Europe, but I live in America, because I like the music, and music is what I am doing.

Q: You’ve worked for a while as a songwriter in Nashville, haven’t you? Isn’t that a step away from Underground rock?

A: Yes, for ten or twelve years, I think this is my eleventh year. I was a staff songwriter for a company called Hay Street Music that was owned by a songwriter called Don Smith, who was a successful writer.

Q: That was country music?

A: Oh yeah, country music was the first type of music that I really liked.

Q: So country came first?

A: Oh yes, definitely. I mean, country music has always been the white man’s blues. For me, the first records I heard was Jimmy Rodgers, “he is in a jail house now”, on a wind-up gramophone, all on my own, I guess that was when I was seven or eight. In a way this was the first introduction to the guitar for me. Then there was Lonnie Donegan, who started to play a lot of the Leadbelly stuff, and then Skiffle became famous, and the Rock’n’Roll, for me

Q: In the Sixties, Ten Years After was still considered an Underground Band. What exactly did underground then stand for? Was that term solely used to signify the music?

Pic: By Mark Goff – own collection, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7366405

A: Yeah, it was purely a musical term. Underground music I think, in that context, just meant, you don’t make hit singles, you are not a hit single based, pop based band. You were not hyped by a publicist or by a record company. You know how record companies can put bands together, hype things up. It was something a minority of people wanted to listen to. Real music, you may want to call it, people wanted to listen to rather than hyped up stuff. Once it became successful it ceased to be underground, then it became mainstream. It was played on the radio, the pop magazines started to pick up on it. All that changed, and one thing that changed it was, I think, Woodstock The Movie.

Q: What did the Woodstock movie mean to you?

A: To put it in context: we were on our third album and hopefully had a chance in the United States – in other countries too, but let’s for the moment stick with America – to play up to 5,000 seaters.

Q: which was already quite impressive…

A: Yeah, well, twelve months later, when Woodstock came out, we suddenly found ourselves on an entirely different level. So, we were doing okay when Woodstock came out, building nicely, playing to a lot of people, selling records, charting … when the movie came out, all of a sudden we went into the mainstream. We could play on a Tuesday night in a town we had never heard of before and fill a 10- 15,000 people auditorium. Seven nights a week. And of course, that spread throughout the world. I mean, in Germany we were suddenly playing huge venues

Q: How long did it take you as a touring musician who just lives from one venue to the next, from one hotel room to the next, to really realise how big you had suddenly become?

A: That’s a good question. I think you never do. You feel more pressure, that is definitely building up on you. There’s always an interview to do, all of a sudden people want to get to know you, people start following you around. However, I must say most fans are really good. But there were cases, like I had a hotel room on the second or third floor and someone was climbing up the outside of the building and banging on my window, wanting an autograph. That kind of stuff started to happen. I am always grateful to meet fans, but it became difficult at a time. But I mean, that’s what you do. I don’t think I ever consciously wanted to be rude. I did always want the band to be successful. However, there were things I wasn’t prepared to do. That’s why we were an underground band. We didn’t want to do TV, we didn’t want to do that kind of thing. In retrospect I think that was silly, but I think we felt: We are musicians, not pop stars.

Pic: Deram / London Records, Public domain, via Wikimedia Commons

Q: Funny, you mention this: What do you think about nowadays casting shows, such as American Idol or the X-Factor?

A: I have to say, people have to have a break one way or the other. And I think there is a lot of talent that manages to get started that way, but to me, to be honest, I think it is an exploitative way of the business to say: Alright, it is very difficult to break an act, so, what we do is, we set up a talent show, we build up a following for these particular people, and then we will launch them, and then we will make a lot of money out of them. I think it’s exploiting, but I don’t know. I mean, when I was sixteen, I entered a talent contests.

Q: You did?

A: Yeah,

Q: And did you win?

A: No, of course not. I think when I was sixteen, the band I was with then, we did come second in one of the talent contests and did win five pounds. I mean, you entered these talent contests and you could win a recording… it wasn’t a recording contract, it was a recording audition, you know, that kind of thing. I don’t know… what I think is that the business has changed that much, that after Woodstock the media people went in, the marketing people went in, and they all made money. And I think, if you look at it in that context, people are a lot more in it for the money. When I started, people were more enthusiastic about the music. If you could make money out of it, then great. Now it seems to be all about the money. You go along to one of these television shows, you say: right, I want this out of it and that out of it, this management thing and that, do the contracts, have the whole thing signed and sealed. But how long will it last? Only very few people from them shows we will be here in ten years time. Most of them will long have disappeared. It’s cheap television. I mean, it’s a wonderful idea for the people who put it together. But that’s… here we are underground again. Ten Years After are underground again. We don’t belong to the mainstream, we don’t appear that much on television, we release our own records. And we do nicely, thank you. A lot of people come and want to see us, and young people. For me that’s great!

Q: It appears that you are actually a bit ahead of the trend right now. It seems that more and more musicians are trying to take over as much as possible into their own hands, from recording to the release of music.

A: Yes, yes, it does. I mean with us, in our situation, we were offered record deals, and we did go with a label in the states, but then, it is difficult times for record companies and, to be fair, you either invest a million or a couple of million dollars in a project or you just put something out and see what happens. And a lot of record companies decide for the latter. You can do a lot more yourself. There would not be any real commitment from a major record company to a band like Ten Years After. That is for two reasons: Firstly, they would go and say, hang on a minute, I am the A&R guy who’s putting his neck in a noose, either it’s going to happen anyway, or it don’t and I will be losing my job. The problem is, it has always been young people’s music, but the last few years that seems to have changed, it seems that we have been caught up with mainstream music. I mean, I am not bothered by that.

Q: Back to Woodstock: Were you actually aware that there was a film being made?

A: Yes, they asked us about this, and our management had agreed to it.

Q: So you went through the whole process, signed forms and all of that?

A: I mean, I wasn’t aware that they were filming while we were doing the show.

Q. The songs which were then finally shown in the film, was that your choice? Did you approve of any?

A: I certainly didn’t, no. We had no idea. We had an American management involved back then and there were all sorts of infighting going on inside the management and one thing or another. I heard all sorts of rumours… No, I didn’t see anything until the movie actually came out.

Q: When you saw the movie for the first time, did you actually recognize what you saw from what you remembered?

A: Yes, I think I did. Even after forty years I think I still have a pretty clear recollection of that.

Q: When I spoke to other people who have been at Woodstock, they admitted that they sometimes found it hard to trust their own memories. They weren’t sure any more if it was the film they remembered, or the real events on the ground. Do you sometimes find yourself in this situation, too?

A: Yeah, it is pretty clear. I mean, apart from the actual performance, which can be seen on film, what I recall most clearly are those backstage moments.

Q: What were the actual playing conditions like?

A. Pretty bad. Because it was raining, the stage was slippery, there was so much rain that water was running between the cables criss-crossing the stage, there was an awful lot of humidity, so tuning was a bit of a problem…

Q: Nowadays that wouldn’t pass health and safety…

A: No, it definitely wouldn’t. Nobody got electrocuted. It did occur to me, though, but I didn’t think it was my time. But then you looked from the stage over the audience, and it was that whole sea of faces, you know, steam rising up from the audience as well, fires in the distance, so that was a good feeling. You know, other aspects of it stick out in my mind, like we left St. Louis Missouri at six in the morning, fly to New York, then drive to Woodstock, you know, and that was like some pictures from Vietnam, you know, helicopters hovering over the fields, and I remember going to the gig and the rain starting. And I remember someone, I think Pete Townshend, saying that someone had spiked the food with Acid, and then there was me sitting in the back of the truck, watching the rain coming, thinking: I want something to eat!

Q: So, did you take the risk?

A: No, no… I have always thought I was partially on the edge anyway, so I have never taken Acid. I was too afraid I would never come back. I saw too many people who never came back. Although, this would have been the occasion in years.

Q: That was actually another aspect of Woodstock. It made drugs fashionable, triggered a worldwide drug-culture.

A: May be it did, but I think that was pretty prevalent even before Woodstock. May be in Germany. But did it in Germany? I am not so sure, there seems to have already been a drug culture before Woodstock. Maybe in Eastern Europe. I have spoken to people from Eastern Europe, it had such an effect on them. Not necessarily the drugs, but the whole thing. That people could get together against authority, in a way, listen to the music they wanted to listen to in the way they wanted to listen to it.

Q. In terms of resistance to authority: What was Britain like at that time?

A: Ermm, underground music was not that much of a political movement. I think that was more an aspect of the American society, that had to put music in a bag and people in a bag, like you listen to that so you must be this. It was a lot easier in the UK, I don’t think people didn’t identify so much people with long hair, with short hair… I think it was only when the Punk Scene started that appearance actually began to matter.

Q: The appearance of Punk seems to have caused a sort of moral panic in Britain.

A: It did, yeah. I think it was definitely an anti-Establishment thing. I don’t really think that … music, underground music, psychedelic in the UK was that much of an anti-Establishment thing, you just wanted to have fun. In the UK there was no shortage of jobs, people had money, despite the fact that we had the troubles in Northern Ireland. When I first went to America, Americans would ask me about Northern Ireland. I mean, I grew up with the troubles in Northern Ireland, and it was terrible, that it was going on, but it didn’t seem to be at any time part of the psychedelic underground music scene. It was nothing like the Vietnam War in the United States. If you were a hippie, then people would definitely assume that you were against the war. Appearance showed your political position. And that’s what caused a lot of problems. People having their children killed, people being killed just because of the way they looked and all sorts of things going on. We were drawn into the middle of all that.

Q: Living in the US for the last few years, must have brought back memories, with the Iraq war going on and the involvement in Afghanistan…

A: Yes, definitely. That’s gone round in a circle, hasn’t it? And I can see it becoming even more that way. I think there should be no room for wars any more. It’s all coming down to money, isn’t it? I am not accusing America, I am just saying that most wars are for money. I mean, if you go back to the beginning of time, look at wars and ask yourself the question ‚who’s going to gain‘, then you quickly realize what the whole thing is about. I feel the best song that Alvin [Lee] ever wrote, which totally stands out about anything else, was ‚I’d Love To Change The World‘. It is that statement: I’d love to change the world, but I don’t know what to do…” That’s my position, that’s where I stand. It’s so easy to say “Yeah, you should do something about it, but it isn’t.”

Q: And the younger you are the easier it is to say so…

A: Absolutely, yes, that’s right. I just hope that with that 40th anniversary of Woodstock some of those ideals, no matter how naïve they may have been, will reoccur. Hopefully it will do some good. I mean, we are not only doing it as for an event to make a lot of money, or an event to get out of your head on ecstasy.

Q: After all these years since Woodstock, what would you consider to be the biggest change in music? And I don’t really mean changes in the music industry. I am aware that the industry in itself has changed almost beyond recognition since. I mean more in terms of music itself and in the attitudes of musicians, maybe.

A: I think the computer has changed music. Because now every programmer, anyone who knows his way around software, can make a record. That’s a major change. Even when I started, anybody who couldn’t play let’s say the guitar, would sound like he couldn’t play the guitar. Nowadays that doesn’t really matter any more. You can sample other music, play a guitar note for note and tighten the tune up, you can retune a vocal, loop things up, and manufacture a complete production. You couldn’t possibly go out and perform live, though, with all the samples and loops you’ve used on the record. So, that’s one thing that has changed. But, having said that, I was in a music shop in Düsseldorf, last week, on a Saturday, and it’s a long time since I have seen so many young people picking, playing guitars, basses and drums… Things seem to be going in a circle. I have looked through my email this morning and I had two letters from young people, one of them a 15 years old boy who said “I have just bought myself a bass guitar, two months ago, and I am playing the bass.”… So, it’s going around in a circle. I think we are gonna see more life bands again.

Q: There definitely seems to be a resurgence of life music.

A. Oh yes… If you take away those manufactured bands, I mean, some of these bands are definitely very talented, like Pussycat Dolls, who nevertheless are definitely manufactured by the business, by the media, they put them through auditions, put them all together, I mean, and then you have a young band coming through that builds up a followership, they will have to tour, it is all going in a circle. It’s always gone around in a circle.

Q: Which, I guess, is a good developments

A: It is, it is so rewarding to see so many people coming to our concerts.

Q: How many concerts do you play per year these days?

A: 100 – 150 a year.

Q: That’s a hell of a lot of time on the road

A: Oh yes, it is. I mean, there are sometimes one or two days between shows, you are travelling, so you actually stay a lot more days on the road. If you do two shows, it’s almost four days.

Q: And you still manage to have a family life?

A: Oh well, yes. One of my sons works in Nashville. He is in the music industry, he works for a record company. My other son is a guitar tech. So yes, there is time for family life.

Copyright 2010/2020 Edgar Klüsener

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‚I WANNA BE ELECTED!‘ – ON TOUR WITH ALICE COOPER

From the archives: First published in Metal Hammer UK, 28 March, 1988

He wants to be elected, or does he? Following a radio interview in the states, it suddenly became front page news that Alice Cooper was going to stand for the post of Governor of Arizona! Of course, the whole thing was a complete misunderstanding, but it caused quite a stir, drawing more media men than usual to his recent US shows. With the old Gore-Hound now poised to begin a full UK tour (new stageshow, old habits), the big question is: will Alice put himself forward as a candidate for the ‚Bring Back Hanging (For Everyone)‘ party, and if so it should certainly be interesting to check out his swingometer!

SCHIZOPHRENIA IS a strange disease. Suddenly, there are two or more personalities that either communicate or are strictly separate, fighting for leadership in the one body which belongs to them all.

Schizophrenia can open new worlds, be visionary and then degenerate into paranoia. Schizophrenia is a disease which never leaves the affected person. Schizophrenia can be simulate chemically with hallucinogenics, but then you fall in love with it and lose your mind. Schizophrenia can be cruel, it can shut someone away in the most horrible of worlds – a hell on earth that makes Biblical hell seem like paradise.

Each person has streaks of schizophrenia inside them. It can be ignored, fought or oppressed – you can shut the alter ego away and forget about it. You can also turn yourself into an equal partner, into reflection of a different, absurd and obscure world; a mask that’s shocking and revolting. Like Vincent Damon Furnier.

But who is Vincent Damon Furnier?

Vincent Damon Furnier first saw the light of day in the ‚Motortown‘ of Detroit on 2nd February 1948. The first 17 years of his life took the more or less normal course of a typical American youth without mentionable highs or lows, except for those to be expected during puberty combined with a healthy need to rebel.

Alice Cooper. Pic: Hunter Desportes,
CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0,

The metamorphosis of Vincent Damon Furnier began much later in 1965 in the capitol of the desert state of Nevada – Phoenix. As a student at the art college there he met Mike Bruce (guitar/keyboards), Glen Buxton (guitar), Neal Smith (drums) and Dennis Dunaway (bass). The five of them decided to do something together that would enable them to break away from American reality – Rock ’n‘ Roll.

They formed a band and called themselves The Spiders (temporarily changing the name to Nazz at a later point) and tried to transfer the aesthetic concept of dada artist Marcel Duchamp into a show which was a mixture of rock and theatre. For the first time Vincent Furnier began to slip out of his skin and become a different person – not just tolerating this person but giving him strength and personality.

During this time Vincent Damon Furnier’s stage persona developed a life of its own – he turned into a dual being, two spirits in the same body. Everything changed. The stage personality struck out on its own, was christened and became a creature that has been influencing rock music in the western world for the past 20 years. With two hearts beating as one, Alice Cooper stepped into the spotlight and shocked the public.

This strange, shockingly brutal, perverted, and dirty old android called Alice Cooper was a smack in the face of the American dream, a full-frontal attack on Anglo-Saxon prudery. Vincent Damon Furnier, who created and christened Alice Cooper, disappeared slowly from the surface, was buried and forgotten, only to resurface sometimes as Alice Cooper’s seldom-seen alter ego. That was in 1966. A year later Frank Zappa discovered Alice Cooper (by which time he had moved to LA), signed the band to his Straight label and the rest is rock history…

ALICE COOPER is still causing havoc in the USA 21 years later in February 1988. The announcement that he’ll be coming back to Europe, following up his headline appearance at the Reading Festival in 1987, was reason enough for a trip to sunny California, the aim being to take a close look at Alice Cooper in 1988.

Alice is made up of all the horrible kinky things that comprise the dark side of the American moon. He symbolises hidden desires, frustrations and shattered dreams. He is the reflection of an American that pretends it’s something it isn’t, confronting his audience with a reality that most would like to see hidden behind a wall of silence or buried deep beneath the ground. Alice is the merciless mirror of the shadowy depths of the American dream, and that’s why the establishment still hates him 20 years on.

SAN DIEGO freeway, somewhere between San Diego and the motorway checkpoint specially built to catch illegal immigrants before they get too far into the US and simply disappear. Alice Cooper finished his show in San Diego less than an hour ago – a show containing much more than you’d normally expect; it was a play, a mixture of Stephen King’s nightmares, Poe-like atmosphere and absurd slapstick scenes with an obvious lack of taste.

The tricks in the show had been planned down to the last detail and were always surprisingly, an explosion of ideas and amazing stunts. The concert must’ve been hard work for Alice as he was moving non-stop, not taking a moment’s rest. But he’s getting the break he deserves now on the back seat of the Ford Mustang that’s being driven back to the hotel by his manager, Toby Mamis.

„The show is calculated right down to the last second,“ explains Alice. „There’s hardly any room for improvisation. Only during the last two songs do we deliberately leave more space, giving us a little more freedom. If the performance is tightly organised and something technical goes wrong all of a sudden, you’re in deep shit. We then have to rely on our ability to improvise and react quickly, either to get around the technical hiccough or else accept it as a new element in the show, which is something we’ve done as well.“

Each song in the set has got its own set-up, its own storyline, and the preparation reflects this…

„Before we started the tour we rehearsed the show for two months intensively.“ adds Alice, „the last week in front of an audience. About 200 people were there every day and the way they reacted to what was happening onstage was very important on us. I don’t know of any other band that does anything remotely similar. That’s another reason why Alice is unique.“

Long Beach Arena is situated in a costal town on the outskirts of LA; it houses a venue that is typical of American halls, equally suitable for rock concerts, basketball matches or musicals, containing enough seats to accomodate around 15,000 people. The first band, Faster Pussycat, go down well in front of their home crowd with a mixture of rock’n’roll and r’n’b (a la Aerosmith/Rolling Stones/Led Zeppelin, etc, played loud and dirty), a combination that strikes just the right Californian nerve at the moment.

Then Motorhead hit the stage to a keen reception, finally winning over the audience with ‚Overkill‘ and looking like they might have a chance of cracking it in the States at long, long last. We shall see…

And then…classical music filters through the speakers – Alice Cooper’s signature tune – and the atmosphere in the hall rises towards boiling point. Suddenly he’s there, the high priest to a whole generation of American teenagers, a dark figure…Alice Cooper himself!

Each song that follows tells a particular story, amongst them gems such as ‚Chop Chop Chop‘, ‚Prince Of Darkness‘ and (back in the set) ‚Black Widow‘. The musicians stand in the background on platforms of different levels. Indeed, everything takes place on three levels, with the front of the stage, ground level, belonging to Alice and the different actors and occasionally Kane Roberts, descending from his platform to play a brilliant solo. This man looks like Austrian Arnold Schwarzenegger (better known as Conan the Barbarian and the future governor of California), and you get the impression he’ll accidentally break more than just a string if he’s not careful! – but as far as guitar playing goes, he’ll be up in the big league very soon.

The middle level is reserved for guitarist Jonny Dime and bassist Steve Steele (who changes his name as often as the others have hot dinners) on the left-hand side and keyboard player Paul Horowitz on the right. Drummer Ken Mary is right at the top, a fine drummer who has played with David T. Chastain but in the future will probably be concentrating on his own band, Filth Angel.

Alice Cooper live on Hellfest 2004, Photo: Augustin Blanchet, FAL, via Wikimedia Commons

Horowitz, meanwhile, must be the man with the most birthplaces in rock; wherever they play, Alice always introduces him as being from that particular town, even when the town in question isn’t much more than a village. The announcement in England will probably be: „…And from Milton Keynes / Telford / Peterborough, Paul Horowitz!“

„The media,“ says Alice after the show, „described what Alice does on stage as ‚Shock Rock‘, ‚Theatre Rock‘ or whatever, but even after 20 years they’re still trying to categorise me, and even I can’t do that! In the 60’s Alice was the first band to be labelled as ‚Heavy Metal‘, and to be honest all these descriptions are probably true to an extent. One thing should be made clear, however: although we use a lot of theatrical ideas in our performance, we’re not just a theatre group. We’re mainly a rock band, but we try to visualise our ideas a lot more than other bands do.“

TO UNDERSTAND the show, to see more in it than gushing blood and scary effects, you have to understand Alice himself. Alice isn’t just a normal everyday person with everyday problems – relationships, job prospects, getting a new car or paying off the mortgage. When Alice falls in love then it’s with an animal of the night, a vampire or a zombie. He has affairs with Teenage Frankensteins and Black Widows, but nothing comes across as being absurd or tasteless, just Alice himself. Alice doesn’t ‚kill‘ out of naked lust, he kills and rapes because he’s madly and romantically in love. He’s the ugliest side of Mr. Average, taking things to the extreme as ever.

In the past Alice set out to shock with his over the top behaviour, but because of the sexual and mental liberation that has taken place over the past 20 years he could now appear out of place, ridiculous even. However, by incorporating a potent mixture of theatre and performance techniques the roots of which can be traced back a full hundred years, he’s able to get away with it. He uses elements of strange theatre, expressions from the dada movement, all mixed up with subtle irony, attacking the nerves of the unsuspecting, leaving them helpless and confused.

S&M, rape, murder and hanging, blood orgies, simulated masturbation (sounds like an episode of Blue Peter – Ed), Vincent Damon Furnier’s other self uses every single cliche (it is Blue Peter – Ed), distorting them beyond recognition and becoming a dramatist comparable to the likes of Stephen King.

„I discovered the psychopathological element in this world and described it in the most bizarre way. But I don’t think that makes me a madman. Maybe I’ve just managed to retain the freedom of seeing and watching things; I know there are lots of sides to everything and I try to discover what these are and reflect on them. Obscure things fascinate and attract me.“

At this moment I’m not quite sure who I’m speaking to – Alice or Vince. Each of them seems to have taken on aspects of the other’s personality, though they both express the feelings of the same person in the end, whatever name he goes under. This is what Vincent/Alice has got in common with the people he used to hang out with in the early days. His old friends used to be Salvador Dali, Fred Astaire, Groucho Marx and Pierre Cardin – all people with bizarre and unusual methods of seeing and expressing their lives (what about John Noakes?)

THIS IS AMERICA…

A subject that keeps cropping up in Alice Cooper songs and shows is his subtle relationship with America, with the dream of a nation that thinks it is God’s gift to the earth and mankind. What does America really mean to Alice and Vincent?

„I like America because it’s extreme, like Alice – the all-American child. America is in love with itself, in love with the thought that it’s the ‚missionary saviour of the world‘. That’s why America is always getting involved with other countries‘ affairs without asking first. America can’t even imagine that some people and some countries would be far happier if they didn’t have America’s involvement to cope with.

„Everyone in America is manipulative, and is manipulated every day and every hour. Americans know that they are easy to manipulate but they don’t care, and if it comes to the crunch they can always say ‚No‘, and they do. That’s what happened with Vietnam and ‚Watergate‘.

„America is completely egocentric, the country and its inhabitants. Each individual puts himself first. At the same time, there is an enormous amount of brutality and nastiness in this country, as well as innocence and humour – it’s a mixture that works well and has strange results.

„On top of all this, America is the centre of the world as far as entertainment goes. Entertainment defines life in America more than anywhere else in the world; it determines the whole of American reality America is extreme, and that’s why I love it. It’s as extreme as Alice…“

There’s no doubt that America is extreme – so extreme that bad actors can become Presidents and good rock musicians can become governors. Governors???

THAT’S RIGHT On the 24th of February, the day of the concert in San Diego, Alice gave an interview to a radio station during the course of which he was asked to make a statement on the political situation in his home State of Arizona. I’ll explain the situation briefly: The governor of Arizona, a Mr. Meecham, has been receiving a lot bad publicity recently because of his strange attitude towards boosting his own income. As his closest advisor and colleague is being sought after on murder charges in some states, this doesn’t make the situation any easier for the Governor, who at the moment has to answer to the US Senate, and the way things are looking will have to resign shortly.

The shrewd radio reporter had discovered a connection between Alice and Meecharn. By pure chance, Alice had bought his first car off the not-yet Governor but already secondhand car dealer Meecham, all of this taking place many years ago. However, because Alice lives in Phoenix, the capital of Arizona, the radio reporter added two and two together and got five, asking Alice for his opinion on Meecham and politics in general. Alice knew nothing about the connection, but added his views all the same:

„It never ceases to amaze me how these men are whitewashed as soon as they’re in the public eye, but it wouldn’t be the same with me. Everyone knows that I’m dirty old Alice from the start. If I became Governor, the people would know what I’m like right from the beginning, which would make a change.“

And that was that… or was it? Not for the radio man, it seems. The broadcast later on was short and simple: ‚Alice Cooper is standing for election as the Governor of Arizona!‘ Of course Alice hadn’t said this but no-one seemed to care…

The next day it was on everybody’s lips. During the flight from LA to the gambling paradise and American entertainment dream of Las Vegas, Alice and Toby Mamis spent their time looking through piles of daily papers, all of them, big and small, the mass circulation ones and the regional LA publications. The news was in them all: ‚The new candidate for the Governor of Arizona‘. Apart from being in the dailies, the news was also on the American ABC TV channel, while the UPI news ageny shouted it out to the rest of the world.

When Alice arrived in Las Vegas there was chaos. Radio and television companies were waiting to interview him, press people who hadn’t seemed interested in his concert beforehand were buzzing around, and Alice was beginning to have major difficulties explaining that it was all a mistake to people who didn’t want to listen.

As soon as Alice landed in Las Vegas it all started to happen. When he entered the airport terminal, normal run-of-the-mill American citizens started congratulating him, wishing him all the best and letting him know that despite being a perverted monster he was just the man for the job of Governor of Arizona! A little old lady was heard to comment: „If a bad actor can become an average President, then a good rock musician has to be a better Governor! „

I guess the concert in Las Vegas could have been seen as the first step in Alice Cooper’s election campaign. I wanna be elected, indeed!

‚RAISE YOUR FIST AND YELL‘

‚Freedom‘, the first encore of the show, could become a protest song for the future Governor. Vincent Damon Furnier’s strange worlds seem nothing compared to the double standards of modern Americans.

„I’ve never left behind that phase of my development during which I hated bigoted authority and fought against it too. Even today, I’m not only suspicious of the system, but full of hatred towards it. And with that I mean everyone and everything that represents the system in any way whatsoever, including the security guards at the concerts. Of course, I know that they are there to protect me, but on the other hand it’s these guys who stand between me and my fans, they are a kind of police and they behave like police. ‚Freedom‘ is a song against all organised power, although I wrote it mainly as a protest about the PMRC. Alice was right at the top of their hit list. Alice is supposed to print all his lyrics on his sleeve and have them approved. Not that I mind printing my lyrics on the sleeve, but I don’t think I should have to. I wrote the song ‚Freedom‘ instead of a letter of complaint to let the PMRC and everyone they stand for know what I think about them.

„This group (the PMRC) mustn’t be taken too seriously. Really, they are just four old ladies in Washington who try and get as much publicity as possible for their husbands, who are all influential politicians. Since the main-man behind the PMRC, Albert Gore, has admitted himself that he used to smoke pot and listen to loud rock music when he was a kid (something which was discovered while he was working on the President’s election campaign) the movement won’t last long anyway.“

Who knows, when we see Alice Cooper play in Britain, supported by Chrome Molly, maybe we’ll be greeting the future Governer of Arizona…Vincent Damon Furnier.


C 1988 Edgar Klüsener

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